Pontifex will Putin besuchen Wussten Sie schon? Der Papst ist ein Ketzer Eine Kolumne von Burkhard Ewert | 05.05.2022, 12:30 Uhr
Papst Franziskus hat die Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine kritisiert. Außerdem gibt er der NATO eine Mitschuld am Krieg in der Ukraine. Warum tätigt das katholische Oberhaupt solche Aussagen und warum werden diese kritisiert? NOZ-Vize Burkhard Ewert beschäftigt sich in dieser Woche mit dieser Frage. Liegt der schwindende Status der katholischen Kirche am Missbrauchsskandal? Projizieren die Leute religiöse Bedürfnisse heute lieber auf andere Dinge? Oder ist Papst Franziskus als Südamerikaner zu weit weg von der deutschen Gesellschaft mit ihren geschrieben und ungeschriebenen Gesetzen des korrekten Diskurses?
Jedenfalls frage ich mich, warum sich augenscheinlich kaum jemand dafür interessiert, was der Papst über den russischen Angriff auf die Ukraine denkt. Alle möglichen mehr oder weniger wichtigen Politiker werden befragt und sprechen in jedes Mikrofon. Selbst Leute wie Ralf Fücks, Ex-Maoist, Ex-Pol-Pot-Schwärmer und Ex-Vorsitzender der Heinrich-Böll-Stiftung, haben ein Talkshow-Abo inne und reden leidenschaftlich gerne über Moral. Papst Franziskus’ Aussagen kaum beachtet
Aber was der Papst sagt, dringt nicht durch. Dabei war es seine Organisation, die schon wenige Hundert Jahre nach Christus den radikalen Pazifismus der Bergpredigt einhegte. Augustinus formulierte die Lehre vom „gerechten Krieg“. Später legitimierte Bernhard von Clairvaux direkte Kriegsunternehmungen im Zeichen des Kreuzes. Nach dem zweiten Weltkrieg entwarfen Bischofskonferenz und Evangelische Kirche eine gemeinsame, streng gefasste Friedensethik.
Für den Fall, dass im Rest der Republik also doch jemand wissen will, was Franziskus zu Krieg und Frieden zu sagen hat, habe ich es hier einmal kurz zusammengefasst. Es könnte für Überraschungen sorgen. Papst predigt Frieden will aber auch keine Partei ergreifen
Seit Beginn der Invasion im Februar ruft Franziskus zum Ende des Krieges auf, ohne sich dezidiert an eine Seite zu wenden. Er beklagt die Gewalt an sich. Waffen, Sanktionen und politische Isolation hält der Papst für ungeeignet, um die Situation zu lösen. Nötig sei eine andere Art des Regierens, bei der man einander „nicht die Zähne zeigt“. Im März erklärte Franziskus, er sehe mit Sorge, dass zahlreiche westliche Staaten drastisch aufrüsten wollten. Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato nannte er „Irrsinn“. Bei einer Oster-Andacht ließ Franziskus eine Russin und eine Ukrainerin das Kreuz gemeinsam tragen. Trotz harscher Kritik aus der Ukraine blieb er bei seiner symbolträchtigen Entscheidung. Franziskus will zu Putin reisen, nicht nach Kiew
In einer seiner aktuellsten Äußerungen erklärt Franziskus, dass er Kiew trotz vieler Aufrufe lieber nicht besuchen wolle. Er „spüre“, dass dies falsch sei. Zuerst wolle er nach Moskau reisen und den russischen Präsidenten Wladimir Putin drängen, die Gewalt zu stoppen.
Auf die Frage, ob er Waffenlieferungen des Westens befürworte, sagte Franziskus, „ich weiß nicht, wie ich antworten soll. Ich bin zu weit entfernt von der Frage, ob es gerechtfertigt ist, die Ukrainer zu beliefern.“ Hingegen lenkte er den Blick auf einen Punkt, den in Deutschland selbst Hardliner der Friedensbewegung kaum noch auszusprechen wagen würden. Kriege, sagt der Papst, würden immer auch geführt im Dienste des militärisch-industriellen Komplexes, um Waffen zu testen, die man produziert habe. Papst gibt der NATO Mitschuld am Krieg
Und wie kam es überhaupt zum Krieg? Handelte es sich um eine irre Eingebung Putins, einen völlig unmotivierten Überfall? Für Franziskus eher nicht: „Vielleicht hat das Bellen der NATO an Russlands Tür den Kremlchef zu einer schlechten Reaktion und zum Ausbruch des Konflikts veranlasst.“
Ich will seine Aussagen an dieser Stelle gar nicht bewerten. Aber es fällt auf, dass das Oberhaupt von 1,2 Milliarden Katholiken aus aller Welt Positionen vertritt, für die man aus einer deutschen Talkshow schon mal ausgeladen werden kann, als unmoralisch kritisiert oder als naiver Querdenker beschimpft wird.
Anders gesagt: Der Papst ist ein Ketzer, zumindest in Deutschland.
Ich dachte, Sie sollten das wissen.
Selig sind die, die Frieden stiften. |