Ein Gespenst geht um in Europa. Alle Jahre wieder blicken weihnachstgestresste Eltern panisch der heiligabendlichen Bescherung und dem sadistischen Urteil ihrer Zöglinge entgegen. Wer kennt sie nicht, die gelangweilt-beleidigte Miene, mit der sich der geliebte Nachwuchs unterm Tannenbaum durch Berge an Geschenkpapier pflügt? Nichts ist deprimierender für Eltern, als wenn das All-Terrain-Bike mit einem verächtlichen “Was, bloss 27 Gänge?” abgekanzelt, oder das neue Laptop mit “Monis hat aber schon eine 40 Gigabyte Festplatte” achtlos in die Ecke gefeuert wird.
Um Eltern zukünftig vor solchen Erniedrigungen zu verschonen, empfiehlt sich jetzt eine Alternative: Die Kinderaktie. Dahinter verbirgt sich nicht etwa die anteilsmässige Veräusserung des eigenen Nachwuchs (Börsenmarkler aufgepasst, hier schlummert eine neue Geschäftsidee!) sondern der Gedanke, die geliebten Kleinen mit Börsenpapieren zu überraschen.
In den USA haben McDonald’s, Coca-Cola oder Walt Disney, Kinder schon lange als eigene Zielgruppe entdeckt. Walt Disney’s spezielle Kinderaktie – sie steckt in einem bunten Paket mit Dumbo und Dagobert – war ein Renner im Weihnachtsgeschäft der vergangenen Jahre. Das Kalkül der Unternehmen: Wenn die Jüngsten unsere Produkte so sehr mögen, warum sollten sie dann nicht auch frühzeitig an unsere Aktien herangeführt werden?
Was auf den ersten Blick hirnrissig erscheint, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als das passende Geschenk zur Zeit: Aktien sind interaktiv, spannend, lehrreich, und im Verfallsdatum - von Internetfirmen-Beteiligungen einmal abgesehen - traditionellen Weihnachstgeschenken mehr als ebenbürtig. Nicht vergessen werden sollte der Wert der Kinderaktie für das harmonische Familienleben. Was gibt es Schöneres als mit der gesamten Familie über die besinnlichen Tage die Kurse der neuerworbenen Anteile zu studieren, Zacken zu Gebirgen zu verbinden, oder Tochter und Sohnemann Malen nach Zahlen an konkreten Kurs/Gewinn-Kurven einüben zu lassen.
Aktien gibt es in allen Geschmacksrichtungen in schier unüberschaubarer Vielfalt. Der fussballfanatische Sohn wird von einem Anteil an seinem Lieblingsclub ebenso begeistert sein wie die Tochter von einer Beteiligung am Harry-Potter-Imperium. Und umgekehrt natürlich umgekehrt.
Die Kinderaktie zu Weihnachten ist allerdings nur ein erster Schritt. Grundsätzlich geht es darum, den Nachwuchs so früh wie möglich in seine globalgesellschaftliche Verantwortung zu nehmen. Wurde in den 70er Jahren noch mit Kinderdemokratie oder Kindermedien experimentiert, so bieten Aktien und Börsenkurse unseren Kleinen heutzutage ganz andere Möglichkeiten der Mitgestaltung. Anteil nehmen wird durch das Geben von Anteilen ersetzt. Geben ist schliesslich seliger als Nehmen, nicht nur zur Weihnachtszeit. Wer sich schon immer gefragt hat, warum aus ihm selbst, trotz allen Monopoly-Spielens kein erfolgreicher Kapitalist geworden ist, kann seinen Kindern nun frühzeitig auf den richtigen Weg helfen.
Spielerisch werden sich unsere kleinen Lieblinge ihrem neuen Betätigungsfeld zuwenden: Der Reiz von Computerspielen, wie zum Beispiel einem lausigen Flugsimulator, verblasst neben der viel aufregenderen Möglichkeit, in Zukunft die Börsenkurse von Boeing, oder gar ganzen Nationalökonomien in Echtzeit abstürzen zu lassen. Kindliche Intuition ist in vielerlei Hinsicht ein beneidenswertes Gut, welches es nutzbar zu machen gilt bei der Jagd nach dem schnellen Geld. Die 6- bis 16-jährigen sind die wahren Kreativlinge und werden schon bald die 25-jährigen Dotcom-CEOs aus den Firmenzentralen fegen und in ein unverdientes Rentnerdasein befördern.
Die Konjunktur an den Börsen wird sich in Zukunft also am Stand von, Teletubbies, Kinderschokolade und Barbie/Mattel orientieren. Auch vom ethischen Gesichtspunkt erscheint es mehr als gerechtfertigt, daß unsere metropolitanen Zöglinge Anteil an der Spielwarenproduktion nehmen, und nicht bloss ihre in der Fabrikation beschäftigten Altersgenossen in Bangladesh.
Wenn die Weissagung der Cree tatsächlich stimmen sollte, und uns die Erde von unseren Kindern nur leihweise zur Verfügung gestellt wurde, dann bietet sich so auch endlich eine Möglichkeit, wie wir den nachfolgenden Generationen diese Leihgabe zu vergüten, beziehungsweise heimzuzahlen haben. Nämlich mit Aktien und Anteilen an genau denjenigen, die nicht nur uns, sondern auch ihnen die Zukunft versauen werden. Nachfolgende Generationen wird dadurch die Standard-Anklage “Wo warst Du, als…?” aus der Hand geschlagen, denn sie waren selbst schon daran beteiligt. Mögen Kinder also darüber entscheiden, ob in Zukunft mit Tropenrodung mehr Reibach zu machen ist als mit finnischem Fichtenspielzeug. Alle Macht den Kindern! |