Kino Ich bin ein Türke Von Karen Krüger
|
16. Februar 2006 So etwas gab es in der Türkei noch nie: Mit Produktionskosten von zehn Millionen Dollar ist „Tal der Wölfe” der teuerste Film in der Geschichte des türkischen Kinos.
Mehr als eine Million Menschen sahen in der Türkei den Film in den ersten drei Tagen. Seit seinem Deutschlandstart in der vergangenen Woche sind auch hier die Kinosäle bis zum Platzen gefüllt. Die meisten Besucher sind Türken (siehe auch: „Tal der Wölfe” im türkischen Familienkino). Der Film schockiert mit blutigem Antiamerikanismus und antisemitischen Stereotypen. Weniger deutlich formuliert, jedoch stets im Subtext von Bildern und Dialog enthalten, ist das Plädoyer des Films für den türkischen Nationalismus. „Wegen der Mohammed-Karikaturen haben im Moment alle eine sehr selektive Wahrnehmung”, sagte Cem Özdemir, Abgeordneter im Europaparlament, gegenüber dieser Zeitung. „Das eigentliche Problem des Films ist jedoch nicht sein religiöses Moment, sondern der überbordende türkische Nationalismus. Er ist die Folie, auf der der Film funktioniert.” „Die Schande ist noch lebendig” Der Film beginnt mit der historisch verbürgten Verhaftung der elf türkischen Offiziere durch amerikanische Soldaten. „Die Szene ist wichtig, weil sie die verletzten Gefühle der Menschen berührt”, sagt Selcuk Sazak, der in Berlin die türkische Filmwoche organisiert, „Die Schande ist noch heute in den Köpfen vieler Türken lebendig.” Der Nordirak von Regisseur Serdar Akar ist eine verdrehte Zitatensammlung von Bildern des Terrors und der Gewalt, die in der Türkei jeder schon einmal so oder ähnlich irgendwo gesehen hat: Das Gefängnis Abu Ghraib und eine Rampe, an der Menschen zur Organentnahme selektiert werden - in der Welt von „Tal der Wölfe” ist der Arzt allerdings Jude. Die Regierung von Ankara erscheint als Marionettenregime der Vereinigten Staaten. „Sogar das Gummi in euren Unterhosen ist aus Amerika”, schnaubt der Bösewicht Sam Marschall vor einem Kinopublikum, das teilweise noch mit türkischen Schulbüchern gelernt hat, die den Marshallplan als imperialistisches Zwangskorsett der Vereinigten Staaten verdammten. Besinnen auf die Wurzeln In dieser Welt des Bösen hat Menschlichkeit nur eine Chance, wenn man sich auf die gemeinsamen Wurzeln, nämlich das Osmanische Reich, das Turkmenen, Araber und Kurden vereinte, besinnt, lautet die Botschaft des Films. Immer wieder bedauern die Protagonisten den Zerfall des Großreichs und plädieren für ein erneutes Miteinander. Jung und Alt schwärmen von der Türkei. Wiederholt wird die türkische Fahne geküßt. „Bist du stolz auf die Türkei?” herrscht Dante, der amerikanische Oberschlächter, eine Frau an. Im Film zeigen sich die Anführer der Turkmenen und Araber bereit für den gemeinsamen Weg, doch weil die Kurden aus Gier nach Macht und Öl mit den Amerikanern paktieren, scheitert der Versuch. Aus deutscher Perspektive mag der Film als simpelste Schwarzweißmalerei erscheinen. Für viele Türken konstruiert er dagegen eine Realität, die glaubwürdig wirkt, weil sie sich auf Mythen der türkischen Vergangenheit bezieht und gängige Interpretationsmuster der Nahostpolitik durch konservative türkische Kreise adaptiert. Mißtrauisch beobachten diese die Wirkung der kurdischen Selbstverwaltung im Nordirak auf die Türkei. Viele türkische Kurden würden einen EU-Paß bevorzugen, anstatt zu einem autonomen Staat zu gehören, der von Feinden umgeben ist. Andere sympathisieren jedoch immer noch mit der PKK. Das Gebiet im Nordirak gilt als ihr Rückzugsort, und die amerikanische Armee zeigte sich bisher nicht willens, dort eine neue Front zu eröffnen, um sie zu entwaffnen. Nicht allein die sogenannte Sack-Affäre führte zu einer Abkühlung der