SPIEGEL ONLINE - 06. Mai 2004, 19:04 http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,298686,00.html Gefängnisskandal Mein Nachbar, der Folterknecht
Neue Fotos aus dem Folter-Knast Abu Ghureib schockieren die Welt. Nicht nur Amerikaner fragen sich, wieso die aus kleinen Verhältnissen stammenden beschuldigten Soldaten aus Maryland zu Sadisten wurden. Recherchen zur Vergangenheit der Täter liefern erste Antworten.
Neue Folterbilder aus der "Washington Post": Land der Gesetzlosen
Berlin - Über mehrere Spalten prangte am Donnerstag ein schockierendes Bild auf der ersten Seite der "Washington Post". Zu sehen ist die Soldatin Lynndie R. England, die einen nackten irakischen Gefangenen an einer Hundleine um seinen Hals durch einen Korridor führt. Ein anderes Bild auf den hinteren Seiten zeigt eine schon bekannte Szene. Mehrere Iraker liegen nackt zu einer Art Pyramide gestapelt auf dem Boden. Um sie herum stehen uniformierte Soldaten, einer von ihnen beugt sich zu den Gefangenen hinunter.
Die neuen Bilder stammen von einer CD-ROM, die Soldaten der "Post" in den USA ausgehändigt haben. Mehr als 1000 Bilder sollen auf der Zusammenstellung mehrerer US-Soldaten sein, die offenbar innerhalb der Armee kursierte. Neben unscheinbaren Schnappschüssen von Soldaten mit Irakern oder in ihren Camps finden sich auf der CD aber auch die Bilder, die in den vergangenen Tagen die Welt schockierten. Wie viele der Bilder folterähnliche Szenen zeigen, ist bisher nicht bekannt.
Neben dem außenpolitischen Desaster, das der Skandal anrichtet, schwärzen die Fotos das Bild, das die Amerikaner von ihrer Armee haben. Bisher hatten die das zwar rüde aber militärisch mehr oder minder saubere Vorgehen ihrer Truppen im Irak noch mit einer gewissen Bewunderung betrachtet. Obwohl Fernsehbilder mehrmals gewalttätige Razzien oder Straßenkontrolle zeigten, blieben Öffentlichkeit und Presse eher verhalten. Vielmehr als die Soldaten geriet meist die Regierung unter Druck, da sie die GIs nicht richtig ausstattete oder sie für Aufgaben einsetzte, für die sie nicht ausgebildet waren.
Folter soll "un-amerikanisch" bleiben Nun aber stellen sich die Amerikaner ernstere Fragen. Die Folter-Fotos bedrohen das Image ihrer Nation: Auf dem Weg vom Land der Freiheit zum Land der Gesetzlosen. Diesem Gefühl wollte Präsident Bush entgegen wirken, als er die Taten rasch als "un-amerikanisch" verurteilte.
Doch so einfach erscheint selbst den Schlichtesten die Lösung nicht: Wie in aller Welt, so fragen nicht nur Zeitungskolumnisten, kamen die US-Soldaten zu einem Punkt, wo sie irakische Gefangene auf solch brutale Worte misshandelten und sich sogar dabei fotografieren ließen?
Erste Antworten ergeben sich aus Recherchen in der Umgebung der Skandal-Truppe des 372. Militärpolizeiregiments im Ort Cumberland im Staate Maryland. Reporter der "New York Times" versuchten dort in den letzten Tagen herauszufinden, wer die Folterer von Bagdad im wirklichen Leben sind. Der Ort steht laut dem Bericht wie unter Schock. Viele kennen die Männer und Frauen von Barbecue-Festen oder Football-Abenden - die Nachbarn sind nun auf den Bildern in Siegerpose vor nackten Irakern zu sehen, angeklagt von der ganzen Welt.
Auffällig ist an den Lebensläufen der beschuldigten Soldaten, dass einige von ihnen mit Gefängnissen und dem Umgang mit Gefangenen eigentlich schon vor ihrer Zeit als Soldaten reichlich Erfahrung hatten. Zwei der Hauptverdächtigen, der 37-jährige Seargent Ivan Frederick und der Gefreite Charles Garner, arbeiten auch im normalen Leben als Wächter in US-Knästen. Der 37-jährige Seargent Ivan Frederick verdiente sein Geld vor der Zeit im Irak in einem normalen Gefängnis im Bundesstaat Virginia. Seine Vorgesetzten kennen den Mann, der im Irak sehr oft weggesehen haben soll, als loyalen Mitarbeiter, sagen sie.
