BANKENKRISE Wetten gegen die Deutsche Bank Steckt hinter dem Kursrutsch der Deutschen Bank vom Freitag ein gezielter Angriff von Spekulanten? Banker sehen Indizien für diesen Verdacht.
Frankfurt/New York Es waren dramatische Stunden. Am vergangenen Freitag brachen die Kurse europäischer Banken massiv ein. Die höchsten Verluste musste die Deutsche Bank verkraften, zeitweise lag die Aktie des größten heimischen Geldhauses mit 15 Prozent im Minus. An den Märkten wuchs die Sorge, dass sich die Bankenkrise nach dem Kollaps von drei kleineren Geldhäusern in den USA und der Notübernahme von Credit Suisse weiter ausbreitet. Was war geschehen?
Eindeutige Antworten gibt es nicht, aber einen Verdacht und den Versuch einer Erklärung. „Die Deutsche Bank hat selbst gerade erst eine Sanierung hinter sich und bietet deshalb noch immer Angriffsflächen, gerade in einem so nervösen Markt“, analysiert der Vorstand einer deutschen Bank. Aber für einen derart dramatischen Absturz der Aktie gebe es keine fundamentale Rechtfertigung. Das Muster der Handelsbewegungen spreche für eine gezielte Attacke von Hedgefonds und anderen aktivistischen Investoren.
Auch ein anderer Banker mit Kenntnis der Handelsmuster vom Freitag vermutet hinter den Turbulenzen sogenannte Shortseller, die nach den Turbulenzen der vergangenen Wochen mit Wetten auf Kursverluste europäischer Bankaktien Geld verdienen wollen. „Ihre belastete Vergangenheit macht die Deutsche Bank anfällig für solche Attacken“, sagt er.
Der Kursrutsch an der Börse ging vom Markt für Kreditderivate aus, mit denen sich Investoren gegen einen Zahlungsausfall von Staaten und Unternehmen absichern können. Die Risikoprämien von Credit Default Swaps (CDS) der Deutschen Bank lagen am vergangenen Mittwoch noch bei 1,42 Prozentpunkten. Am Donnerstag schossen die Prämien in die Höhe, und am Freitag kosteten die Derivate nach Angaben des Datenanbieters S&P Global Market Intelligence 2,08 Prozentpunkte. Das bedeutet, Anleger mussten für die Absicherung eines zehn Millionen Euro schweren Pakets von Deutsche-Bank-Anleihen 208.000 Euro bezahlen.
Analysten sehen Indiz für wachsendes Interesse von Hedgefonds an der Deutschen Bank Die CDS gelten als wichtiges Maß für das Risiko einer Bank. „Über diesen Derivatemarkt lassen sich mit begrenztem Kapitalaufwand auch die Aktienkurse in Bewegung bringen“, meint ein Frankfurter Banker.
In der vergangenen Woche ist laut der US-Börse ICE die Zahl der Preisanfragen für CDS der Deutschen Bank um 30 Prozent gestiegen. Laut der Nachrichtenagentur Bloomberg werten Experten das als Indiz für wachsendes Interesse von Hedgefonds an den Kreditderivaten der Deutschen Bank.
Der US-Hedgefonds-Manager Boaz Weinstein hatte am Donnerstag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter auf einen „wirklich gewaltigen“ Anstieg der Risikoprämien bei Kreditderivaten nachrangiger Anleihen von Deutscher Bank und Barclays hingewiesen.
Das Interesse von Shortsellern an der Deutschen Bank hat in den vergangenen Wochen deutlich zugenommen. Nach Daten von IHS Markit werden aktuell 2,6 Prozent aller ausstehenden Aktien des Instituts für Wetten auf Kursverluste eingesetzt. Laut Bloomberg ist das der höchste Wert seit dem vergangenen Mai. Im Februar hatte der Wert noch bei unter einem Prozent gelegen.
Im Verlauf des Freitags konnte sich die Deutsche Bank an der Börse deutlich von ihren Kursverlusten erholen. Zum Ende des europäischen Handels lag das Minus noch bei rund acht Prozent, an der Wall Street schloss die Aktie mit minus drei Prozent.
Der massive Kursrutsch Ende vergangener Woche rief auch Bundeskanzler Olaf Scholz auf den Plan, der der Deutschen Bank demonstrativ sein Vertrauen aussprach. „Es gibt keinen Anlass, sich irgendwelche Gedanken zu machen“, sagte er. Die Deutsche Bank habe ihr Geschäftsmodell grundlegend modernisiert, neu organisiert, und sie „ist sehr profitabel“.
