Konjunktur: Amerikas Erholung fehlt die Kraft Die US-Konjunktur dreht ins Plus, Gewinne und Auftragseingänge steigen, die Börsen jubeln. Doch die weltgrößte Volkswirtschaft ist auf Drogen gesetzt, und die verlieren ihre Wirkung.
Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende? Über Nordamerikas wirtschaftliche Perspektiven gibt es zwei grundverschiedene Einschätzungen. "Alles wird gut", davon ist die eine Fraktion zunehmend überzeugt: "Warten Sie nicht länger auf den Crash, der war längst da", empfahl Börsen-Guru Jim Cramer seiner TV-Fangemeinde am ersten Handelstag des neuen Jahres. Die Bullen der Wall Street sammeln erste stichhaltige Argumente, und täglich werden es mehr: Der nächste Konjunktur-Report wird ein solides Plus für das Schlussquartal 2009 ausweisen. Die Ergebnisse führender US-Konzerne drehen nach einem vierjährigen, steilen Absturz in den positiven Bereich. Die im Vorjahr noch am Rande des Ruins operierenden Großbanken atmen tief durch, dank Nullzins und einer Geldschwemme der Notenbanken laufen die Finanzmärkte seit Monaten famos. Womöglich wird die weltgrößte Volkswirtschaft am Freitag sogar Entspannung bei ihrem drängendsten Problem vermelden: Die USA könnten im Dezember 2009 unterm Strich erstmals wieder einige Zehntausend Arbeitsplätze geschaffen haben. Zuvor waren im Zuge der Rezession gut sieben Millionen Jobs verloren gegangen.
Wird jetzt alles gut? "Vorsicht", warnt die zweite Fraktion, die von renommierten Ökonomen angeführt wird. Nobelpreisträger Paul Krugman bewertet die jüngsten Erfolgsmeldungen aus der US-Wirtschaft als "Piepstöne", die nicht viel mehr als "eine statistische Illusion" seien. Gelegentliche Ausreißer nach oben seien normal bei Ländern, die in einem langen Abschwung steckten, warnt Krugman in der "New York Times". Als Beispiel führt er die Zwischenerholung der japanischen Wirtschaft an, die 1996 in vorläufigen Reports ein Konjunkturplus von zwölf Prozent als große Wende feierte. Im Rückspiegel betrachtet, steckte Japan damals mittendrin in einer Phase, die als "verlorene Dekade" in die Geschichtsbücher einging. Auch den USA ist das Phänomen des Schein-Aufschwungs nach einem tiefen Konjunktureinbruch geläufig; Notenbank-Chef Ben Bernanke hat das Thema sogar ausführlich studiert. Als die Regierung Roosevelt 1937 die Große Depression für beendet erklärte und ihre staatlichen Hilfen einstellte, rauschte die Wirtschaft umgehend zurück in den roten Bereich. Auf "30 bis 40 Prozent" schätzt Krugman heute die Wahrscheinlichkeit, dass den USA in der zweiten Jahreshälfte 2010 die nächste Rezession droht.
Der langfristige Trend bleibe klar negativ, mahnt auch Allen Sinai, Mitgründer der US-Beratungsfirma Decision Economics. Er verweist auf die historisch hohen Staatsschulden und das Millionenheer von Arbeitslosen, dem sich in den nächsten Jahren nur unzureichend neue Jobmöglichkeiten böten.
Welche Kennzahlen beschreiben die Perspektiven Amerikas also besser? Arbeitslosenquote, Staatsverschuldung und Dollarschwäche - oder Konjunkturdaten, Firmengewinne und Börsen-Rally?
Die Argumente der Optimisten stechen nur auf kurze Sicht. Der momentane Aufschwung ist darauf zurückzuführen, dass Firmen ihre Produktion nach historischen Einschnitten wieder hochgefahren haben und die Läger auffüllen. Auf dem Papier erzeugt das ein hochprozentiges Plus, obwohl sich die Umsätze vieler Unternehmen bisher kaum nennenswert von ihrem Absturz erholt haben. Die Erfahrung lehrt, dass solche Erholungen, die allein auf einer Wende beim Inventar-Zyklus beruhen, keine langen Beine haben.
Zudem verschweigen die Bullen gerne, dass der Aufschwung bisher nahezu ausschließlich auf Staatsdoping beruht. Dessen Wirkung ist kurzfristig bekanntlich stimulierend, auf Sicht aber akut gesundheitsgefährdend. Um Banken- und Industrie-Riesen vor dem Kollaps zu bewahren, hat Washington mehr als acht Billionen Dollar Rettungsgelder in seine Wirtschaft gepumpt. Viele dieser Aktionen verlieren in den nächsten Monaten ihre Wirkung, etwa das fast 800 Milliarden Dollar schwere Stimuluspaket. Ein Programm der Notenbank Fed zum massenweisen Aufkauf von Hypothekendarlehen steht vor der Einstellung, die Geldmengenausweitung über den Kauf von Staatsanleihen ist bereits gestoppt. Wohl und Wehe des Wirtschaftsjahrs 2010 dürften entscheidend von der Exit-Strategie der US-Regierung abhängen, einem äußerst gefährlichen Balanceakt: Nicht nur die Wall Street, die ganze Welt drückt Bernanke die Daumen. Zieht er nur ein bisschen zu früh die Zügel an, droht ein Rückfall in die Krise. Eine Überzeugung teilen schließlich Optimisten wie Pessimisten: Auf eigenen Beinen, also ohne die zahlreichen Stützen der US-Regierung, kann Amerika noch längst nicht wieder laufen.
Für eine nachhaltige Erholung benötigt die konsumgetriebene US-Wirtschaft Entspannungssignale an hochverschuldete Verbraucher und durchgreifenden Optimismus aufseiten der Unternehmen, um neue Investitionsschübe einzuleiten. Beides können sich die Bullen sehnlich wünschen, aber nicht herbeizaubern. |