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"Kurzfristig positiv, langfristig Katastrophe"
Mit neuen milliardenschweren Stützungsaktionen versuchen die großen Notenbanken unter Führung der US-Federal Reserve (Fed) der angeschlagenen Finanzindustrie aus der Klemme zu helfen. Die Finanzmärkte reagierten geradezu euphorisch. Doch nach der ersten Begeisterung mehrten sich die skeptischen Stimmen. Einige sprachen von einer "Katastrophe".
11 März 2008 Die Fed stellt den Banken Liquidität in Höhe von 200 Mrd. Dollar zur Verfügung - und akzeptiert dafür als Sicherheit erstmals in größerem Umfang die kaum noch verkäuflichen Hypothekenanleihen.
Besonders die Finanztitel machten Sprünge: Die Aktien der angeschlagenen Immoblienfinanzierer Washington Mutual und Corntrywide Financial schossen um 21 und 13 Prozent in die Höhe, die großen Investmentbanken Lehman Brothers, JP Morgan Chase und Citigroup jeweils über fünf Prozent. Auch der Dollar gewann gestern kräftig an Boden. Gleichzeitig zogen vor allem in den USA die Renditen von Staatsanleihen deutlich an, weil Marktteilnehmer davon ausgehen, dass die zusätzlichen Liquiditätshilfen den Bedarf an weiteren Zinssenkungen durch die Fed reduzieren.
Dabei war es nicht die erste Rettungsaktion der Notenbanken. Erst am Freitag hatte die Fed angekündigt, dass sie ihre üblichen Maßnahmen zur Liquiditätsversorgung der Banken um 200 Mrd. Dollar aufstockt. Und im vergangenen Dezember hatten die großen Notenbanken erstmals in einer konzertierten Aktion den Markt gestützt.
Damals hatte die Erwartung bestanden, dass sich die Liquiditätsprobleme der Banken nach dem Jahreswechsel und nach der Vorlage der Bankbilanzen nachhaltig entspannen würden. Diese Hoffnung wurde enttäuscht. "Seit der koordinierten Aktion im Dezember 2007 ist der Liquiditätsdruck in einigen Refinanzierungsmärkten zuletzt wieder gestiegen", begründeten die Notenbanken gestern in gleich lautenden Erklärungen ihr Eingreifen.
Hintergrund ist die Krise am US-Immobilienmarkt. Seit dort die Preise nicht mehr stark steigen, sondern fallen, hat sich herausgestellt, dass viele Wertpapiere, die direkt oder indirekt am US-Immobilienmarkt hängen, viel weniger sicher und werthaltig sind, als die Käufer gemäß der Risikoeinstufung erwarten konnten.
Dies hat bereits zu Abschreibungen im Volumen von mehr als 200 Mrd. Dollar geführt. Ein Ende ist noch nicht abzusehen. Schätzungen für den Gesamtschaden gehen bis zu 600 Mrd. Dollar. Viele dieser Finanzprodukte lassen sich derzeit überhaupt nicht verkaufen, weil Abnehmer fehlen. All das hat zu einer generellen Liquiditätsknappheit im Finanzsektor geführt.
Im Rahmen ihres neuen Liquiditätsprogramms überlässt die US-Notenbank den 20 größten Banken, mit denen sie in regelmäßigen Geschäftsbeziehungen steht (Primary Dealer), für 28 Tage US-Staatsanleihen, die die Institute aufgrund ihrer hohen Liquidität und Sicherheit hervorragend zur Liquiditätsbeschaffung einsetzen können. Als Sicherheit akzeptiert die Notenbank Anleihen, die mit Hypothekendarlehen besichert sind, sogenannte Mortgage Backed Securities (MBS), sofern diese ein erstklassiges Rating aufweisen.
Trotz ihres guten Ratings sind diese MBS-Papiere zurzeit am Markt so gut wie unverkäuflich - weil die Marktteilnehmer den Bonitätsnoten der Ratingagenturen misstrauen. Indem sich die Fed bereiterklärt, diese Papiere in großem Umfang zu übernehmen, hofft die Notenbank nun, den Markt dafür wieder in Gang zu bringen.
Besonders begünstigt sind die 20 "Primary Dealer", zu denen auch die Deutsche Bank gehört. Sie können Bestände, die sie selbst halten, direkt bei der Notenbank flüssigmachen.
Gegenüber den von der Fed bekanntgegebenen Maßnahmen sind diejenigen der übrigen Notenbanken eher symbolischer Natur. Die Federal Reserve stellt der EZB und der Schweizerischen Nationalbank im Rahmen eines Währungstauschs Dollar-Liquidität zur Verfügung, die diese im Auktionsverfahren unter die europäischen Banken bringen.
Die EZB kündigte für Ende März eine Liquiditätsauktion im Volumen von 15 Mrd. Dollar mit einer Laufzeit von 28 Tagen an und gab bekannt, dass sie diese Maßnahmen so lange wie nötig fortsetzen werde. Die Bank von England weitete für die anstehenden Refinanzierungsgeschäfte mit den Banken den Kreis der als Sicherheiten akzeptierten Wertpapiere aus.
"Ich persönlich halte das für einen klugen Schachzug", sagte Vermögensverwalter Espen Furnes von Storebrand Asset Management im norwegischen Oslo. Am Markt seien aber auch Stimmen zu hören, die den Schritt als kurzfristige Therapie der Symptome und nicht der Krankheit bezeichneten.
"Das Ausmaß der Maßnahmen ist sicher groß, aber es bleibt abzuwarten, ob das den Märkten allzu viel hilft", urteilte ein Händler. Es zeige einmal mehr, wie ernst die Lage mittlerweile sei. Der Dax sei überverkauft, was die Erholung mit anfache. Möglicherweise erhielten nun die Spekulationen auf Zinssenkungen Auftrieb.
Skeptisch äußern sich Marktteilnehmer, was die Nachhaltigkeit der Kursgewinne angeht. "Hier sind sicher viele Teilnehmer, die von neuen Jahrestiefs ausgegangen waren, eiskalt erwischt worden", sagte ein Händler. Ob sich damit aber auch die mittel- und längerfristig orientierten Käufer aus der Reserve locken lassen, sei noch fraglich.
An den Belastungsfaktoren und der Unsicherheit habe sich nichts geändert, so dass die Gegenbewegung schnell ins Stocken geraten könnte. Andere stimmten zu: "Die Fed flutet den Markt mit Geld. Kurzfristig ist das positiv, langfristig ist das eine Katastrophe." Ob die Transaktion zu einer Beruhigung der Märkte genüge, bleibe abzuwarten.
Zumindest konnte der Dax das Tageshoch nicht verteidigen. "Anscheinend wurde der Anstieg schon wieder zu Verkäufen genutzt", meinte ein Marktteilnehmer. Risikofaktoren wie der hohe Ölpreis, der starke Euro sowie die konjunkturellen Unsicherheiten würden nach wie vor bestehen. Symptomatisch sei, dass der kurzfristige Abwärtstrend bei 6 550 Punkten nicht überwunden werden konnte.
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