Für Condomi-Aktionäre sicher interessant!
HANDELSBLATT, Dienstag, 13. März 2007, 07:19 Uhr Der Fall Condomi Nur noch eine leere Hülle Von Sönke Iwersen Die Aktie vom Handel ausgesetzt, der Chef verschwunden, das Amtsgericht ermittelt: Die Aktionäre der Condomi AG stehen vor dem Totalverlust. Die Wurzeln des Übels liegen nicht weit zurück, mitten in der Partyzeit des Unternehmens. Mehr zum Thema: Condomi AG Condomi-Aktionäre stehen vor Totalverlust (12.03. 17:00)
KÖLN. Er war erfolgreicher Jungunternehmer, gefeierter Medienstar, der Kondomkönig von Köln. Seit Oliver Gothe 1988 gemeinsam mit Studienfreunden Condomi, „das Fachgeschäft für Erektionsbekleidung“ eröffnete, ging es für den sympathischen Kumpeltyp immer nur bergauf. 1997 übernahm er eine Kondomfabrik in Erfurt, 1999 ging sein Unternehmen an die Börse. 2001 sprach er von Weltmarktführerschaft. Gothes Condomi-Aktien waren mehr als dreißig Millionen Euro wert. Heute kann er sie nicht mal mehr handeln.
Oliver Gothe wirkt niedergeschlagen, als er in einem Kölner Cafe sitzt und in Jeans und Sweatshirt seine Geschichte erzählt. Seine Aktienmillionen haben sich in Schulden verwandelt, der Vater dreier Kinder schlägt sich als Berater in der Kondom- und Erotikbranche durch. Alles, wofür er je gearbeitet hat, befindet sich in fremder Hand. Geschäftspartner aus Polen haben Markenrechte, Kunden und die Produktion an sich gerissen. Doch Gothes Name steht noch immer für Condomi, und deshalb fühlt sich der 37-jährige oft nicht mehr wohl, wenn er durch Köln geht. Freunde könnten ihn ansprechen, Menschen, die ihm vertraut haben und mit seinen Aktien viel Geld verloren. „Was soll ich denen sagen“, fragt Gothe und seufzt. „Ich hätte mir nie vorstellen können, dass so etwas möglich ist.“
Keine Bilanz, keine Dividende, nur noch eine leere, leblose Hülle. Es ist kein Spaß, in diesen Tagen Aktionär der Condomi AG zu sein. Anrufe bei der Firma landen bei der falschen Adresse, der Vorstand der Gesellschaft ist nicht aufzufinden. Seit Jahren legt die Condomi AG keine Geschäftszahlen mehr vor. Dies verstößt sowohl gegen das Wertpapierhandelsgesetz als auch gegen das Handelsgesetzbuch. Doch sämtliche Mahnungen der Deutschen Börse bleiben ohne Antwort, bereits verhängte Ordnungsgelder werden einfach nicht bezahlt. Tausenden von Condomi-Aktionären ist bis heute unbekannt, dass sie nur noch die Anteilsscheine einer Geisterfirma halten.
Die Wurzeln des Übels liegen nicht weit zurück, mitten in der Partyzeit des Unternehmens. Nach dem Börsengang 1999 jagt die Condomi-Aktie von einem Rekord zum nächsten, Anleger kaufen auch dann noch, als der Kurs beim 250fachen des Gewinns liegt – ein absurdes Verhältnis. Andererseits: an guten Nachrichten herrscht kein Mangel. Condomi ist in mehreren Dutzend Ländern aktiv und zieht reihenweise Großaufträge an Land: 16 Millionen Kondome für Pakistan, 50 Millionen für Kenia, 53 Millionen für Nigeria. Condomi investiert 35 Millionen Euro in eine Fabrik in Erfurt. 15 Millionen Euro stammen aus öffentlichen Fördertöpfen. Die Produktionskapazität steigt auf 720 Millionen Kondome pro Jahr.
