Frontal21 Bürokratie ohne Sinn - Ein Land im Würgegriff
Nahezu im Stunden-Takt vermehren sich in Deutschland Gesetze, Verordnungen, Vorschriften und Ausführungsbestimmungen. Wie viele es davon in unserem Land mittlerweile gibt, kann niemand so genau sagen. Unter diesem Wust an Bürokratie leiden nicht nur Behörden und Beamte, sondern vor allem die kleineren Unternehmen. Wer plant, sich eine neue Existenz aufzubauen, kann schon mal im Dickicht der Bürokratie hängenbleiben. von Hans Koberstein, 16.09.2003
Till Casper ist der Chef einer Gießerei mit 90 Mitarbeitern. Der erfolgreiche Unternehmer sieht sich im Würgegriff einer sinnlosen Bürokratie.
Meldepflicht - und kein Ende in Sicht
Für Frontal21 zählt er nur einige der bürokratischen Meldepflichten seines Betriebes auf: "Monatsberichte für Betriebe im verarbeitenden Gewerbe, Gussberichte für Eisen, Stahl und Tempergießereien, vierteljährliche Produktionserhebung für Betriebe im verarbeitenden Gewerbe, vierteljährliche Verdiensterhebung für Arbeiter und Angestellte in Betrieben im verarbeitenden Gewerbe, Jahresverdiensterhebung im produzierenden Gewerbe, im Handel, bei Kreditinstituten und im Versicherungsgewerbe, Arbeitskostenerhebung im produzierenden Gewerbe, Handel und Dienstleistungsbereich." Seine Aufzählung will gar kein Ende mehr nehmen.
Erfahrungen mit Bürokratie hat auch Karsten Berning gemacht. Er hat in Berlin eine Bäckereifiliale eröffnet. Und das war gar nicht so einfach, erzählt er uns: "Um eine Filiale zu eröffnen, muss man eine Menge Sachen beachten. Das fängt an mit der Ladentheke an. Die muss eine gewisse Höhe haben und einen gewissen Abstand zum Kunden, damit ein Kunde nicht ohne Weiteres dahinter greifen kann, um sich Ware herauszugreifen oder Ware anzufassen. Da muss ein Spuckschutz da stehen, wenn Ware auf dem Tresen steht, damit ein Kunde nicht dagegen spucken oder dagegen husten kann. Der Boden muss eine gewisse Rutschfestigkeit haben."
Antrag nach Vorschrift
Vorschriftenwut regelt jede Kleinigkeit. Bis die Filiale schließlich öffnen konnte, vergingen mehrere Monate. Die Behörde verlangte immer neue Unterlagen, schaffte ständig neue Probleme. Berning berichtet über seine Erfahrungen beim Umbau des Ladens: "Im Bereich des Ladeneingangs befindet sich eine Eingangsstufe und die liegt in Schöneberg. Der restliche Bereich des Ladens gehört aber zu Steglitz. Das heißt, hier sind zwei Bezirksämter betroffen, um dies zu genehmigen. Es mussten also zwei Anträge gestellt werden, um diese Stufe zu genehmigen." Damit es schneller geht, gab Berning seine Anträge persönlich bei der Baubehörde ab. Die Sachbearbeiterin schickte seine Unterlagen dann sofort zur Poststelle weiter, damit erst einmal der Posteingangsstempel drauf kommen konnte. Nach mehreren Tagen konnte die Sachbearbeiterin dann endlich den Antrag bearbeiten. Ergebnis: Der Antrag entsprach nicht den Vorschriften, zum Beispiel der Bauplan. Bürokratie auf Leinen gedruckt
Berning: "Das Problem bei diesem Bauplan war, er ist im Maßstab 1:20. Alles ist gut zu erkennen. Die Sachbearbeiterin hätte aber gerne einen Bauplan im Maßstab 1:100, das wäre so üblich." Berning zeigt uns den Plan im Maßstab 1:100, den er wunschgemäß an die Sachbearbeiterin beim Bauamt schickte: "Das ist der Bauplan 1:100. Daraufhin haben wir ein Schreiben bekommen, dass der viel zu klein sei, dass darauf nichts zu erkennen sei. Und das, obwohl die Sachbearbeiterin den doch ausdrücklich gewünscht hat. Dann hat sie doch den anderen wieder gekriegt, dass sie einen hat, auf dem sie auch etwas lesen kann. Dann kam die nächste Rückmeldung von der Sachbearbeiterin, dass das Ganze jetzt noch unverwüstlich auf Leinen gedruckt werden müsste, damit es nicht vergilben oder verrotten könne." Für die Baubehörde ist ein Antrag wie der von Karsten Berning ein ganz normaler Vorgang. Und der dauert so lange, weil das Amt viele Vorschriften und Gesetze beachten muss. Wie viele es sind, das weiß selbst Behördenchef Jürgen Reiser, Leiter der Bauaufsicht beim Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf in Berlin, nicht so genau. Ein Kollege habe mal über 800 Gesetze und Vorschriften gezählt - allein für die Baubehörde, erzählt er uns und zeigt uns die handliche Bauordnung aus den Gründerjahren der Bundesrepublik Deutschland: "1950 haben wir die Bundesrepublik mit dieser Bauordnung aufgebaut. Ein kleiner dünner Band, der beinhaltet auch noch das Planungsrecht. Heute haben wir allein für die Bauordnung ein umfangreiches Werk. Das bedeutet natürlich für die Behörde, für die Mitarbeiter, dass sie viel detaillierter, viel genauer prüfen müssen.
