Aus dem kommenden LdR Newsletter:
JB war nervös, als er das heruntergekommene Konferenzzentrum betrat, in dem die diesjährige Hauptversammlung von Nel ASA stattfand. Der einstige Wasserstofftraum hatte sich längst in einen Albtraum verwandelt, doch JB – gutgläubig und hoffnungslos naiv – glaubte noch immer fest an eine Wende. Er hatte sich vorbereitet. Eine Rede geschrieben. Die Wahrheit sagen wollte. Die Wahrheit, wie nur er sie verstand.
Der große Saal war leer. Staub lag auf den billigen Plastikstühlen, das Neonlicht flackerte müde. Außer JB waren nur zwei weitere Aktionäre erschienen: ein schlafender Obdachloser, der wahrscheinlich dachte, es gäbe hier Suppe – und Höllie.
Höllie saß in der ersten Reihe, leicht nach vorn gebeugt, die Hose halb offen. In seinen zitternden Händen hielt er ein altes Smartphone und kicherte durchgehend debil, während er sich mit glasigem Blick Fotos von Kindergartenkindern ansah. Gelegentlich murmelte er Dinge wie: „Hihihi… kleiner Max mit der Schaufel…“ und rieb sich dabei die Knie. Der Saal roch nach alten Socken und Wahnsinn.
Auf der Bühne saß der Vorstand. Drei Männer in teuren Anzügen, mit toten Augen. Der CEO trank aus einer Thermoskanne. JB räusperte sich, trat ans Mikrofon.
„Meine Damen und Herren!“, begann er mit zittriger Stimme. „Nel ist die Zukunft! Wasserstoff wird alles verändern! Und ich... ich habe 8000 Euro investiert – davon 7800 verloren –, aber das ist kein Grund, aufzugeben! Ich fordere: Wir müssen mehr Tanks bauen! Mehr PR machen! Ich habe sogar eine Idee für ein neues Logo – ein Wasserstoffmolekül in Herzform!“
Es herrschte Totenstille. Höllie kicherte hysterisch, ohne aufzusehen. Der Obdachlose schnarchte. Der Vorstand blieb regungslos.
Dann stand ein Vorstandsmitglied auf. Groß, kantig, mit einem Gesicht wie gemeißelter Zorn. Er stieg wortlos von der Bühne, ging mit schweren Schritten auf JB zu.
„Was... was machen Sie da?“, fragte JB verwirrt und wich zurück.
Der Mann sagte kein Wort. Ohne Vorwarnung holte er aus – und verpasste JB einen Tritt in die Hoden, so brutal, dass JB wie ein nasser Sack zusammenbrach. Ein schriller Schrei zerriss die Stille, gefolgt von einem widerlichen Würgegeräusch. JB lag am Boden, krümmte sich, wimmerte, unfähig zu atmen. Die Kamera, die das Event eigentlich für Investoren streamen sollte, zoomte langsam auf sein verzerrtes Gesicht.
„Genug geschwafelt“, sagte der Vorstandsmann kalt.
Zwei Security-Männer, offenbar von derselben Härte, packten JB, zerrten ihn wie einen Müllsack durch den Saal. Seine Rede flatterte zu Boden. Niemand hob sie auf.
Höllie, inzwischen völlig in seine Welt versunken, schaute kurz auf, kicherte: „Uuuiii, der fliegt gleich!“ und filmte mit zitternder Hand, während er ein neues Kinderfoto durchscrollte.
Draußen stand eine große schwarze Tonne, bereits halb voll mit verworfenen PR-Materialien und alten Werbebroschüren. Ohne ein weiteres Wort hoben die Sicherheitsleute JB hoch und warfen ihn kopfüber in den Müll. Der Deckel knallte zu.
Drinnen roch es nach Verfall. Nach gescheiterten Träumen und kaltem Kaffee. JB lag zwischen Flyern mit Parolen wie „The Future is Green“ und „Powering Tomorrow“, während er leise weinte. Aus seinem Mund tropfte Blut, sein Anzug war zerrissen, seine Würde nicht mehr auffindbar.
Es war still. Nur ein Rabe krächzte irgendwo auf dem Dach.
Die Hauptversammlung ging weiter.
Ohne JB. Aber mit Höllie, der in der ersten Reihe noch immer lachte.
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