Gothe verzieht die Miene, wenn er sich an diese Zahlen erinnert. Er weiß heute, was er schon damals hätte wissen sollen. Für Staatsaufträge wie die aus Nigeria lassen sich rund drei Cent pro Kondom erzielen. Condomi kalkuliert vorab mit Produktionskosten von einem Cent – ein vermeintlich sattes Geschäft. Im Tagesgeschäft stellt sich dann aber heraus: Condomi kann die Gummis weder für einen, noch für zwei, oft nicht einmal für drei Cent herstellen. Die Staatsaufträge, 40 Prozent des Umsatzes, bringen keinen Gewinn.
Zu den Fehlkalkulationen gesellen sich Fehlinvestitionen. Während der Internethysterie steckt Gothe Millionenbeträge in Medienpartnerschaften und Unternehmen, die wenig später am Boden liegen. Schon 2003 geistert das Wort Insolvenz um die Condomi AG – Gothes Firma hat 37 Millionen Euro Schulden - fast doppelt so viel wie Umsatz. 2004 scheint es für lange Zeit so, als ob der Erotikkonzern Beate Uhse als Retter einsteigt. Doch die Verhandlungen scheitern. Condomi steht vor dem Aus.
Dann geschieht etwas Seltsames. Aus Krakau meldet sich Grzegorz Winogradski bei Gothe. Der ist Vorstandschef von Unimil, dem polnischen Konkurrenten, den Condomi 1999 übernommen hatte. Winogradskis Vorschlag: Unimil besorgt sich an der heimischen Börse Kapital, und übernimmt dann die Schulden der Muttergesellschaft. Gothe ist skeptisch, hat aber keine andere Wahl – das Wasser steht ihm bis zum Hals. Winogradski dagegen ist begeistert und sagt in einem Zeitungsinterview: „Niemals zuvor hat eine polnische Firma über die Börse Kapital für die Akquisition der ausländischen Muttergesellschaft mobilisiert. Der Deal wird das Image der polnischen Wirtschaft in Deutschland weiter verbessern.“
Von wegen. Anfang 2005 kauft Unimil zwar den Gläubigerbanken von Condomi für 16 Millionen Euro ihre Verbindlichkeiten ab. Doch alles andere geht schief. „Geplant war eine vollständige Sanierung der Condomi AG“, sagt Gothe. „Aber die Vorschläge, die dann aus Polen kamen, sahen etwas ganz anderes vor.“
Für Gothe beginnt die schlimmste Zeit seines Lebens. Unimil, vor kurzem noch seine Tochterfirma, ist jetzt sein Hauptgläubiger. Winogradski verlangt, dass Condomi die Markenrechte und die Kundenverträge an Unimil überschreibt und will sich auch die Mehrheit an der Kondomfabrik in Erfurt sichern. Im Gegenzug ist Unimil aber nicht bereit, auf alle Forderungen gegenüber Condomi zu verzichten. Gothes Unternehmen hätte also noch Schulden, aber kein operatives Geschäft mehr, um sie abzuarbeiten.
Nach wochenlangen Verhandlungen tritt Gothe Ende April 2005 als Vorstand der Condomi AG zurück – mit ihm als Vorstandschef kommt kein Ausverkauf zu Stande. Für 24 Stunden lernt er noch seinen Nachfolger kennen und ist entgeistert. Tadeusz Sobierajski kann sich mit Gothe nicht unterhalten, weil der Pole weder deutsch noch englisch spricht.
Was bis zu diesem Zeitpunkt nur traurig war, wird jetzt verdächtig. Die Condomi AG ist im Frühjahr 2005 keineswegs die Privatangelegenheit der Polen. Das Unternehmen ist an der deutschen Börse notiert und befindet sich zu 70 Prozent im Streubesitz. Doch tausende von Anlegern sind sich nicht bewusst, was ihr neuer Vorstandschef gerade treibt. Condomi legt keine Geschäftszahlen vor, Hauptversammlungen gibt es nicht.
