Berlin (ddp). Je kürzer die Tage, umso mieser die Laune. Nebel, Nieselregen und Dunkelheit drücken vielen Menschen aufs Gemüt. Die Folge: Stimmungsschwankungen, Konzentrationsschwächen, ständige Müdigkeit. Nicht selten kommt Heißhunger auf Süßes dazu.
Wissenschaftler führen solche Tiefs auf den Lichtmangel in der kalten Jahreszeit zurück, der den Hormonhaushalt des Menschen beeinflusst. Ohne Licht produziert der Körper weniger stimmungsaufhellende Endorphine und schüttet weniger vom «Glückshormon» Serotonin aus. Dagegen wird mehr Melatonin erzeugt, das normalerweise in der Nacht den Schlaf mit steuert. Das macht müde und schlapp. Melancholische Stimmungsschwankungen sind aus medizinischer Sicht normal und nicht zu vergleichen mit «echten» Depressionen.
Depression als oft schwere medizinische Erkrankung «trennt Welten» von der herbstlichen Melancholie, sagt der Leiter des «Kompetenznetzes Depression», Professor Ulrich Hegerl. Der allgemein um sich greifenden Lustlosigkeit an trüben Tagen kann mit einfachen Mitteln begegnet werden. Der Facharzt für Psychiatrie und Neurologie empfiehlt Bewegung, möglichst an frischer Luft, gesunde Ernährung und soziale Kontakte.
Bei Depressionen funktioniert das so nicht. «Dabei handelt es sich um eine ernsthafte Erkrankung, die die Lebensqualität enorm beeinträchtigt und unbehandelt in den Tod treiben kann» warnt Hegerl, Klinischer Oberarzt und Leiter der Depressionsstation an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zwischen vier und fünf Prozent der Bevölkerung leiden unter dieser psychiatrischen Erkrankung - unabhängig von der Jahreszeit. «Meist geht die Krankheit einher mit Schlaf- und Essstörungen, Hoffnungslosigkeit, Gedanken an den Tod und der Unfähigkeit, Freude zu empfinden. Jeden kann es treffen - urplötzlich oder schleichend», sagt der Experte.
Doch die Mehrzahl der Fälle wird gar nicht oder zu spät erkannt, schätzt Hegerl. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Entweder werden sie wegen gleichzeitig vorhandener körperlicher Beschwerden vom Hausarzt übersehen oder in ihrer Schwere unterschätzt. Auch reagiert die Umwelt aus Unwissenheit oft mit Ablehnung, Unverständnis und Verharmlosung - nach dem Motto: «Kopf hoch, das wird schon wieder».
Nicht zuletzt fällt es den Betroffenen selbst schwer, die Diagnose Depression zu akzeptieren. Viele suchen die Schuld bei sich, glauben, «nur» willensschwach zu sein, aber nicht krank.
Das alles trägt aus Sicht des Depressions-Experten zu den erschreckend hohen Selbstmordraten bei. Jährlich nehmen sich etwa 11 000 Menschen das Leben, ein Großteil davon im Rahmen depressiver Erkrankungen.
Die Ursachen für Depressionen sind vielfältig und auch noch nicht vollends erforscht: Stress, traumatische Erlebnisse, Alkohol- und Drogenmissbrauch, erbliche Veranlagung oder auch der Tod eines geliebten Menschen. «Alles, was das Lebensgefüge verändert, kann Auslöser sein. Oft ist jedoch auch kein Auslöser erkennbar», sagt Hegerl. In der Depression gerät der Stoffwechsel im Gehirn durcheinander - eine der neurobiologischen Ursachen für diese Erkrankung.
Typische Symptome sind Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit. Nichts macht mehr Freude, die Zukunft erscheint in einem schwarzen Licht. Hinzu kommen unterschiedlichste körperliche Beschwerden wie Kopf-, Magen- oder Rückenschmerzen. Oft sind die Hoffnungslosigkeit und das Leiden so groß, dass die Betroffenen nicht mehr leben wollen. Da sind gut gemeinte Sprüche wie «Reiß dich mal zusammen, dann schaffst du das schon!» eher fehl am Platz. Was die Betroffenen brauchen, ist professionelle ärztliche Hilfe.
