3. Juli 2008, 04:00 Uhr Von Manfred Quiring Truppenaufmarsch in der Mongolei Regierung verhängt Ausnahmezustand über die Hauptstadt - Fünf Tote Moskau - Ruhe nach dem Sturm: Nambaryn Enchbajar, Präsident der Mongolei, hat in der Nacht zum Mittwoch den Ausnahmezustand in der Hauptstadt Ulan-Bator verhängt, vorerst für vier Tage. "An den Kreuzungen der großen Straßen ist Militär aufmarschiert, zwischen 22 und 8 Uhr gilt eine Ausgangssperre, Alkohol darf nicht verkauft werden", beschreibt die Jura-Professorin Tserenbaltawyn Sarantuja in einem Telefongespräch mit der WELT die Lage. Die Unruhen in der mongolischen Hauptstadt waren in der Nacht zum Dienstag ausgebrochen. Die regierende postkommunistische Mongolische Revolutionäre Volkspartei (MRVP) hatte sich zum Sieger erklärt, doch die oppositionelle Demokratische Partei und die Bürgerbewegung zweifeln das vorläufige Endergebnis der Parlamentswahl vom Sonntag an. "Sie glauben, es habe flächendeckende Wahlfälschungen gegeben", sagt Sarantuja, die die Niederlassung der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung in Ulan-Bator leitet. Internationale Beobachter haben die Wahl indes als "alles in allem frei und fair" bezeichnet. Die Demonstranten setzten am Dienstag die Parteizentrale der MRVP in Brand. Es kam zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, in deren Verlauf fünf Menschen getötet, 220 verletzt und mehr als 700 Protestierende in Haft genommen wurden. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas und Gummigeschosse ein. Sarantuja bescheinigte der Polizei dennoch ein maßvolles Vorgehen. "Sie waren sehr geduldig, haben sich lange zurückgehalten, vielleicht sogar zu lange", sagt Sarantuja. Unter den Demonstranten hätten sich zahlreiche angetrunkene Jugendliche befunden, die auf Gewalt aus gewesen seien, deshalb auch das Alkoholverbot während des Ausnahmezustandes. Seit sich das Land Ende der Achtzigerjahre von seiner sowjetisch geprägten Vergangenheit getrennt, ein Mehrparteiensystem eingerichtet und sich auf den Weg in die Marktwirtschaft begeben hat, sucht es politische Stabilität. Die einstige "führende Kraft", die MRVP, habe sich seit 1990 stark verändert, sagt Sarantuja. Sie sei zu einer sozial orientierten Partei ohne kommunistische Ideologie geworden. "Eine kommunistische Partei hat in der Mongolei keine Perspektive", sagt die Professorin unter Anspielung auf den Buddhismus, dem die übergroße Mehrheit der mongolischen Bevölkerung anhängt. Die Mitglieder der MRVP seien traditionell Intellektuelle und Staatsbeamte, während die oppositionellen Parteien die jüngere, oft weniger gebildete Generation anzögen. Bei den Wahlen vor vier Jahren war es zu einer Pattsituation zwischen MRVP und Demokratischer Partei gekommen, beide bekamen gleich viele Sitze. Wechselnde Koalitionen und drei Regierungen in vier Jahren waren die Folge. Die Differenzen, die auch den jüngsten Wahlkampf prägten, entzündeten sich an der Frage, wie künftig mit den Rohstoffen des Landes umgegangen werden soll. Die Mongolei, die sich in einem langen Unabhängigkeitskrieg zwischen 1911 und 1924 von China getrennt hatte und dann zu einem Staat nach sowjetischem Vorbild mit stark eingeschränkter Unabhängigkeit wurde, ist reich an Kupfer, Kohle, Molybdän und anderen Bodenschätzen. Das Kupferkombinat von Erdenet, das zu 51 Prozent dem mongolischen und zu 49 Prozent dem russischen Staat gehört, ist bis heute der wichtigste Wirtschaftsfaktor. Mit den steigenden Rohstoffpreisen wurde das Land zwischen China und Russland, dessen 2,3 Millionen Einwohner zur Hälfte Bauern und Nomaden sind, plötzlich interessant für internationale Konzerne. Die mongolischen Parteien streiten gegenwärtig darüber, in welcher Form und zu welchen Bedingungen ausländischen Unternehmen der Zugriff auf die Bodenschätze ermöglicht werden soll. Es wird erwogen, künftig Anteile an strategisch wichtigen privaten Bergbauprojekten von 34 bis 51 Prozent in einen Staatsfonds einzubringen. Entsprechende Gesetze konnten bislang noch nicht auf den Weg gebracht werden, die unklaren Mehrheitsverhältnisse im Parlament verhinderten das. Sollte die MRVP tatsächlich die angekündigten 50 von 76 Sitzen im Parlament erhalten, könnte die Demokratische Partei mit ihren 25 Abgeordneten kaum noch Einfluss auf den Gang der Dinge nehmen. www.welt.de/welt_print/article2172150/...fmarsch_in_der_Mongolei.html |