Auch mehrere Analysten betonten, dass sie keine fundamentalen Gründe für den Kursrutsch sehen. „Um es ganz klar zu sagen: „Die Deutsche Bank ist nicht die nächste Credit Suisse“, betonten Stuart Graham und Leona Li, Analysten von Autonomous Research.
„Die Sorgen, von denen wir hören, beziehen sich auf das Engagement am US-Gewerbeimmobilienmarkt und das große Derivatebuch der Bank“, schreiben die Experten. Beides sei aber zum einen bekannt und zum anderen nicht besonders besorgniserregend. Mit Bezug auf die Kapital- und Liquiditätsausstattung und mit Blick auf die Überlebensfähigkeit der Deutschen Bank generell machten sich die Analysten keine Sorgen, betonen sie in einer aktuellen Studie.
Investoren sollten sich auf die Fundamentaldaten der Bank konzentrieren, betonte auch Kian Abouhossein, Analyst von JP Morgan Chase. Er verweist unter anderem auf die Profitabilität und auf die „starken Liquiditätskennzahlen“. Daher seien der zunächst scharfe Einbruch des Aktienkurses und die gestiegenen Risikoprämien nicht gerechtfertigt. Citigroup-Analyst Andrew Coombs betonte: „Wir halten dies für einen irrationalen Markt.“
Die Deutsche Bank hat im vergangenen Jahr einen Vorsteuergewinn von 5,6 Milliarden Euro erzielt, ein Plus von 65 Prozent und das höchste Ergebnis seit 15 Jahren. Sorgen bereitet einigen Investoren allerdings das starke Engagement des Instituts am US-Markt für Gewerbeimmobilien. Durch die rasante Zinswende in den USA ist die Angst vor Kreditausfällen in diesem Bereich in den vergangenen Wochen deutlich gewachsen.
Mit einem Portfolio von 16,8 Milliarden Dollar gehöre die Deutsche Bank zu den anfälligeren europäischen Instituten bei US-Gewerbeimmobilien, heißt es in der Autonomous-Studie. Allerdings sollte das Engagement, das 35 Prozent der harten Kernkapitalquote des Geldhauses entspreche, prinzipiell gut zu managen sein.
Am Freitag waren auch andere europäische Geldhäuser an der Börse massiv unter Druck geraten. Die Aktien von Banken wie ING in Amsterdam und der Société Générale in Paris verloren bis zu 4,4 Prozent.
In Finanzkreisen heißt es, dass die Aufseher der Europäischen Zentralbank EZB seit Ausbruch der Krise permanent intensiven Kontakt zu allen größeren Banken in der Euro-Zone pflegten. Das gelte auch für die Deutsche Bank.
Die vor dem Wochenende in Brüssel zum EU-Gipfel versammelten Regierungschefs versuchten die Märkte zu beruhigen. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte versicherte, der Bankensektor sei sicher, die Aufsicht streng genug. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron machte Spekulanten für die Kursverluste verantwortlich.
EZB-Chefin Lagarde: „Unser Bankensektor ist widerstandsfähig“ Zuvor hatte die Präsidentin der EZB, Christine Lagarde, den Regierungschefs versichert, was sie Anfang der Woche auch schon im Europaparlament gesagt hatte: Die Banken hätten mehr als genug Kapital und Liquidität. In ihrer Abschlusserklärung bekräftigten die Regierungschefs dann den Satz, den Lagarde schon die ganze Woche benutzt: „Unser Bankensektor ist widerstandsfähig.“
Diese Diagnose sei im Prinzip richtig, bedeute aber noch nicht, dass die Turbulenzen bereits ausgestanden seien, meint ein Frankfurter Banker. Der Kursrutsch der Deutschen Bank habe gezeigt, wie nervös der Markt sei, und dass auch kleine, schlechte Nachrichten sehr schnell große Folgen nach sich ziehen könnten.
Eine seriöse Prognose auch nur für die nächsten Tage sei kaum möglich. Für den Notfall hat EZB-Chefin Lagarde bereits signalisiert, dass die Notenbank über alle nötigen Mittel verfüge, um die Banken zu stabilisieren.
https://www.handelsblatt.com/finanzen/...-deutsche-bank/29059318.html |