Ein Grexit wäre teuer für Europa und hart für Griechenland. Aber immer noch besser, als die falsche Politik der vergangenen fünf Jahre einfach fortzusetzen. Ein Gastbeitrag von Hans-Werner Sinn
Wenn Griechenland unter einer humanitären Katastrophe leidet, wie der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis behauptet, dann wurde sie sicher nicht von der Troika verursacht. Nicht die drei Institutionen EU-Kommission, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds haben die Austerität, also den Sparzwang verhängt, sondern die Kapitalmärkte. Sie sind seit 2008 nicht mehr bereit, Griechenland mit frischem Kredit zu versorgen.
Die Staatengemeinschaft, die von der Troika vertreten wird, hat hingegen die Austerität mit öffentlichen Krediten gemildert. Griechenland hat von den Euroländern, dem IWF und den anderen Notenbanken des Eurosystems von 2008 bis zum ersten Quartal 2015 insgesamt 313 Milliarden Euro erhalten, zusätzlich zu den 12 Milliarden Euro, die es damals schon bezogen hatte. Niemals zuvor in der Geschichte hat ein Staat in Friedenszeiten ähnlich großzügige Kredite von anderen Staaten bekommen.
Insgesamt 108 Milliarden Euro davon dienten der Finanzierung des griechischen Leistungsbilanzdefizits. Mit 113 Milliarden Euro tilgten die Griechen per Saldo ausländische Schulden, was natürlich von ihren Gläubigern begrüßt wurde. Und mit 93 Milliarden Euro wurde eine griechische Kapitalflucht ermöglicht. Es kann also nicht die Rede davon sein, wie Varoufakis behauptet hat, dass 90 Prozent der Hilfskredite ausländischen Gläubigern zugutekamen.
Griechenland ist nicht wettbewerbsfähig
Der Grund für die immer noch miserable Lage in Griechenland ist sicherlich nicht eine mangelnde Unterstützung von der Staatengemeinschaft. Vielmehr leidet das Land unter einer fehlenden Wettbewerbsfähigkeit. Die jedoch ist nicht der Staatengemeinschaft anzulasten, jedenfalls nicht direkt, sondern Griechenland selbst. Das Land hat sich vor 2010 mit der Droge des ausländischen Kredits einen Lebensstandard und ein Lohnniveau geschaffen, das jenseits der eigenen Leistungsfähigkeit lag. Die Preise wurden in Relation zu den anderen Euroländern immer weiter hochgetrieben ähnlich wie eine Firma, der wegen exorbitanter Preissteigerungen die Kunden weglaufen.
Noch in den ersten beiden Krisenjahren 2008 und 2009 stiegen die Lohnaufwendungen des Staates um insgesamt 19 Prozent. Die Stundenlöhne im verarbeitenden Gewerbe sind doppelt so hoch wie in Polen. Die Renten pro Rentenbezieher sind mit 959 Euro höher als in Deutschland (766 Euro). Der griechische Konsum, privat und staatlich, lag zuletzt bei 114 Prozent des Nettonationaleinkommens. In Ländern wie Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden liegt er jeweils bei etwa 90 Prozent.
An der Kreditblase, die zur Krise führte, trägt die Staatengemeinschaft allerdings eine Mitschuld: Sie hat den privaten Geldhahn durch Regulierungsfehler selbst mit aufgemacht. Die EU erlaubte den Banken, griechische Staatspapiere ohne unterlegtes Eigenkapital zu kaufen, obwohl sie die Risiken auf Basis eigener Modelle berechneten, die eine Eigenkapital-Unterlegung verlangt hätten. Das führte dazu, dass insbesondere die französischen Banken ihre Bilanzen mit griechischen Staatspapieren vollpackten. |