Eine historische Atempause für den Kanzler - von vwd Korrespondent Andreas Kißler -
Berlin (vwd) - Lange hat man Gerhard Schröder nicht mehr so entspannt gesehen wie nach dem EU-Erweiterungsgipfel in Kopenhagen. Der Bundeskanzler hatte bei dem von ihm zu Recht als historisch gepriesenen Treffen in der dänischen Hauptstadt allen Grund zu strahlen: Eine neue europäische Epoche ist nun beschlossene Sache, und Schröder hat dem Erweiterungszug in Kopenhagen offenkundig den entscheidenden Schub gegeben. Entschlossen und taktisch klug vollbrachte der deutsche Kanzler zuvor bereits im Oktober ein erstes Meisterstück und legte gemeinsam mit Frankreichs Staatspräsidenten Jacques Chirac in Brüssel den lange Zeit unlösbar scheinenden Agrar-Finanzstreit bei.
Unmittelbar vor Kopenhagen taktierte Schröder dann geschickt, indem er offiziell zwar die in Brüssel gefundene Finanzgrenze für endgültig erklärte, zwischen den Zeilen aber mehr und mehr durchblicken ließ, dass Deutschland für einen erfolgreichen Erweiterungsstart auch noch ein paar Euro mehr drauflegen würde. "Die Erweiterung wird nicht zum Nulltarif zu haben sein und auch nicht zu haben sein müssen", sagte er im Deutschen Bundestag und lobte die Vorteile, die die deutsche Wirtschaft von dem weiteren Zusammenwachsen Europas und dem damit verbundenen Wegfall der handelstechnischen Ostgrenzen haben würde.
Spätestens da war jedem klar, dass Deutschland beim Erweiterungsgipfel keine ernsthafte Finanzdiskussion führen würde. Hinter vorgehaltener Hand hieß es später in Kopenhagen, Berlin habe immer gewusst, der dänische Gipfelvorsitz werde "so viel deutsches Geld in die Hand nehmen" wie für einen erfolgreichen Verhandlungsabschluss nötig - aber eben auch nicht mehr. Da war es kein Zufall, dass es wieder Schröder war, der in den langwierigen Kopenhagener Verhandlungen mit einem Vorschlag für ein weiteres Entgegenkommen gegenüber Polen sorgte und damit dem Gipfel zum endgültigen Durchbruch verhalf. Nicht zuletzt und wohl gesetzt war dies auch ein Signal von besonderer Symbolkraft an den großen östlichen Nachbarn Deutschlands.
Das "Weimarer Dreieck" aus Deutschland, Frankreich und Polen hat sich bei dem ersten ernsthaften Test für eine künftig erweiterte EU bewährt. Schröder selbst sprach von einem "großen Erlebnis im politischen Leben" - und bei allem Pathos musste man ihm das in Kopenhagen auch abnehmen. Fast schien es, als genieße er die Rolle als europäischer Staatsmann in dem Wissen um seine innenpolitischen Probleme besonders. Die zunehmenden Debatten über Schröders Führung in Partei und Regierung, sein unsystematischer Kurs in der Wirtschafts- und Steuerpolitik - all das bleibt wahr, und der ziemlich verkorkste Beginn der neuen Legislaturperiode wird durch den außenpolitischen Triumph um kein Deut besser.
Schröder hat aber die Chance, daraus innenpolitische Sicherheit zu schöpfen und nun systematischer Kurs zu halten. Denn im Kopenhagener Glanz wird sich der Kanzler nicht lange sonnen können.
vwd/16.12.2002/ak/hab |