Sobierajskis Räumungsarbeiten dauern 18 Monate. Am 7. November 2006 teilt die Condomi AG mit, der Vorstandschef sei auf eigenen Wunsch vom Aufsichtsrat abbestellt worden. Die Internetadresse, die auf der Ad-Hoc-Mitteilung angegeben ist, lässt sich nicht aufrufen. Wer die aufgeführte Telefonnummer wählt, landet bei der Condomi Health International GmbH, einer Neugründung von Unimil. „Herr Sobierajski gehört zur AG, den erreichen Sie hier nicht“, sagt eine freundliche Mitarbeiterin am Telefon. Und wo erreicht man die AG? „Das kann ich Ihnen nicht sagen.“
Tadeusz Sobierajski, woher er kam und wohin er ging, ist ein großes Rätsel. Seine Berufung ist gesetzlich Sache des Aufsichtsrates. Der allerdings wechselte allein 2005 drei Mal, und ist heute ebenso wie Sobierajski nicht aufzutreiben. Für die Berufung des Aufsichtsrates ist laut Aktiengesetz die Hauptversammlung einer Gesellschaft zuständig. Die letzte Hauptversammlung bei der Condomi AG liegt aber schon vier Jahre zurück.
Unimils Führung, die Sobierajski während dessen Amtszeit immerhin alle wesentlichen Unternehmenswerte von Condomi abkaufte, gibt sich ahnungslos. „Wir können nur vermuten, warum Herr Sobierajski diesen Posten annahm“, schreibt der Vorstandschef Winogradski an das Handelsblatt. „Vielleicht hatte es etwas damit zu tun, dass ein polnisches Unternehmen (wir) sein Hauptgläubiger war. Aber wir können in dieser Sache wirklich nur raten.“
Das Versteckspiel treibt die Aktionäre zur Weißglut. Marcus Sühling von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger recherchiert seit Monaten, ob es bei Condomi AG mit rechten Dingen zuging. „Ich vermute hier eine Aushöhlung der Aktiengesellschaft unter dem Deckmantel der Sanierung“, sagt Sühling. Er hat inzwischen gegen sämtliche Organe der Gesellschaft Strafanzeige wegen Insolvenzverschleppung gestellt und prüft eine Anzeige wegen Veruntreuung.
Auch die Behörden sind inzwischen tätig geworden. Nachdem es die Condomi AG monatelang weder schriftlich noch telefonisch erreichen konnte, hat das Finanzamt Köln Nord als Gläubiger Ende Dezember einen Insolvenzantrag über das Vermögen der Condomi AG beim Amtsgericht Köln eingereicht. Der als Gutachter eingesetzte Rechtsanwalt Jörg Bornheimer prüft seitdem, ob bei der Condomi AG ein Insolvenzgrund vorliegt und ob überhaupt noch genug Masse für ein solches Verfahren vorhanden ist. Die Ermittlungen laufen schleppend, denn die Quellenlage war anfangs denkbar schlecht. Bornheimer untersucht ein Unternehmen, das weder eine gültige Adresse noch einen ansprechbaren Vorstand hat. Trotzdem gibt sich der Insolvenzexperte gegenüber dem Handelsblatt optimistisch: Erst vor wenigen Tagen habe er sich über Umwege eine ganze Palette Akten gesichert.
Während der Gutachter recherchiert, verläuft auch das wohl letzte Kapitel in der Geschichte der Condomi AG verdächtig. Seit das Finanzamt einen Insolvenzantrag stellte, haben sich die Tagesumsätze des Handels mit Condomi-Aktien im Vergleich zu den Vormonaten vervielfacht. Wochenlang schlug der Kurs mal mit zwanzig, mal mit dreißig Prozent am Tag aus. Erst dann, Ende Februar, nahm die deutsche Börse die Aktie aus dem Handel. Der Kurs, der zu besten Zeiten bei 31,50 Euro lag, ist bei 56 Cent eingefroren.
Für die Condomi-Aktionäre ist fraglich, ob sie je wieder etwas von ihrem investierten Geld sehen. Unimils Anleger dagegen profitieren. Der australische Branchenriese Ansell hat im Februar 40,5 Millionen Dollar für den polnischen Konkurrenten hingelegt – ein Mehrfaches von dem, was Unimil vor dem seltsamen Condomi-Deal wert war. Für Oliver Gothe ist dies der ultimative Beweis, dass hier etwas nicht stimmt. Der Condomi-Gründer gibt aber noch nicht auf. „Ich habe sicher Fehler gemacht“, sagt Gothe, bevor er seinen Milchkaffee austrinkt und sich verabschiedet. „Aber einen Fehler will ich noch verhindern: Dass die Unimil mit dieser Sache einfach davonkommt.“
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