[ Das Ohr am Plus des Bürger ] ... "Was glauben Sie, wie froh ich bin, wenn ich in ein paar Jahren den Löffel abgeben kann", sagte mir neulich mein Arzt, nachdem er sich für das Einkassieren der 10 Euro Praxisgebühr entschuldigt hatte. "Aber das Ganze ist ja nicht auf meinem Mist gewachsen".
So undefinierbar melancholisch habe ich den Mann, Porsche-Cabrio-Fahrer und eine überregional anerkannte Kapazität auf seinem Gebiet, noch nie erlebt. Ich hatte den Eindruck, der ansonsten eine Aura durchschlagender Tatkraft um sich herum verbreitende Mann wollte mal was loswerden, so daß wir schnell auf die Politik zu sprechen gekommen sind.
"Wahrscheinlich wird das persönliche Arzt-Patienten-Verhältnis in ein paar Jahren zusehends in den Hintergrund gedrängt werden. Der Trend dürfte zu klinischen Massen-Abfertigungen gehen, einer Art von VEB-Messer und Skalpell".
Die Atmosphäre des Termins war, wie soll ich es sagen, eigenartig gedämpft, wie abgeblendet; wenn jemand, den man als Inbegriff des Porsche-Fahrers in Erinnerung hatte, einen eigenartig elegischen Ton anschlägt, macht einen das stutzig.
"Froh bin ich, wenn ich in ein paar Jahren den Löffel abgeben darf." Wer ist angesichts eines solchen Satzes Patient, und wer übernimmt die Rolle des Therapeuten?
Die Tragweite dieser Äusserung muß ihm nicht nur wegen seiner Intelligenz - mit Dummheit wird man nicht Professor - klar gewesen sein. Er scheint geahnt zu haben, was der naheliegendste Gedanke war, weil er kurz danach auf Sigmund Freud zu sprechen kam, dessen Analyse der menschlichen Triebkräfte er nicht teile.
Er halte Alfred Adlers Ansatz, dem Streben nach Macht Priorität einzuräumen, für weitaus überzeugender, und sehe darin das Grundübel der Politik(er); daß sie sich wie Kampfhunde in ihren Pöstchen und Positionen verbeissen.
Das Land scheint bleischwer niedergedrückt. ...
Scheint mir auch so
DK |