An Tagen wie heute braucht man was Aufheiterndes, daher präsentiere ich:
„Die Stufen des fortschreitenden psychischen Zerfalls im Laufe einer Baisse“
... mit einem Augenzwinkern und bestem Dank an WOYZECK!
Phase 1: Die Kurse fallen, die Profis raten zum "Buy on dips", sie sagen sich, dass dies eine erstklassige Gelegenheit ist, die "Lieblinge" billig einzusammeln. Verbilligen der bestehenden Positionen ist angesagt! Sie lachen die mahnenden Stimmen wie gewohnt aus und drehen den Weltuntergangspropheten mit ihren Wellenzählereien eine lange Nase.
Phase 2: Die Kurse fallen weiter, ihr Cash wird knapp und nun heisst es für Sie: Zusehen. Sie verfolgen die Börse (zur Freude Ihrer Partnerin) nicht mehr so intensiv wie sonst und freuen sich, wenn Heiko Thieme in der Telebörse auftritt. Jawohl, das sind die berühmten "Ostereier unter dem Christbaum", und: "Der einzige Mist, auf dem nichts wächst, ist der Pessimist", usw. usw. Sie versuchen, weiteren Cash flüssig zu machen, den Sie in die Schlacht werfen könnten und schreiben Herrn Brichta eine Mail, dass doch der Thieme öfter auftreten solle, was dieser auch gerne verspricht, nachdem er selbst ein wenig gequält aus seinem braunen Anzug hervorlächelt. Sie fragen sich, ob Herr Brichta Herrn Siegert schon zum Essen eingeladen hat, oder ob er Mac-Gutscheine sammelt.
Phase 3: Ihnen ist gar nicht gut zumute und Sie erkundigen sich nur noch über die Schlusskurse. Im Betrieb redet man bevorzugt wieder über Frauen und die Bundesliga (sofern die Clubs bis dahin noch nicht an der Börse sein sollten). Sie schlafen schlecht ein und fragen sich, wie Sie nur so unvorsichtig haben sein können, alles Geld auf diesen Mist zu setzen, den Ihnen ein dubioses Börsenpamphlet eines älteren Herren, der sich in der Werbung so leger an seinen Kamin lümmelte, empfohlen hat. Gier frisst Hirn" bekommt eine völlig neue Bedeutung für Sie und Sie haben das Gefühl, dass der Opa irgendwie schlauer zu sein scheint als Sie. Der hat die Kohle aus Ihrem Abo sicher.... Wo und wann kann man da kündigen? Es reicht ja, wenn man ab und zu die vergleichsweise billige Bahnhofspostille seines Filius konsultiert.
Phase 4: Die nackte Angst ergreift Sie und um sich, denn die Kurse fallen - nachdem immer mal wieder ein paar gute Tage, und sogar Wochen dabei waren - auf immer neue Lows. Sie könnten sich selbst ohrfeigen, dass Sie wieder mal die günstige Gelegenheit verpasst haben, mit einem blauen Auge auszusteigen, weil Sie sich der Hoffnung hingegeben hatten, dass nunmehr den verdammten Bären verdientermassen das Fell über die Ohren gezogen wird. Stattdessen sind Sie wieder der Angeschmierte und verfluchen den Tag, an dem Sie ihr erstes Depot eröffnet haben. Sie rechnen im Stillen, was man mit Schatzbriefen verdienen hätte können und der Konjunktiv bestimmt zunehmend Ihr Denken. Ob sich der arrogante Lackaffe aus der Consors-Werbung noch seine Sushis reinpfeift, oder ist der auch schon - wie Sie - auf Pommes Rot-Weiss umgestiegen? Der Druck wächst, sie sind übel drauf. Ihre Freunde meiden Sie, weil man kein gemeinsames Thema mehr hat, über das man reden möchte. Zum Bahnhofskiosk gehen Sie nur noch sporadisch.
Phase 5: Alle Abos sind gekündigt, n-tv aus dem Programmspeicher Ihres Fernsehers gelöscht, Ihr Anlageberater wechselt vorsichtshalber die Strassenseite, wenn er sie sieht - doch es hilft nichts. Die Börse, die weiter in Schüben kollabiert und schon mehr als die Hälfte Ihrer Ersparnisse vernichtet hat, scheint nun entgültig (in Ihren, des ehemaligen Superbullen Augen) nie mehr steigen zu wollen Sie überlegen sich, ob ihr restliches Vermögen reichen würde, um einen Killer auf Herrn Acampora anzusetzen. Na ja, man denkt ja an so manches... Sie fühlen sich wie Phil, der Held in "Und täglich grüsst das Murmeltier": Jeder Börsentag gleicht dem anderen, die Kurse haben verlernt, zu steigen. Friedhelm Busch, der das Schlamassel ja schon vor Jahren kommen sehen hat, wie er stündlich zweimal betont, klingt beinahe wie Filmheld Phil, der Wetterfrosch: "Es wird kalt werden. Und es wird dunkel werden. Und so wird es lange, lange bleiben.... ."
Phase 6: Sie haben die Schnauze gestrichen voll - und nicht einmal Herr Thieme klingt mehr überzeugend, nachdem er mal wieder die goldene Zitrone für den miesesten Fonds gewonnen hat. Sie schenken nun voller Hoffnung Herrn Staud Ihr Vertrauen, der nach nunmehr 6 Monaten Baisse (zusammen mit Herrn Brichta) gestern vom Bullen- ins Bärenlager gewechselt ist und mit seinen Indikatoren versucht, die Theorie populär zu machen, dass der DAX demnächst ins Negativterritorium vorstossen könne. Dies kommt dann auch Ihnen irgendwie dubios vor (warum nur nicht Staud`s "DAX-8000-Kampagne", verdammt nochmal?) und sie machen völlig entnervt und aller Träume beraubt Kasse, zählen nicht mal genau nach, was an Restvermögen geblieben ist, aber seit Monaten fühlen Sie sich nun endlich wieder einmal richtig gut. Stille, Ruhe, Glücklichsein, einfach nur an nichts mehr denken... vor allem nicht an die Börse. Börse? So fern, so weit weg...und irgendwie so irreal.
Phase 7: Wenige Tage, nachdem Sie alles verkauft haben, wird (ohne dass sie davon Notiz nehmen könnten, da jetzt nicht einmal mehr die Cosmopolitan Ihrer Frau einen Börsenteil besitzt) die Prognose dieser widerwärtigen Elliott-Waver, auf deren Korrekturwarnungen Sie retrospektiv doch lieber mehr gegeben hätten, wahr und die Börse startet einen neuen, dynamischen Upmove, der den DAX in wenigen Monaten wieder in die Nähe der alten Highs katapultiert. Das ganze aber bei deutlich dünneren Umsätzen als vormals, denn Sie und Ihre Kollegen haben die Freuden des Festgeldes kennen- und schätzengelernt. Es wird lange dauern, bis Sie wieder mitmischen werden und die Inets liegen immer noch wie Blei in den Orderbüchern der Broker... |