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*********************************** Dow Jones FOKUS: Biotech-Branche hofft auf Rückenwind durch Jerini-Arznei Freitag 18. Januar 2008, 13:20 Uhr
DÜSSELDORF (Dow Jones)--Nach Rückschlägen für deutsche Biotech-Unternehmen im vergangenen Jahr hofft die Branche nun auf eine positive Nachricht im Frühjahr: Mit der Arznei "Icatibant" des Berliner Unternehmens Jerini AG könnte in wenigen Wochen wieder ein Medikament aus dem Sektor auf den Markt kommen. 2007 war der Index der Branche hinter der allgemeinen Entwicklung zurückgeblieben - jetzt könnte die neue Arznei gegen Schwellungen die Stimmung wieder aufhellen.
Eine positive Entscheidung der Zulassungsbehörden könnte dem Sektor in Deutschland nach Einschätzung von Analysten wieder Rückenwind geben. "Das wäre für die Branche sicher ein sehr gutes Zeichen, weil es wieder ein Produkt auf dem Markt gäbe", sagt zum Beispiel Analyst Markus Metzger von der Bank Vontobel. Denn bisher schlagen sich nur wenige Forschungsanstrengungen in Umsatz nieder: "Icatibant" wäre die dritte Arznei eines deutschen Biotech-Unternehmens auf dem Markt.
2007 waren die deutschen Biotech-Kurse nach Rückschlägen bei den Unternehmen GPC Biotech und Paion vor allem im zweiten Halbjahr stark unter Druck geraten. GPC hatte nach enttäuschenden Studiendaten den US-Zulassungsantrag für das hochgehandelte Krebsmedikament "Satraplatin" zurückgezogen. "Satraplatin" hatten Analysten Spitzenumsätze von 500 Mio EUR zugetraut; es galt als Vorzeigeprojekt der Branche. Bei dem Aachener Unternehmen Paion zeigte eine Studie mit einem Schlaganfall-Wirkstoff keine Überlegenheit gegenüber einem Scheinpräparat.
Seitdem werden Biotech-Projekte von Investoren europaweit wieder zurückhaltender beäugt. Die Branche ist klein, Misserfolge in einem Land werden auch jenseits der Grenzen wahrgenommen. Daher war der europäische Biotech-Sektor insgesamt 2007 hinter den breiten Indizes zurückgeblieben. Bei rund 70% der fast 100 börsennotierten Biotech-Unternehmen in Europa hatten die Aktien das Jahr 2007 tiefer beendet, als sie es begonnen hatten.
Von diesen 70% hatte rund die Hälfte der Kurse mehr als 40% verloren, wie aus einer Studie der Investmentbank Lehman Brothers hervorgeht. Vor allem Unternehmen mit geringer Marktkapitalisierung rutschten ab. Davon war auch Jerini betroffen: Der Kurs der Berliner, die sich auf so genannte peptidbasierte Medikamente spezialisiert haben, verlor zeitweise mehr als 50% und sackte auf 1,74 EUR ab.
In den vergangenen Wochen erholte sich der Kurs im Vorfeld der Zulassungsentscheidungen jedoch wieder auf rund 3 EUR. Der Trend könnte sich fortsetzen, erwarten die Analysten von Credit Suisse und nennen ein Kursziel von 5,20 EUR, ihr Anlagevotum lautet "Outperform". Bei PiperJaffray liegt das Kursziel sogar bei 6,90 EUR; sie raten zum "Kaufen".
Neben einer positiven Entwicklung bei Jerini könnten im weiteren Jahresverlauf weitere Zulassungen in Europa den Kursen der Branche helfen: 2008 stehen auch Produkte der Biotech-Unternehmen Intercell aus Österreich sowie Basilea, Arpida und Santhera aus der Schweiz vor der Zulassung. Erfolge hier könnten die Stimmung für den deutschen Sektor ebenfalls verbessern, sagt Analyst Markus Metzger.
Bisher hat als einziges deutsches Biotech-Unternehmen die MediGene AG aus Martinsried zwei Arzneien im Angebot - das Prostatakrebs-Medikament "Eligard" und eine Salbe gegen Genitalwarzen. Der neue Hoffnungsträger "Icatibant" von Jerini wirkt gegen eine potenziell lebensbedrohliche Erbkrankheit, das vererbliche Angioödem, und ist sowohl in Europa wie in den USA zur Zulassung eingereicht. Die Krankheit verursacht schmerzhafte Schwellungen; im Kehlkopfbereich können sie zu lebensbedrohlichen Erstickungsanfällen führen.
"Mit einer Entscheidung in Europa wird zwischen Ende Februar und Ende April gerechnet", sagte Jerini-Sprecherin Stacy Wiedenmann zu Dow Jones. Die europäische Zulassungsbehörde EMEA hatte im August ein beschleunigtes Prüfverfahren angekündigt. In den USA wird die US-Behörde FDA voraussichtlich am 26. April über die Zulassung entscheiden. Auch hier wurde ein verkürztes Verfahren zugestanden. Wegen der derzeit vorsichtigen Politik der FDA ist die Zulassung in den USA nach Einschätzung von Analysten eine größere Hürde als das Okay in Europa.
Jerini will das Medikament noch im laufenden Jahr in den USA und Europa unter dem Namen "Firazyr" auf den Markt bringen. Der Einsatzbereich soll später über diese erste Indikation hinaus ausgedehnt werden; derzeit wird das Mittel vorklinisch auch gegen eine Komplikation bei Verbrennungen und Sepsis getestet.
Eine Erwartung für das Umsatzpotenzial nennt das Unternehmen nicht. Sprecherin Wiedenmann verweist aber auf Analystenstudien, die den jährlichen Spitzenumsatz für den ersten Anwendungsbereich in den USA und der EU meist in der Spanne von 300 Mio bis 500 Mio EUR sehen. Es gibt aber auch zurückhaltendere Prognosen. So schätzt die Investmentbank Credit Suisse den Spitzenumsatz auf 213 Mio USD im Jahr 2014.
Und noch ist auch dieser Erfolg keineswegs sicher: In der Analyse der Bank heißt es auch, der Status der beschleunigten Prüfung durch die FDA sei noch keine Aussage zur Qualität der von Jerini eingereichten Daten. Der so genannte Priority Review Status sei erteilt worden, weil es in den USA bisher kein zugelassenes Medikament gegen diese Erkrankung gibt - und die Ergebnisse der letzten klinischen Phase seien gemischt ausgefallen. |