Folter-Soldaten im Todes-Trakt Sein Kollege Charles Garner, der in dem internen Untersuchungs-Bericht der Armee als Anführer der Folter-Truppe bezeichnet wird, bewacht im zivilen Leben ebenfalls Gefangene. Im Todestrakt im Gefängnis Green im Staat Pennsylvania ist der 35-jährige, dessen Porträt Zeitungslesern in den letzten Tagen hinter mehreren nackten Irakern entgegen lächelte, seit 1996 angestellt. Zwei Jahre nachdem Garner dort anfing, gab es in dem Gefängnis mehrere Anzeigen wegen Misshandlungen von Verdächtigen. Bisher ist aber unklar, ob Garner damals beschuldigt worden ist oder überhaupt in den Fall verwickelt war.
In einem Fall aber wurde bereits gegen Garner ermittelt. Seine Frau hatte ihn laut "Times"-Recherchen nach der Scheidung angezeigt, da ihr Mann sie verprügelt haben soll. Laut den Gerichtsunterlagen soll er sie geschlagen, mit Waffen bedroht und nach der Scheidung bespitzelt haben. Die Aussagen der Frau lesen sich erschreckend parallel zu den Erkenntnissen der Militär-Ermittler über die Praktiken im Irak. So soll Garner seine Frau zur Drohung mehrmals gegen die Wand geschleudert haben. Ein Gericht verhängte gegen Garner damals mehrere Auflagen. Sein Anwalt sagte gegenüber Reportern, es habe nie einen Beweis für die Beschuldigungen gegeben.
Immer deutlicher wird auch, dass unter den beschuldigten Soldaten enge persönliche Bindungen bestanden. Laut Recherchen der "Times" waren der Gefreite Garner und die ebenfalls beschuldigte Lynndie England seit längerem ein Paar. Bekannte berichteten nun, dass die Soldatin von ihrem Freund schwanger war und deshalb frühzeitig in die USA zurückkehrte. Sie ist mittlerweile auf einer anderen US-Basis eingesetzt, wo sie auch von den Ermittlern verhört wird. Die Fahnder vermuten, dass die Soldatin nur wegen ihrer Beziehung so oft im Gefangenentrakt war. Eigentlich war sie bei der Registrierungsstelle in dem Gefängnis beschäftigt.
Ausweg Armee
Soldat Ivan Frederick: Nur noch Wochen bis zur Armee-Pension
Keiner der Beschuldigten hat eine einfache Biographie. England wird von Verwandten als starrköpfig und sehr unabhängig beschrieben. Mit 21 Jahren zerbrach bereits ihre erste Ehe. Nach der Scheidung arbeitete sie in einer Hühnerfabrik in West-Virginia. Doch die junge Frau träumte vom College, um später als Meteorologin das Heraufziehen von Stürmen voraussagen zu können. England sei dann in die Reserve eingetreten, weil sie selbst das Geld für ihre Ausbildung verdienen wollte, erzählte die Mutter der "Times".
Die Mutter von Lynndie England ist fest davon überzeugt, dass ihre Tochter nur die Befehle von oben befolgt hätte. Laut ihrer Tochter sie sei von Kameraden gebeten worden, für die Bilder zu posieren. Sie sei einfach "zur falschen Zeit am falschen Ort" gewesen, sagte sie zu ihrer Mutter laut "New York Times".
Auch der Lebenslauf von Ivan Frederick, so schildern es die "Times"-Reporter, zeigt ein zerrissenes Bild. Schon in der High School meldete er sich bei den Reservisten. Nach der Schule jobbte Frederick mal hier, mal dort. Eine Sonnebrillenfirma verließ er schnell und zog sich nach Mexiko zurück. Sein großer Traum war es, Polizist zu werden. Doch die Ergebnisse seines Studiums reichten nur für einen Job im Gefängnis, wo er seine spätere Frau kennen lernte. Eigentlich wollte er schon im letzten Jahr aus der Reserve-Armee austreten, sagt sie. Für die Pension aber fehlten ihm noch einige Monate, deshalb ging er in den Irak.
Die einzige wirkliche Soldaten-Karriere hat Charles Garner hinter sich. Er war mehrere Jahre bei den Marines, einer harten Truppe. Noch heute trägt er den großen Adler als Tattoo auf dem rechten Oberarm. Ob Garner schon damals bei Auslandseinsätzen dabei war, ist bisher nicht bekannt. Aus den zugänglichen Militärakten geht laut den "Times"-Recherchen lediglich hervor, dass er die Elite-Einheit im Jahr 1996 als Unteroffizier verließ. Seitdem arbeitete der bullige Mann als Knastwächter im Todes-Trakt und ging von dort in den Irak.
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