Wegen anhaltender Spekulationen über neue Verluste gehört die Commerzbank-Aktie wieder zu den größten Verlierern im Dax. Deren Manager sehen sich als Opfer einer gezielten Indiskretion von Merrill Lynch und prüfen eine Klage gegen die US-Bank. Frankfurt am Main - In der Anfrage an die Ratingagentur S&P hatte eine Angestellte von Merrill Lynch offenbar Gerüchte über Verluste im Derivategeschäft der Commerzbank aufgegriffen und nach möglichen Konsequenzen für die Kreditwürdigkeit der Commerzbank gefragt. Die E-Mail war dann in der Wochenend-Ausgabe der "Financial Times" ("FT") veröffentlicht worden. Die Mail soll auch folgenden Satz enthalten haben: "Offensichtlich haben mehrere Banken damit begonnen, ihre Kreditlinien einzuschränken". "Merrill benutzt wissentlich falsche Zahlen, das ist eine Frechheit. Wir behalten uns rechtliche Schritte vor", sagte Commerzbank-Sprecher Ulrich Ramm. Das Geldinstitut hatte das am Freitag in Londoner Marktkreisen aufgekommene Gerücht noch am selben Tag dementiert. Die Bank habe derzeit weder Liquiditätsprobleme noch Schwierigkeiten im Derivatehandel, bekräftigte Ramm und verwies auf entsprechende Aussagen von Commerzbank-Chef Klaus-Peter Müller.
Bei Merrill Lynch versteht man der "FT" zufolge die ganze Aufregung nicht: "Diese Situation ist im Rahmen eines regelmäßigen täglichen Kontakts zwischen unserer internen Kreditabteilung und einer der Ratingagenturen entstanden", sagte Paul Roy, Co-President Globale Märkte und Investmentbanking bei Merrill Lynch. Es habe sich dabei um eine E-Mail gehandelt, die von einer Person an eine andere Person gerichtet gewesen sei. "Wir stehen vor einem Rätsel, wie diese Mail an die Öffentlichkeit gelangen und warum sie so unverhältnismäßig verstanden werden konnte."
"Wichtig aber ist, dass wir keine Änderungen in unserer Kreditpolitik mit der Commerzbank vorgenommen haben. Diese Überreaktion ist Teil einer leicht hysterischen Natur der jüngst im Markt brodelnden Gerüchteküche", fügte Roy hinzu. Die Ratingagentur Fitch senkte unterdessen den Ausblick für die Commerzbank am Freitagabend auf "negativ". Die Revision reflektiere den wachsenden Druck auf die Geschäftsentwicklung der Commerzbank angesichts der anhaltenden Konjunkturschwäche, teilte die Agentur zur Begründung mit.
Das Commerzbank-Papier fiel trotz der Dementis in einem schwachen Marktumfeld weiter stark zurück. Die Aktie verbilligte sich am Montagvormittag um 7,26 Prozent auf nunmehr 5,62 Euro. Zur gleichen Zeit notierte der Dax mit 2,4 Prozent bei 2649 Punkten im roten Bereich.
Die Veröffentlichung der E-Mail wirkte sich nach Einschätzung von Händlern nicht nur auf die Titel der Commerzbank, sondern auf alle Bankwerte aus. "Das zerstört das Vertrauen in die gesamte Branche", so ein Händler. Ob die Indiskretion gezielt oder unbeabsichtigt war, spiele keine Rolle mehr. Böswillige Gerüchte ließen sich im derzeitigen Klima leicht verbreiten, fügte ein anderer Händler hinzu. Ihnen sei schwer zu begegnen. Eine Möglichkeit sei die vorzeitige Veröffentlichung von Quartalszahlen durch die Commerzbank. Das Institut will dem Sprecher zufolge die Zahlen aber wie geplant am 12. November vorlegen.
Dennoch reißen die Spekulationen um die Commerzbank nicht ab. So meldete die "Financial Times" in ihrer Montagausgabe dass die Commerzbank zusätzlich zu den bereits angekündigten 4.300 Stellenstreichung bis Ende 2003 noch weitere Hunderte von Arbeitsplätzen abgebaut werden sollen.
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