Microsofts chronischer Husten Von Carsten Volkery, New York
Die Xbox ist ein Ladenhüter, die Web-Services-Offensive erntet nichts als Kritik, und obendrauf kommt jetzt auch noch eine Gewinnwarnung: Was ist los mit Microsoft?
New York - Von 1998 bis 2000 regierte Microsoft unangefochten die Liste der "Business Week 50". Dreimal in Folge legte die Softwarefirma aus Redmond die beste Performance aller im S&P 500 gelisteten Unternehmen hin. Diese glorreichen Zeiten vorbei: Dieses Jahr reichte es nur für Platz 117. Und es sieht nicht so aus, als würde sich das bald ändern.
Am Donnerstag nach Börsenschluss verkündete Microsoft die neueste Enttäuschung: Der Gewinn im abgelaufenen Quartal blieb unter den Erwartungen, statt 51 Cents betrug er nur 49 Cents pro Aktie. Auch der Umsatz blieb mit 7,25 Milliarden Dollar unter dem Ziel von 7,34 Milliarden Dollar. Als Gründe gab Microsoft die schwachen Verkaufszahlen der Xbox in Japan und Europa und den andauernden IT-Boykott der Unternehmen an.
Schlimmer noch: In der anschließenden Telefonkonferenz sagte Finanzvorstand John Connors, dass die Wende im PC-Markt frühestens gegen Ende des Geschäftsjahres 2003 zu erwarten sei. Er senkte daher die Gewinnprognose für das Jahr, das im Juli beginnt, auf 1,89 Dollar bis 1,92 pro Aktie. Bisher waren Analysten von 2,02 Dollar ausgegangen. Der Aktienkurs fiel daraufhin nachbörslich um sieben Prozent.
Nun ist Microsoft noch lange nicht dem Untergang geweiht. Der Umsatz wuchs trotz Krise um 13 Prozent, der Gewinn um respektable zwölf Prozent gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum. Auch zählt die Gates-Firma weiterhin zu den am meisten bewunderten Unternehmen der Welt (Platz drei im "Fortune"-Ranking). Und die reichste Firma der Welt ist sie sowieso: 39 Milliarden Dollar Cash - und jeden Monat kommt eine weitere Milliarde hinzu. Kein Wunder also, dass die meisten Analysten Microsoft noch auf ihrer Kaufliste haben.
Doch das Wachstum der Firma hängt immer noch fast ausschließlich am PC-Markt - und der schrumpfte im vergangenen Jahr. Die Folge: "Die beiden Kassenschlager Office und Windows wachsen nicht mehr so wie früher", sagt Michael Silver, Analyst bei der Gartner Group. Die Verkaufszahlen der Bürosoftware Office sind rückläufig. Der Windows- Umsatz wuchs im abgelaufenen Quartal nur dank der Einführung des teureren XP um elf Prozent. Aber die Kunden führen nicht mehr wie früher alle zwei Jahre einen Upgrade durch.
Für Microsoft ist diese Entwicklung fatal, denn die Monopol-Produkte Windows und Office sorgen allein für fast den gesamten Unternehmensgewinn. Das Servergeschäft trägt nach Schätzung des Goldman-Sachs-Analysten Rick Sherlund weitere zehn Prozent des Gewinns bei. Doch diese Summe wird durch die Verluste des Internetdienstes MSN und der Spielkonsole Xbox wieder aufgehoben.
Um wieder ein Wachstum von 20 Prozent zu erreichen, strebt Microsoft seit anderthalb Jahren in Märkte mit höherem Potenzial. Im Dezember 2000 kaufte der Gigant die Softwarefirma Great Plains, die Softwarelösungen für kleine und mittlere Unternehmen herstellt. Im März 2001 startete "Hailstorm", auch bekannt als Dotnet My Services, die Software, die Microsoft einen kontinuierlichen Einkommensstrom aus dem E-Commerce bescheren soll. Im Mai kam das neue Office XP auf den Markt, im Oktober Windows XP und im November schließlich die Xbox, mit der Microsoft seinen Anteil am höchst lukrativen Spielemarkt sichern will.