türkisch-amerikanischen Beziehungen. Gleichzeitig tritt die türkische Regierung seit geraumer Zeit als Schutzmacht der Turkmenen im Irak auf. Wenn im „Tal der Wölfe” Agent Polat mit Turkmenen spricht, zieren Bilder von Atatürk deren Wände. Sie sind diejenigen, denen er im Kampf gegen Sam Marschall vertraut. Der Türkei versichern sie ihre uneingeschränkte Solidarität. „Der Film übertreibt an dieser Stelle sicherlich”, befindet Özdemir. „Es gibt unter den Turkmenen durchaus kritische Stimmen.” Freundschaft, Ehre und Anstand „Tal der Wölfe” macht den Traum von der Nation an der Abgrenzung vom Westen fest, verkörpert durch Sam Marschall. Seine obersten Gebote heißen Geld und Gott. Der Nordirak ist sein heiliges Babylon, in das er die Christen zurückführen möchte. Das Öl der Region ist ihm Mittel zum Zweck. Beim Gebet unter dem goldenen Kruzifix heckt er Mord und Verderben aus. Agent Polat, der Türke und Held des Films, handelt dagegen aus Freundschaft, Ehre und Anstand. Er achtet die Alten, beschützt Frauen und Kinder und ehrt den Zusammenhalt der Familie. Politik interessiert ihn wenig. „Ich bin nicht Diplomat, nicht Offizier. Ich bin ein Türke.” In einer Schlüsselszene, die nach der „Sack-Affäre” eine weitere Spirale der Gewalt öffnet, versinnbildlicht der Regisseur den nationalistischen Traum vom großen Türkenvolk durch eine Hochzeitsgesellschaft: Kurden tanzen mit Turkmenen und Araber mit Türken; es wird musiziert und über Familienbande und Tradition geplaudert, alle sind in ihre Festtagstracht gekleidet. Mit anderen Worten: Sie sind unterschiedlich und doch eins. „Ich bin meiner Kinder Erbe Hüterin”, sagt Leyla, als ihr Bräutigam ihr einen Dolch als Geschenk reicht, den die Frauen seines Stammes seit Jahrhunderten tragen. Mit diesem Dolch bringt Polat später Marschall um. Das Fest wird durch den Überfall amerikanischer Soldaten gesprengt. Jeder einzelne von ihnen ein Rambo, ungewaschen und schlecht frisiert. Wie eine Herde Vieh werden die Männer in einen Lastwagen gepfercht und davongefahren. Kontroverse Diskussionen Beim Verlassen des Kinosaals im Berliner Stadtteil Neukölln äußerten sich viele türkischen Zuschauer begeistert über den Film. Endlich zeige das Kino einen Blickwinkel, der nicht der Perspektive des Westens entspreche. Der Diskurs über den Islam und den Krieg im Nahen Osten sei ohnehin zu sehr von der deutschen Aufnahmegesellschaft bestimmt. „Mir hat gefallen, daß ,Tal der Wölfe' sich für eine Einheit der türkischen Völker ausspricht. Hier in Berlin gibt es ein Dutzend türkischer Gemeinden. Anstatt an einem Strang zu ziehen, geht jede ihren eigenen Weg”, sagt ein Jugendlicher. Für seinen Freund Cengiz ist „Tal der Wölfe” einfach ein Action-Film, „bei dem es richtig schön kracht”. Über Satellit hatte er zuvor die gleichnamige Fernsehserie gesehen, aus der sich der Kinofilm speist. Die türkische Presse diskutierte den Film kontrovers - der Zuschauererfolg in Deutschland liegt sicherlich auch darin begründet. Viele Journalisten freuten sich darüber, einmal die Amerikaner in der Rolle der Schurken zu sehen. Andere kritisierten seine nationalistische Botschaft. „Das Hauptmenü besteht aus Nationalismus, über den eine volle Kanne islamische Sauce gekippt wird”, schrieb die Zeitung „Milliyet”. „Die Partei, die sich die Botschaft des Film zu eigen macht, wird die nächsten Parlamentswahlen haushoch gewinnen”, prophezeite dagegen ein Journalist der „Hürriyet”. Damit könnte die Zeitung recht behalten. Mit dem republikanischen Verfassungsbegriff hat das Plädoyer des Films allerdings nichts zu tun. Im Tal der Wölfe sind nur diejenigen Brüder und Schwestern, die sich zum ethnischen Türkentum bekennen. Text: F.A.Z., 17.02.2006, Nr. 41 / Seite 37 |