Hegerl schätzt, dass etwa 80 Prozent aller Depressionen erfolgreich therapiert werden könnten. Je eher die Krankheit behandelt werde - mit kognitiver Verhaltenstherapie oder interpersoneller Therapie oder Antidepressiva, desto besser sind nach den Erfahrungen des Mediziners die Erfolgsaussichten. In schweren Fällen sind Antidepressiva entscheidend. Im Gegensatz zu manchen Beruhigungsmitteln machen sie nicht süchtig. Sie verändern auch nicht die Persönlichkeit, wie der Experte betont.
Ulrich Hegerl hat einen Selbsttest entwickelt, den jeder zu Hause durchführen kann. Der Test findet sich im Internet unter www.kompetenznetz-depression.de (Rubrik: Für Betroffene). Bei ersten Hinweisen auf eine psychiatrische Erkrankung, empfiehlt der Depressions-Experte, sollte das Gespräch mit dem Arzt gesucht werden. Die richtige Therapie ebnet dann den Weg zurück ins Leben.
Tipps für Angehörige von Menschen mit schweren Depressionen
In ihrer Hilflosigkeit gegenüber der Depression entwickeln Angehörige oft selbst Schuldgefühle oder gar Ärger über die Erkrankten. Selbsthilfegruppen für Angehörige können eine wichtige Hilfe sein.
Depressionen beeinträchtigen nicht nur die Stimmung, sondern das gesamte Erleben und Verhalten des Erkrankten. So werden fast immer auch der Schlaf, der Appetit und die Sexualität beeinträchtigt. Deshalb ist es wichtig, dass Angehörige das veränderte Verhalten als Folge der depressiven Erkrankung erkennen.
Wie bei allen schweren Krankheiten sollten Sie so schnell wie möglich ärztlichen Rat einholen. Ergreifen Sie die Initiative und vereinbaren Sie für den Kranken einen Arzttermin, denn depressive Menschen suchen häufig die Schuld für ihr Befinden bei sich selbst, glauben nicht daran, dass ihnen überhaupt geholfen werden kann.
Viele Depressive sind verzweifelt, oft ziehen sie sich auch zurück. Zeigen Sie Geduld. Erinnern Sie den Betroffenen daran, dass die Depression eine Erkrankung ist, die vorübergeht und sich gut behandeln lässt. Wenden Sie sich nicht von Ihrem erkrankten Angehörigen ab, auch wenn er Ihnen noch so abweisend erscheint.
Ist ein Mensch über Monate hinweg depressiv, belastet das auch die Angehörigen. Wichtig ist, sich selbst nicht zu überfordern. Tun Sie sich öfter etwas Gutes, pflegen Sie die Kontakte im Freundeskreis. Bauen Sie zu Ihrer Unterstützung ein Netzwerk von Freunden und Bekannten auf.
Seien Sie zurückhaltend mit gut gemeinten Ratschlägen. Es hat keinen Sinn, einem depressiven Menschen zu raten, abzuschalten und für ein paar Tage zu verreisen, denn eine fremde Umgebung verstört den Patienten meist zusätzlich. Raten Sie dem Depressiven auch nicht, «sich zusammenzunehmen» - ein depressiver Mensch kann diese Forderung nicht erfüllen. Gleiches gilt für Versuche der Aufmunterung. Dagegen sollten Sie Ihren Angehörigen immer dann unterstützen, wenn er Eigeninitiative zeigt.
Machen Sie sich bewusst, dass Depressive die Realität in vielen Punkten verzerrt sehen und deshalb Entscheidungen treffen können, die sie nach der Krankheit vielleicht ganz anders getroffen hätten. Berücksichtigen Sie dies in allen Angelegenheiten, die die private oder berufliche Zukunft betreffen. |