Und auch Wolfgang Elßer leidet unter der Bürokratie. Er lebt mit seiner Familie in dritter Generation auf einem kleinen Bio-Hof bei Schwäbisch Hall. Die Landwirtschaft will er im Nebenerwerb weiterführen. Er will die eigenen Produkte auf dem Hof verkaufen und neue Mitarbeiter einstellen. Er ist bereit zu investieren. Eigentlich wäre er ein Vorzeige-Unternehmer, wenn Elßer die Bürokratie nicht dazwischen käme: "Die Investitionen belaufen sich für Hofladen, Stall und Wohnhaus auf circa 300.000 bis 350.000 Euro, die ich allerdings erst tätigen kann, wenn das Wohnhaus mit dem Hofladen genehmigt wird." Keine Ausnahmen
Doch das mit der Genehmigung ist nicht so einfach. Das Landratsamt Schwäbisch-Hall hat den Fall sorgfältig geprüft und festgestellt, dass Wolfgang Elßer weder genügend Tiere noch genügend Land hat. Sein Betrieb ist zu klein, deshalb darf er nicht bauen. Es gibt keine Ausnahme für Elßer, weil er die Landschaft angeblich zersiedelt
Frontal21 fragt bei Werner Iländer vom Landratsamt Schwäbisch-Hall nach. Von ihm erfahren wir: "Es handelt sich um einen sehr kleinen Nebenerwerbsbetrieb mit unter sieben Hektar Fläche. Hier müssen wir nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einen Antrag ablehnen, weil er bauplanungsrechtlich nicht privilegiert ist nach dem Bundesbaugesetz."
Vorschriften verhindern Investitionen
Frontal21 hakt nach: "Sie verhindern Investitionen und Arbeitsplätze. Halten Sie das für sinnvoll?" Iländer kann dem Vorwurf nicht folgen: "Also, wir müssen geltendes Recht anwenden. Ich glaube nicht, dass man generell sagen kann, dass wir Arbeitsplätze verhindern, wenn man geltendes Baurecht anwendet." Doch genau das passiert. Die Elßers dürfen in den eigenen Hof nicht investieren - mit dramatischen Folgen, wie uns Wolfgang Elßer erklärt: "Das bedeutet für mich, dass die gesamten Investitionen in den Hofladen und in das Wohnhaus hinfällig sind und der Betrieb dann zum Sterben verurteilt ist." Der Bürokratie-Beauftragte
Der kleine Bio-Hof wird strikt nach Vorschrift platt gemacht. Apropos Vorschrift - da war doch noch was. Till Casper, Geschäftsführer der Karl Casper KG, zählt immer noch bürokratische Meldepflichten seines Unternehmens auf: "Jährliche Erhebung der laufenden Aufwendungen für den Umweltschutz im produzierenden Gewerbe. Und so könnte ich Ihnen das noch bis heute Abend vorlesen. Und wenn Sie dann noch denken, dass wir in unserem 90-Mann Betrieb nahezu einen Mitarbeiter beschäftigen, der sich ausschließlich mit diesen Meldungen und dem Vollzug beschäftigt, dann sehen Sie, was das für einen mittelständischen Betrieb für einen Aufwand bedeutet."
Die meiste Zeit verbringt der Bürokratie-Beauftragte der Gießerei Wilhelm Kastner damit, Statistiken und Meldungen für verschiedene Behörden zu erstellen. In der Verordnungsflut fällt es ihm schwer, den Überblick zu bewahren: "Das sind sicherlich mehr als 250 Gesetze und Vorschriften, die wir in der täglichen Arbeit zu berücksichtigen haben." Wir wollen wissen, ob er genau weiß, wie viele das sind. Kastner muss passen: "Wie gesagt, sicherlich größer 250. Im Regelfall muss man das einzelne Gesetz täglich abfragen, weil täglich neue Verwaltungsvorschriften zu den Gesetzen erlassen werden." Gewinne fließen in die Bürokratie
Da bleibt keine Zeit, um nach dem Sinn von älteren Vorschriften zu fragen, etwa warum eigentlich die so genannte Betriebsanweisung ausgehängt werden muss, die sowieso keiner liest.
Und weil Politikerbürokraten alles regeln wollen, vermehren sich die Vorschriften von Tag zu Tag. Zu Lasten der Unternehmen. Für die Bürokratie geht bei einer mittelständischen Gießerei ein Drittel des Gewinns drauf, berichtet uns Geschäftsführer Casper: "Das bedeutet für mich, dass ich für dieselbe Summe in unserer Größenordnung immerhin zwei bis drei Leute beschäftigen könnte, beziehungsweise weitere Investitionen in Umweltschutz oder andere notwendige Investitionen tätigen könnte." Wenn doch einmal Geld zum Investieren übrig bleibt, dann schlägt die Bürokratie erneut zu. Die Pforzheimer Gießerei will sich eine moderne Schmelzanlage zulegen. Doch die muss zuerst einmal genehmigt werden. Dann bekommt es der betriebseigene Bürokratiebeauftragte mit zwölf unterschiedlichen Behörden und Ämtern zu tun. Die prüfen fast ein ganzes Jahr lang. Das ist in Deutschland total normal. Aus http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/5/0,1872,2067013,00.html
Gewisse Arbeitsplätze sind ( noch! ) ganz sicher!
Aldy |