Aserbaidschans zweiter Frühling von Marcus Bensmann (Baku) Unkontrolliert werden an jeder Straßenecke Bakus vielstöckige Häuser in Spiegelglas und Beton hochgezogen. Dem wachsenden Straßenverkehr sind die beschaulichen Gassen in der Hauptstadt Aserbaidschans nicht gewachsen. In der Luft mischen sich die Abgase mit vom Meer her wehendem Ölgeruch.
Ölfeld bei BakuDie einstige Sowjetrepublik im Kaukasus erlebt einen ökonomischen Rausch. In den vergangenen beiden Jahren wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes jeweils um mehr als 25 Prozent. Der Wert der Exporte nahm allein 2005 um 71 Prozent zu, ein Trend, der sich im vergangenen Jahr fortsetzte. Verantwortlich für das Rekordwachstum war vor allem die florierende Öl- und Gasindustrie Aserbaidschans.
Anders als beim ersten Ölboom des Landes Ende des 19. Jahrhunderts fließt der Rohstoff allerdings nicht mehr einfach aus der Erde, sondern muss größtenteils offshore vom Grund des Kaspischen Meers gefördert werden. Ein von BP geführtes Konsortium erschloss das Ölfeld Aseri-Tschirag-Guneschli vor der Küste Aserbaidschans, das über 5,4 Milliarden Barrel (1 Barrel = 159 Liter) verfügen soll. Bis 2008 sollen eine Million Barrel pro Tag gefördert werden.
Was Aserbaidschan jedoch für USA und Europa wirklich interessant macht, sind weniger seine Ölvorkommen als die geografische Lage: Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben verschiedenste US-Regierungen daran gearbeitet, die Bodenschätze Zentralasiens und des Kaukasus an Russland und dem Iran vorbeizuleiten - um nicht zu abhängig von problematischen Importländern zu werden. Die Anwaltskanzlei des ehemaligen US-Außenministers James Baker bereitete den Weg für die BTC-Pipeline, die seit vergangenem Jahr Öl aus Baku über das georgische Tiflis bis in den türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan und von dort aus auf den Weltmarkt bringt.
Wichtiges Transitland Aserbaidschan wurde damit auch zu einem wichtigen Transitland. Drei 10.000 Tonnen schwere Tanker bringen bisher von der kasachischen Ostküste Öl über das Meer zur BTC-Pipeline. Ende 2006 wurde zudem von BP und der norwegischen Statoil das Gasfeld Schah Denis erschlossen und eine Gaspipeline gebaut, die über Georgien ebenfalls an Russland vorbei in die Türkei führt. Auch dies ist eine Investition in die Zukunft: Eines Tages könnten auch kasachisches und turkmenisches Gas durch die Leitung nach Westen strömen. "Es ist wichtig und notwendig, dass die EU verstärkt den Blick auf den südlichen Kaukasus richtet", sagte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier Mitte Februar nach einem Gespräch mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew.
Für Aserbaidschan wirkt der derzeitige Boom wie eine Rückkehr längst vergangener Tage. Vom Haidar-Alijew-Flughafen führt die Straße auf dem Weg nach Baku an den zwei ältesten Ölfeldern der kaspischen Region vorbei. "Das Öl lag so dicht an der Oberfläche, dass man nur mit einer Hacke einschlagen musste", heißt es in historischen Quellen. Der erste Ölrausch bescherte Ende des 19. Jahrhunderts der Stadt am Kaspischen Meer einen beispiellosen Aufschwung. Die Brüder Nobel, schwedische Unternehmer, entdeckten das Potenzial des Rohstoffs und zogen in kurzer Zeit eine blühende Industrie hoch. Aus Sandstein erbaute Palais und Bürgerhäuser in Neogotik und Jugendstil gaben der Stadt ein mediterranes Flair.
Das britische Ölkonsortium BP übernahm nach dem Ende der Sowjetunion die Rolle der Gebrüder Nobel. Das Unternehmen sicherte sich in einem Jahrhundertvertrag mit der aserbaidschanischen Regierung 1994 die Erschließung der Öl- und Gasfelder und projektierte den Bau der BTC-Pipeline. Insgesamt investiert das von BP angeführte Konsortium über 18 Mrd. $ in den Jahrhundertvertrag.
Als Partner dient BP die staatliche Ölgesellschaft Socar. Die Gesellschaft, für die über 70.000 Menschen tätig sind, arbeitet in 25 Production Sharing Agreements (PSA) mit anderen internationalen Ölfirmen zusammen, darunter Exxon Mobil, Lukoil und Agip Eni. BP aber bleibt wichtigster Akteur in Baku.
Die Erlöse aus dem Erdöl fließen nach norwegischem Vorbild in einen Zukunftsfonds, der seit letztem Jahr mit ansehnlichen Ausschüttungen das bis dahin klamme aserbaidschanische Budget füllt. Für seine Teilnahme an der Transparenz-Initiative für den Rohstoffsektor (EITI) erhält das Land internationale Anerkennung. Dass Präsident Alijew sein Land nach wie vor mit harter Hand regiert, wird dabei gern übersehen. Der zweite Ölboom von Baku hat begonnen.
Kampf um Quellen
Ölmultis Die Jahresumsätze der größten Player im Öl- und Gasgeschäft - Exxon, Shell und BP - betragen jeweils mehrere Hundert Milliarden Dollar, sind also so hoch wie die Wirtschaftsleistungen kleinerer Industrieländer: Exxon ist in dieser Hinsicht so groß wie Schweden, Shell so groß wie Österreich, BP entspricht Dänemark. Mit etwas Abstand folgen Total, ConocoPhillips und Chevron.
Staatskonzerne Die Ölmultis verdienen ihr Geld mit der Ölförderung, der Verarbeitung und dem Transport von Öl. Was die geförderten Ölmengen angeht, hängen allerdings einige Staatskonzerne die Ölmultis ab - wie der saudi-arabische Konzern Saudi Aramco, der größte Ölförderer weltweit, und der venezolanische Staatskonzern Petróleos de Venezuela.
Staatliche Kontrolle Für die Konzerne wird es schwieriger, neue Ölquellen aufzutun, denn die staatlichen Gesellschaften gewinnen an Einfluss. Venezuelas Präsident Hugo Chávez will die Ölindustrie seines Landes komplett unter staatliche Kontrolle bringen: Bis Mai sollen die amerikanischen Ölkonzerne Exxon, Chevron und ConocoPhillips ihre Mehrheitsanteile an Ölprojekten dem Staat verkaufen, nur Minderheitsanteile dürfen sie behalten. Weltweit werden derzeit 80 Prozent der Ölreserven von Staatsunternehmen kontrolliert.
Alternativen Der Chef des französischen Ölkonzerns Total hat Konsequenzen aus der Situation gezogen: Im Februar kündigte er an, Total wolle sich möglicherweise in der Kernkraftbranche engagieren. Europäische und amerikanische Großkonzerne wie Shell, Total, Exxon und Chevron investieren außerdem massiv in alternative Arten der Ölförderung wie die Ölgewinnung aus Ölsanden in Kanada und aus Teersanden in Venezuela.
Chancen im Irak Das vor wenigen Tagen beschlossene Ölgesetz im Irak bietet neue Chancen für die Ölmultis: Ausländische Konzerne sollen sich zukünftig an der Ölförderung im Irak beteiligen dürfen.
Aus der FTD vom 02.03.2007 © 2007 Financial Times Deutschland, © Illustration: Bloomberg
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