Ich habe mich mal zwei Dinge, die mich einfach interessiert haben, genauer angeschaut. Erstens die Höhe des KGV, das für die Zukunft anzusetzen wäre. Dabei ist mir AMAZON in den Sinn gekommen. Warum AMAZON? Viele Gemeinsamkeiten mit Wirecard. Junges Unternehmen, einzelhandelsbasiert, disruptives Business, IT basiert, basierend auf einem Trend, der sich erst noch durchsetzen muss(te), Data Mining, Add on Services, Starkes Wachstum. Der Vergleich ist also eigentlich nicht an den Haaren herbeigezogen. Im Augenblick liegt das KGVe von Wirecard bei 26 und von Amazon bei fast 87. In der Spitze in 2019 lag das KGV von Wirecard dabei um die 60 und war damit auf Rekordhoch seit 2007 (Beginn meiner Aufzeichnungen). Bei Amazon lag das KGV in 2015 bei 541 und ging über 153 und 190 auf 75 für 2018. Jetzt ist die Aktie wieder stark davongelaufen und deswegen liegt es aktuell für 2019e bei 87 (Quelle comdirect). Schlussfolgerung: Wirecard steht KGV-mäßig sehr viel schlechter dar als Amazon, obwohl das in dem Maße eigentlich nicht gerechtfertigt ist. Aber, wenn wir das mal akzeptieren und annehmen, dass für Wirecard ein KGV von 30 auch in 2020 noch angemessen ist, müssten wir jetzt eigentlich schon einen Kurs von 180 Euro haben. Mindestens. Wirecard wird derzeit also im Vergleich zu Amazon doppelt bestraft: Erstens ist das KGV geringer und zweitens liegt die Aktie noch nicht einmal auf diesem niedrigeren Niveau. Dann das Thema MCA. Hier versteht ich die ganze Aufregung nicht. MCA’s sind schon seit vielen vielen Jahren in der Industrie gängig. Ist also kein neues Thema. MCA’s werden nicht als Bankdarlehen im üblichen, regulatorischen, Sinne angesehen. Das kann natürlich von Land zu Land etwas unterschiedlich sein. Deswegen vielleicht ein geringes Risiko in der Türkei und in Brasilien, dass dort gegen regulatorische Bestimmungen verstoßen wurde. Who cares. Für Wirecard bedeutet dieses, dass die relativ gering verzinsten Credit Facilites für einen höheren Prozentsatz weitergereicht werden können. Klassisches Bankgeschäft, wenn man so will, bloß mit dem Unterschied, dass Wirecard mehr über die Händler weiß wie die Bank und deswegen die Kredite sicherer sind. Dann: Wirecard hat 3 verschiedene Darlehenstypen, die sie anbieten: a) Fintech Loans für Fintechs, um deren Geschäft zu unterstützen b) Digital Credits; der klassische Kredit für Merchants nicht transaktionsbasiert, aber durch gute Sichtbarkeit, die zukünftigen Transaktionen der Händler betreffend, gut abgesichert c) Merchant Cash Advance; hier werden Forderungen der Händler (transaktionsbezogen) durch einen Cash Advance von Wirecard abgelöst. Noch sicherere Methode. Per 30.09. hatte Wirecard für a) und b) 360 Millionen in den Büchern stehen und für c) 320 Millionen. Die Frage, die die KPMG in diesem Zusammenhang eigentlich nur klären kann, ist ob gegen regulatorische Vorgaben in einzelnen Ländern verstoßen wurde und ob die Loans korrekt in der Bilanz (nicht GUV) verbucht worden sind. Gegebenenfalls schaut sich KPMG auch an, ob Umsätze betroffen sind, aber eigentlich sollten Kredite und auch die Zinsen hieraus nicht als Umsätze verbucht worden sein. Ich kenne es allerdings aus der Praxis so, dass wenn ein neuer, buchungsrelevanter Sachverhalt entsteht, der Wirtschaftsprüfer entweder vorher befragt wird oder der WP sich das neue Thema selber anschaut. War ja kein Geheimnis, dass Wirecard MCA’s anbietet. Auch wenn ich mich gebetsmühlenartig wiederhole: Die Aktie ist unterbewertet und doppelt bestraft wegen Vorwürfen, die erstens vermutlich nicht haltbar sind und zweitens, selbst wenn sie begründet wären (bei MCA) kaum merkliche Auswirkungen haben sollten. |