04.06.2008 16:01
von Angela Göpfert Der Harvard-Ökonom und ehemalige Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, Ken Rogoff, hat vor einem neuen Ausbruch der Finanzkrise gewarnt. Ein Blick auf den Geldmarkt zeigt, dass derartige Befürchtungen durchaus ihre Berechtigung haben.
Wer den Ausführungen der Geldmarkt-Experten derzeit lauscht, könnte als Unbeteiligter glatt den Eindruck gewinnen, hier sei eigentlich von einem angeschlagenen Sportler oder überanstrengten Manager die Rede: "Angespannt" und "verspannt" sind die Vokabeln, die in diesem Zusammenhang wohl am häufigsten fallen.
Worauf diese gängigen Floskeln hinweisen, sollte Akteuren an den Finanzmärkten indes zu denken geben, nämlich: Es gibt immer noch ein Liquiditätsproblem, die Vertrauenskrise unter den Banken ist keineswegs behoben. Seit Ausbruch der Finanzmarktkrise im August 2007 habe sich die Situation am Geldmarkt nicht substanziell verändert, betont denn auch Unicredit-Anleihenstratege Kornelius Purps im Gespräch mit boerse.ARD.de.
Warnung vor "Illusionen" Soll heißen: Die Gutgläubigkeit und optimistische Hoffnung, dass in Bezug auf die Finanzkrise das Schlimmste ausgestanden sei und es nun nur noch bergauf gehen könne, die die Aktienmärkte im April und Mai beherrschte, wurde am Geldmarkt offenbar so nie gespielt.
Besonders hier zeige sich durch nach wie vor hohe Risikoprämien, "dass das Vertrauen in die Liquidität der Märkte nach wie vor nicht gefestigt ist", warnte denn auch Bundesbank-Vizepräsident Franz-Christoph Zeitler vor kurzem. Es wäre daher im derzeitigen Umfeld eine recht "gefährliche Illusion", zur Tagesordnung überzugehen. Bild zum Artikel vergrößernDer Euribor notiert wieder auf sehr hohem Niveau
Hohe Risikoprämien Festmachen lässt sich die immer noch präsente Vertrauenskrise unter den Banken vor allem an den Zinsen für längerfristige Kredite. Der Euribor (Euro Interbank Offered Rate) ist ein für Termingelder in Euro ermittelter Zwischenbanken-Zinssatz; also der Zinssatz, zu dem die Banken bereit sind, sich untereinander Geld zu leihen. Der aktuelle Euribor-Satz für Dreimonatsgeld beläuft sich auf 4,87. Damit übersteigt er selbst das Niveau vom Sommer 2007 bei Weitem (siehe Grafik).
Der Risikozuschlag, den die Banken untereinander verlangen, ist enorm hoch: Bei einem seit Sommer 2007 unveränderten Leitzinsniveau von 4,00 Prozent liegt er bei mittlerweile 87 Basispunkten. Normalerweise liegt der Spread zwischen dem Leitzins und Euribor aber nur bei etwa 20 Basispunkten, wie Rentenmarkt-Experte Purps betont. Das aktuelle Zinsniveau am Geldmarkt entspricht damit eher einem Leitzins von 4,75 Prozent als dem tatsächlichen von 4,00 Prozent.
Kein Raum für Zinserhöhungen? Angesichts der nach wie vor angespannten Lage am Geldmarkt und der sich abschwächenden Konjunktur rechnen Marktbeobachter daher nicht mit einer Änderung des Leitzinses auf der am Donnerstag anstehenden Sitzung der EZB.
Trotz der sich verschärfenden Inflationsrisiken erwartet Commerzbank-Experte Michael Schubert noch nicht einmal eine nochmals verschärfte Wortwahl Jean-Claude Trichets, die explizit auf die Option einer baldigen Zinserhöhung hinweisen könnte. Er rechne vielmehr mit "eher abwägenden Worte der EZB". Gründe dafür dürften unter anderem "die anhaltende Spannung am Geldmarkt und die daraus folgende Unsicherheit über die Auswirkungen auf die Realwirtschaft" sein.
EZB teilt "Extra-Geld" zu Wie groß der Liquiditätsbedarf der Märkte nach wie vor ist, zeigt dabei auch die übervorsichtige "Refi-Politik" der EZB nach dem Motto: lieber zuviel als zuwenig. Beim wöchentlichen Refinanzierungsgeschäft teilte die EZB am Dienstag 153 Milliarden Euro zu. Das waren 3,5 Milliarden Euro mehr, als nach ihren Berechnungen nötig gewesen wäre; in der Woche zuvor teilte sie sogar 14 Milliarden "extra" zu. Das Volumen der Gebote lag mit 210 Milliarden Euro sogar knapp 40 Prozent höher.
Das zeigt zwar einerseits, wie groß die Zurückhaltung und allgemeine Nervosität am Geldmarkt immer noch ist. Andererseits ist die Situation auch nicht mehr ganz mit der Krisenstimmung im März vergleichbar: Damals erhielt die EZB zum Teil Gebote, die doppelt so hoch waren wie das, was der Markt rein rechnerisch benötigte.
Dollar-Nachfrage stark gestiegen Überraschend ist indes auch die stark zunehmende Schwierigkeit der europäischen Banken, sich über Devisen- und Swapmärkte Dollar-Liquidität zu verschaffen: So musste die EZB zuletzt ihren alle zwei Wochen stattfindenden Dollar-Tender mit 28 Tagen Laufzeit von 15 auf 25 Milliarden Dollar aufstocken. Die Gebote überstiegen das mit 65,855 Milliarden Dollar um mehr als das Doppelte.
Dabei kann die EZB aber weiterhin nur die Symptome der Finanzkrise kurieren, indem sie Liquidität in die Märkte pumpt. Die eigentliche Ursache, nämlich die Vertrauenskrise unter den Banken, bleibt weiterhin bestehen. Daran wird wohl auch erst "ein Ende der Abschreibungsorgie" ändern können, wie Unicredit-Experte Purps betont. Tatsächlich dürfte die Zuversicht mit jedem neuen Quartalsbericht der Finanzinstitute ansteigen.
Realistische Töne Doch eine Rückkehr zu den alten Risikoprämien von 20 Basispunkten scheint vorerst unmöglich. Die Rentenexperten der HSH Nordbank rechnen bis zum Jahresende wieder mit einem Spread zwischen dem 3-Monats-Libor und dem Leitzins von 35 Basispunkten.
Dabei lässt sich mit ein wenig gutem Willen, den gestiegenen Risikoprämien sogar etwas Positives abgewinnen: So kann man sie denn auch als eine etwas realistischere "Einpreisung" der Risiken an den Kreditmärkten sehen, die vor Ausbruch der Krise quasi negiert wurden und die somit die Entstehung der Blase erst möglich machten. |