Der Fall der Knall-PresseBernd Gäbler freut es, dass noch etwas ganz Neues passiert ist: Deutschlands einziges und Europas größtes Boulevard-Blatt ist unter der Hand auf Normalmaß zurechtgestutzt worden Die vorerst letzte Fußball-Kolumne von Bernd Gäbler für ZEIT online Illustration Rita Kohel Doch, doch: Alles ist so herrlich normal, so wunderbar unverkrampft, so freundlich, so stolz und multikulturell, so friedlich und freundlich - da darf in der Bilanz auch das ruhig noch erwähnt werden. Ohne Häme, ohne Nachtreten - einfach als Feststellung. Denn auch dies war ein Schritt der Normalisierung: die Bild-Zeitung war einfach ein normales Blatt der Knallpresse, ein bisschen gaga, ein bisschen laut, aber Bild konnte keinen Schaden anrichten, konnte nichts mehr befehlen. Typisch: die Verabschiedung der Mannschaft am Sonntagmittag. Sie wurde ein Fest, eine fröhliche Party, ein Dankeschön - nicht mehr, nicht weniger. Die Bild am Sonntag aber hatte aufgerufen, alle Fans sollten Klinsmann-Masken ausschneiden, diese aufsetzen und so zum Abschlussempfang kommen. Niemand kam so. Keiner wurde so maskiert gesichtet, denn die Leute wollten nicht Klinsmann sein, sondern diesen feiern. Die Bild-Zeitung will immer alles gleichzeitig sein: die eigentliche Bundesregierung und der Gerichtshof der kleinen Leute; hässlicher Denunziant und großzügiger Stifter von Versöhnung; Papst-Freund und Puffgänger; Wühler im Dreck und Moralist. Obwohl sie immer alle Wichtigen zum Kumpel und unter Vertrag hat (Franz Beckenbauer, Günther Netzer) und alle Lauten auch (Paul Breitner, Lothar Matthäus und Mario Basler), war sie diesmal und erstmals schon vor dem Start der Fußball-Weltmeisterschaft in einen nicht mehr aufholbaren Rückstand geraten. Die Bild-Zeitung, die ansonsten nicht müde wird, für kraftvolle Reformen und ehrliche Leidenschaft zu plädieren, hatte sich eindeutig gegen Jürgen Klinsmann ("Grinsi-Klinsi") positioniert. Als die Mannschaft in der Vorbereitungsphase auch noch 1:4 in Italien verlor, arbeitete sie zäh daran, ihn noch kurz vor der WM loszuwerden. Spürbar war: kein sachlicher Grund, einzig der eigene Klüngel war dafür ausschlaggebend. Klinsmann rächte sich nicht. Er versachlichte lediglich das Verhältnis. Mehr ließ er nicht zu. Plötzlich war jede Mannschaftsaufstellung, die Bild als sichere Information abdruckte, nur noch die subjektive Empfehlung der Bild-Redaktion. Einfach ein bisschen zusammengeschriebener Quatsch, so wie der boulevard-übliche Firlefanz von vergrabenen Glückspfennigen, Party-Geplauder über Spielerfrauen und erfundenen Gaga-Namen. Der Schwenk zu den überschwänglichen Lobliedern auf Klinsmann nach dem Erfolg konnte Glaubwürdigkeit nicht wieder herstellen. Bild bot damit nur eins: Eine eindrucksvolle Vorführung der Kraft des Opportunismus. Dann fiel ihr nur noch ein, dass Klinsmann jetzt aber auch mit dramatischem Drängeln ("Hier unterschreiben") zum Weitermachen genötigt werden müsse, so wie es einst gelang, Berti Vogts in die entgegengesetzte Richtung zu schieben. Allein: Eine Kampagne wurde daraus nicht, denn die Nötigung zündete nicht. Natürlich hängte sich die Bild-Zeitung während der WM an die begeisternde schwarz-rot-"geile" Stimmung, blies noch ein bisschen heiße Luft in die Segel, blähte sie etwas auf, aber niemand kuschte mehr. Sie bemühte sich, noch ein paar Reporter zu verbellen, die nach Bild-Maßstab nicht emotional genug waren, wie ausgerechnet die WDR-Hörfunklegende Manni Breuckmann und ZDF-Fußballkenner Béla Réthy - diese nahmen die Verurteilung aber nicht nur mit Fassung, sondern sogar mit widerständigem Stolz hin. Fast halbherzig wirkte dann der Versuch, auch noch Michael Ballack anzugreifen, wagte es dieser doch, statt "schwarz-rot-gold" ein italienisches T-Shirt zu tragen. Vor allem aber war die Distanz zum inneren Kreis der Mannschaft noch nie so groß - keiner petzte, telefonierte "heiße" Insiderstorys durch oder betätigte sich als Kolumnisten-Einflüsterer. Es gelang niemanden aufzuwiegeln. Bild erfuhr nichts. So sehr von außen, so wenig exklusiv, so machtlos war das Blatt bei keinem vergleichbaren Ereignis. Statt Fußball mussten "Otti" und "Bruno" umschichtig auf den Titel. Ansonsten gelingt es Bild -Redakteuren wenigstens immer wieder, Gaga- oder, im besseren Fall, Dada-Namen und -Bezeichnungen - wie "Boxenluder", "Titan" oder "Schummel-Schumi" zu popularisieren. Diesmal erfand Bild für unser Stürmer-Duo Miroslav Klose und Lukas Podolski die Namen "King Knall" und "Prinz Peng" - keiner benutze sie je. Nur haben leider viele nicht gemerkt, wie zur Fußball-WM die Bild-Macht verwehte. Also beeilte sich Angela Merkel, den Dank an das deutsche Volk via Bild-Zeitung in Briefform zu fassen, hielt Johannes B. Kerner gerne schon mal lustige Bild-Titel in die Kamera und durfte auch der ARD-WM-Zug live vom "Balken" der Bild-Redaktion senden. Wollten ARD und ZDF darum nicht, dass Springer Sat.1 kauft? Ohne diese krampfhafte Zuwendung wäre es ja vielleicht auf Dauer erträglich: Bild einfach als ein Knallblatt, das ein bisschen Quatsch, ein bisschen Blödsinn schreibt, viele Bilder hat, sehr bunt ist und gerne mit schwarz-rot-goldenem Rand daherkommt. Quelle: http://www.zeit.de/online/2006/28/wm-querpass-BILD?page=all |