Ein Rapsfeld blüht vor der Industriekulisse eines Stahlwerks in Duisburg: In Zeiten drohender Ölknappheit werden alternative Energiequellen wie Biomasse immer wichtiger. Quelle: ap
FRANKFURT. "Die chemische Industrie wird ihre Rohstoff-Versorgung auf eine breitere Basis stellen müssen", lautet die Diagnose in einem Positionspapier, das die führenden deutschen Chemie-Organisationen jüngst präsentierten.
Sowohl technisch als auch wirtschaftlich birgt dieser Wandel große Herausforderungen. Denn Erdöl ist heute noch Ausgangsbasis für etwa 80 Prozent der deutschen und europäischen Chemieproduktion. Vor allem das im Öl relativ leicht zugängliche Element Kohlenstoff macht es attraktiv. Verfahren, um das Gemisch an Kohlenwasserstoffen im Erdöl zu "fraktionieren" und das dabei gewonnene Rohbenzin (Naphtha) dann in kleinere chemische Basis-Substanzen aufzuspalten ("cracken"), wurden in den vergangenen Jahrzehnten stetig optimiert. Neue Rohstoffe müssen daher gegen eine hocheffiziente und bewährte Wertschöpfungskette antreten.
Dabei ist das Reservoir an alternativen Kohlenstoffquellen im Prinzip unerschöpflich. In höherer Konzentration ist das Element in Erdgas, Kohle, regenerativen Rohstoffen wie pflanzlicher Biomasse und nicht zuletzt auch im viel geschmähten Kohlendioxid (CO2) enthalten.
Erdgas wird bedeutsamer
Das Problem besteht darin, dass der Kohlenstoff in diesen alternativen Rohstoffen meist in komplexeren oder energieärmeren Strukturen gebunden ist. Ihn herauszulösen erfordert daher höheren Aufwand oder Energieeinsatz. Zudem bieten diese Alternativrohstoffe bislang nur teilweise den Zugang zu jenen etwa 200 "unsterblichen" Grund- und Zwischenprodukten, die heute der Grundstein für die vielen Tausend unterschiedlichen Endprodukte der chemischen Industrie sind. Eine Verbreiterung der Rohstoffbasis wird daher nach Einschätzung von Wissenschaftlern und Industrievertretern erhebliche Investitionen in Verfahrenstechnik und Grundlagenforschung erfordern.
Am günstigsten sieht es bei Erdgas aus, das schon heute eine größere Rolle als Chemierohstoff spielt. "Auch für die deutsche Chemieindustrie wird Erdgas als Rohstoff wohl an Bedeutung gewinnen", schätzt Michael Röper, der für das Innovationsmanagement der BASF zuständig ist. Im Vergleich zu Öl zeichnet sich dieser fossile Rohstoff derzeit durch eine höhere Reichweite der Reserven, größere Versorgungssicherheit sowie günstigere Preise aus. Es bietet aber weniger Vielfalt in den Folgeprodukten.
Je nach Lagerstätte besteht Erdgas hauptsächlich aus Methan, teilweise auch aus längerkettigen Kohlenwasserstoffen wie Ethan, Butan oder Propan. Zwei Möglichkeiten der Verarbeitung nutzt die Chemie schon heute: zum einen die Produktion der Basischemikalie Ethylen aus dem in Erdgas enthaltenen Ethan mit Hilfe von sogenannten Ethan-Crackern, zum anderen die Umwandlung von Erdgas in Synthesegas (ein Gemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff), aus dem wiederum wichtige Chemiebausteine wie Methanol oder Propylen synthetisiert werden.
Eine zentrale Herausforderung sehen Chemiker darin, Methan und Ethan auf direkterem Wege in Basischemikalien oder sogar in höherwertige Substanzen zu transformieren - eine Aufgabe, die nach Ansicht des Aachener Chemieprofessors Wilhelm Keim unter anderem noch erhebliche Fortschritte in der Entwicklung neuer Katalysatoren erfordert.
Derzeit deckt Erdgas etwa acht Prozent des Rohstoffbedarfs der deutschen Chemieindustrie. In Nordamerika und dem Mittleren Osten spielt es mit Anteilen von weit mehr als zehn Prozent bereits eine größere Rolle. Dortige Chemiekonzerne nutzen die bessere Verfügbarkeit und günstigen Preise von Erdgas und verfügen in dieser Hinsicht über einen gewissen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren europäischen Konkurrenten.
Biomasse als Rohstoff
Vor einer anspruchsvollen Aufgabe steht die Chemiebranche auch bei der stärkeren Nutzung regenerativer Rohstoffe. Derzeit decken sie immerhin bereits rund ein Zehntel des Rohstoffbedarfs der Branche, vor allem in Gestalt von Fetten, Ölen, Zucker, Stärke und Zellulose. In diesem Bereich konkurriert die Chemiebranche aber als Verarbeiter mit der Lebensmittelindustrie.
Attraktiv wäre im Prinzip vor allem eine stärkere Nutzung von Non-Food-Biomasse, also Reststoffen der Agrar- und Forstwirtschaft. Maßgebliche Hürden sind hier zum einen die niedrige Energiedichte von Biomasse, woraus sich vergleichsweise hohe Logistikkosten ergeben. Zum anderen handelt es sich um sehr komplexe Stoffgemische, was wiederum erheblichen Aufwand erfordert, um die für die Chemie interessanten Substanzen herauszulösen.
Für einen stärkeren Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen sind nach Einschätzung von Chemieexperten vor allem verbesserte Bioraffinerien erforderlich, die eine integrierte Produktion von Futtermitteln, Chemikalien und Kraftstoffkomponenten erlauben. Forschungsbedarf sehen sie daher unter anderem in der Weiterentwicklung sowohl von chemischen als auch biotechnischen Prozessen zur Aufarbeitung von lignin- und zellulosehaltiger Biomasse.
Kohlendioxid nutzbar machen
Eleganter, aber auch noch wesentlich schwieriger erscheint eine Nutzung des klimaschädlichen Kohlendioxids als Rohstoff. Die zentrale Herausforderung besteht in diesem Fall in dem Energieniveau dieses Gases. Das heißt, um den Kohlenstoff aus dem CO2 zu nutzen, ist erhebliche Energie beziehungsweise die Reaktion mit anderen energiereichen Molekülen nötig.
Eine naheliegende Synthese wäre etwa die Verarbeitung mit reinem Wasserstoff zu Methanol. Die Voraussetzung dafür wäre indessen die Verfügbarkeit von preisgünstigem Wasserstoff. Er dürfte dazu im Prinzip nicht teurer sein als Erdgas. Zudem würde eine solche Umstellung unter Klimagesichtspunkten nur Sinn machen, wenn die Erzeugung von Wasserstoff ausschließlich durch regenerative Energien erfolgt. Und selbst in diesem Falle bliebe die Frage, ob der Wasserstoff in anderen Bereichen nicht sinnvoller eingesetzt werden könne.
Abgesehen von wenigen Nischenanwendungen, etwa die Produktion von Harnstoff aus CO2 und Ammoniak, dürfte die Nutzung von CO2 als Chemierohstoff daher auf absehbare Zeit Zukunftsmusik bleiben.