Doch bisher hat sich außer Windows XP noch nichts wirklich bewährt. Die Xbox war bisher ein Verkaufsflop in Europa und Japan. Wie drastisch Microsoft sich verkalkuliert hatte, zeigt die Revision der Zahlen: Statt 4,5 bis sechs Millionen verkaufter Konsolen bis Ende Juni rechnet Connors nur noch mit 3,5 bis vier Millionen. Um die Nachfrage anzukurbeln, kündigte Microsoft am Donnerstag eine drastische Preissenkung in Europa an. Statt 479 Euro kostet sie jetzt nur noch 299 Euro - genauso viel wie der Hauptkonkurrent Sony Playstation 2. Neben dem Preis sehen Beobachter die Anzahl der vorrätigen Spiele als entscheidenden Erfolgsfaktor.
Die Preissenkung wird die Bilanz noch stärker belasten. Für das laufende Quartal sieht Connors einen Umsatzrückgang im "Consumer Commerce"-Bereich, der die Xbox und MSN umfasst, von einer Milliarde Dollar auf 700 Millionen Dollar voraus.
Auch der Kauf von Great Plains war gefährlich. Zwar konnte das Geschäft mit der Business-Software bereits den rückläufigen Office- Umsatz ausgleichen. Doch der Preis dafür könnte hoch sein: Langfristig riskiert Microsoft, wichtige Partner wie SAP zu Konkurrenten zu machen. "Es gibt ein generelles Gefühl in der Branche, dass man Microsoft nicht trauen kann", sagt Matt Rosoff, Analyst von "Directions on Microsoft".
Das war auch das Problem mit "Hailstorm", auch bekannt als Dotnet My Services. Die Software, die de facto Microsofts Monopol-Position aufs Internet übertragen würde, traf von Anfang auf erbitterten Widerstand in der Branche. Vergangene Woche entschied Microsoft daraufhin, das Konzept zu ändern. Das wird das Projekt mindestens um einige Monate zurückwerfen, was am Ende übrig bleibt, ist ungewiss.
Auch der Erfolg der Dotnet-Strategie, mit der Microsoft die bisher inkompatiblen Software-Systeme innerhalb eines Unternehmens vernetzen will, ist noch nicht abzusehen. Der Bereich der so genannten Web Services ist hart umkämpft, neben Microsoft wollen alle großen Player von IBM über Oracle bis Sun in dem Bereich tätig werden.
Und ob die Web Services tatsächlich zur neuen Wachstumsmaschine werden, ist umstritten. Oracle-Chef Larry Ellison jedenfalls warnte in San Diego kürzlich vor zu viel Hype: "Web Services sind eine sehr wichtige neue Technologie, aber sie sind so überbewertet. Ich befürchte, sie könnten das nächste B2B oder B2C werden."
Microsoft hat jedoch auch den PC-Markt noch nicht aufgegeben. Hier setzt das Führungsduo Bill Gates und Steve Ballmer vor allem auf den Computer als Unterhaltungszentrum im Wohnzimmer. "E-Home" nennen sie diese Strategie. So sollen bis Weihnachten neue Touch-Screens in verschiedenen Formen auf den Markt kommen, die nicht für den Schreibtisch gedacht sind.
Der neue kabellose "Freestyle"-PC soll unter anderem Fernsehprogramme aufnehmen können. Philips entwickelt eine passende Fernbedienung für den Computer. Die ersten Produkte seien allerdings eher für Technologie-Freaks, sagt Silver von der Gartner Group. Massentauglich würden sie wahrscheinlich frühestens im Jahr darauf.
2003 ist ein wichtiges Jahr für Microsoft. Es wird zeigen, ob die Diversifizierung Erfolg hat. Die Voraussetzungen, vom Cashflow bis zur Marktposition, sind gut. "Wir haben das Glück, dass wir selbst in dem derzeitigen Klima solche Wetten abschließen können", sagt Connors. "Und die Entscheidung ist richtig - selbst wenn wir kurzfristig den Gewinn opfern müssen."
Quelle: www.spiegel.de |