FRANKFURT (dpa-AFX) - Kaum eine andere Branche hat die Fantasie der Anleger so sehr angeregt und bewegt wie die Biotechnologie. Dies mag an der Komplexität und an der für Normalsterbliche ohne naturwissenschaftlichen Backround kaum zu beurteilenden Chancen und Risiken von Aktien aus dem Biotech-Sektor liegen. Das hohe Anlagerisiko zeigt sich in der Schwankungsanfälligkeit einzelner Titel. "Anleger müssen sich beim Kauf einzelner Biotech-Aktie bewusst sein, dass das Risiko der Aktienanlage höher ist, als beim Kauf einer Aktie aus der IT-Branche, unterstrich Sonja Strauss, Chief Investment Officer bei Julius Bär Kapitalanlage auf einer Veranstaltung der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Anlageberatung (DVFA) in München. "Die rund-um-sorglos-Haltung kann es nicht mehr geben", fügte Strauss hinzu.
Die Korrektur am Neuen Markt , der rund 45 Prozent von seinen Höchstständen im März entfernt ist, habe gezeigt, dass eher das Risiko der Aktienanlage im Zentrum der Börsenberichterstattung stehen sollte, so Strauss. Hier sei auch die Deutsche Börse gefragt, die eventuell ihr Regelwerk anpassen sollte. In der Vergangenheit war von der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK) und Kurt Ochner, Fondsmanager bei Julius Bär, Kritik am Regelwerk der Deutsche Börse erhoben wurden. Um das angeschlagene Vertrauen in den Neuen Markt wiederherzustellen, sei insbesonders die Offenlegungspflicht von Anteilsverkäufen durch das jeweilige Unternehmensmanagement wünschenswert, sagte ein Fondsmanager im Gespräch mit dpa-AFX. Jeder Anleger sollte wissen, wann sich ein Altaktionär von seinen Papieren trenne, da dies ein Signal senden könne.
Den Chancen auf deutlich steigende Aktienkurse stehe eben auch die Gefahr eines Kursrutsches gegenüber. Anleger sollten sich bewußt sein, dass sie die Verantwortung für ihre Investmententscheidung tragen, glaubt nicht nur Hans-Jürgen Klockner von der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie sondern auch Ulrich Hommel, Dekan der European Business School und Vorsitzender eines Arbeitskreises, der sich bei der DVFA mit Reporting-Standards für Biotech-Unternehmen beschäftigt. Der Arbeitskreis für Reporting-Standards setzt sich nach Aussage von Marcus Wieprecht, Pharma- und Biotech-Analyst auch mit Fragen über eine Änderung der Haltefrist für Altaktionäre auseinander. Für Bernd Schnarr von Equity Research besteht die Gefahr, dass nach dem ehemaligen Börsenliebling und Anlegerstar EM.TV auch Biotech-Unternehmen ihre eigenen Prognosen nicht einhalten können. "Mal sehen, was die kommende Berichtssaison bringt".
Um das Risiko eines Fehlinvestments zu minimieren, rät Christiane Dienhart, Analystin für Biotech-Unternehmen bei der Hypo-Vereinsbank, in Pharma- oder Biotechfonds zu investieren. "Wenn sich der Privatanleger in eine Aktie verliebt habe, habe er die Verantwortung, sich vom Unternehmen die entscheidungsrelevanten Informationen zu beschaffen, erklärte dagegen die Julius Bär Expertin. "Besser auf Aktien von Unternehmen setzen, die Hacke und Schaufel für innovative Biotech-Unternehmen liefern, als auf solche die Medikamente selbst herstellen", lautet dagegen der Rat eines Analysten einer Frankfurter Großbank. Die Gefahr, dass sich nach hohen Investitionen in die Forschung und teueren klinischen Studien und Test am Patienten herausstelle, dass ein Medikament nicht wirkt, sei sehr groß erklärte Dienhart.
Die Frage nach einer Vertrauenslücke zwischen Analyst und Unternehmen wurde vor dem Hintergrund der Turbulenzen am Neuen Markt kontrovers diskutiert. Für Dirk Honold, Finanzvorstand der am Neuen Markt notierten november AG "kann sich ein kleines Unternehmen vor Investoren und Analysten nicht so präsentieren, wie es sich der Vorstand wünscht. "Die Biotechnologie ist sehr erklärungsbedürftig". Eine Tatsache, die den Berufsverband mit einem Ausbildungsgang zum Biotechnologieanalysten auf dem Plan rief. Die Ausbildung zum DVFA-Fachanalysten Biotechnologie unter der wissenschaftlichen Gesamtleitung von dem Wiener Universitätsprofessor Otto Loistl soll diese Lücke schliessen. Angesichts der starken Zunahme von notierten Werten am Neuen Markt und der deutlichen Bewertungsunsicherheit bei innovativen Wachstumsunternehmen komme der Transparenz und Nachvollziehbarkeit der in Researchberichten verwendeten Bewertungsansätze große Bedeutung zu, unterstrich Hans-Jürgen Klockner von der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie (DIB).
Doch Analysten befinden sich oft in einem Spannungsfeld verschiedener Interessen. "Der Privatanleger muss sich deshalb bewußt sein, dass er die Hauptverantwortung für sein Investment trägt", fordert daher die Analystin Dienhart. Marcus Wieprecht von der Baden-Württembergischen Bank setzt daher auf Unternehmen, die in maximal zwei bis drei Jahren Gewinn erwirtschaften und eine überzeugende Strategie haben. In Zukunft werde es jedoch immer wichtiger die Rosinen aus dem Kuchen der Biotech-Unternehmen herauszuzpicken./ep/so
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