EVOLUTION UND GLAUBEN
Stammt Gott von Darwin ab?
Von Claus Christian Malzahn
In den Vereinigten Staaten tobt eine scharfe Debatte zwischen der christlichen Rechten und säkularen Konservativen und Liberalen um das sogenannte Intelligent Design. Schwappt die Diskussion nach Europa über? Es geht um nichts weniger als das philosophische Selbstbild des Westens.
< script type=text/javascript><!--OAS_RICH('Middle2'); // -->< /script><!-- www.spiegel.de/panorama/panorama1/artikel@Middle2 -->Berlin - Samuel P. Huntington, Harvard-Professor für strategische Studien, prophezeite vor zehn Jahren seinen "Clash of Civilization", der im Deutschen als "Krieg der Kulturen" den Weg in die Debatte fand. Und die Kriegserklärung fundamentalistischer Muslime an die westliche Welt vom 11. September 2001 schien ihm Recht zu geben. Die Folgen dieser Auseinandersetzung sind bis heute spürbar, und während man vor 1989 geneigt war, die Welt unter den Gesichtspunkten des Kalten Krieges zu sortieren, ordnet man sie heute vor allem in die Kategorien des Krieges gegen den Terror.
| REUTERSDie Erdkugel: Was war am Anfang aller Zeiten? | Doch nun bricht, vollkommen unerwartet, ein neuer Glaubenskrieg aus. Er wird vor Gericht, in den Lobbys von Washington, an den Universitäten geführt Es geht um nichts weniger als um das philosophische Selbstbild der westlichen Welt. Die Auseinandersetzung tobt vor allem in den USA, aber sie wird bald über den Teich schwappen: In das katholische Polen genauso wie in das agnostische, in manchen Landstrichen entchristianisierte Deutschland; überall dort in Europa, wo Kirchen und Religionsgemeinschaften bestehen und vernünftige Menschen eine Antwort auf alte Menschheitsfragen haben wollen.
Genom-Forscher haben den Mythos Mensch bald entschlüsselt wie ein Kreuzworträtsel. Man weiß aber, was mit ausgefüllten Rätselheften geschieht. Man wirft sie weg. Genau davor haben auch solche Menschen Angst, die mit der rasenden rechten Christenheit und ihrem pseudowissenschaftlichen Theorien in den Vereinigten Staaten so viel zu tun haben wie ein braver Sozialdemokrat mit Nordkoreas Kim Jong Il.
Die biologische Wissenschaft, so der Verdacht, definiere den Homo sapiens nach den revolutionären Forschungen der vergangenen Jahre inzwischen nur noch über die Summe seiner Gene. Wir wissen heute, wie der Mensch gemacht ist. Wir sind inzwischen selbst in der Lage, dort Hand anzulegen, was man einst für die exklusive Baustelle Gottes gehalten hat.
| AFPEvolutionsforscher Charles Darwin: Ist Gott überflüssig? | Diese wissenschaftliche und eben nicht nur theoretische Offensive des Biologismus begreifen fast alle Kirchen - nicht nur die christliche Rechte in den USA - als problematische Einmischung in innere Angelegenheiten. Nicht alle würden das freilich so nennen, und auf die Idee, die biblische Geschichte von der Entstehung der Welt als ordentlichen wissenschaftlichen Lehrstoff anzubieten, ist in Deutschland noch keiner gekommen. Doch ein allgemeines Unbehagen angesichts des Triumphzugs der Genome bleibt. Katholiken und Protestanten betonen gern die ethischen Probleme, die damit verbunden sind. Die Skepsis ist überall die Gleiche, denn es geht ans Eingemachte: Wenn alle Geheimnisse des Menschseins ausgeplaudert und in Datenlisten gespeichert und auf Reagenzgläser verteilt sind, dann ist Gott bald so überflüssig wie ein Schreiber mit Federkiel in einer High-Tech-Druckerei. Um die Welt der Biologen zu erklären, braucht ihn kein Mensch mehr.
Umgekehrt muss man befürchten, dass die eifernde Bewegung des "Intelligent Design" nichts weniger im Sinn hat, als die moderne Wissenschaft außer Gefecht zu setzen. Das Ganze erinnert an mittelalterliche Auseinandersetzungen zwischen Freigeistern und der mächtigen Kirche. Aber dieser Vergleich ist oberflächlich, denn Galileo hat an Gott geglaubt. Die Wortführer der Evolutionstheorie wie der amerikanische Philosoph Daniel Dennettaber sagen: Es gibt keinen Gott. Er war gar nicht notwendig. Nietzsche hat Gott wenigstens sterben lassen. Die Neodarwinisten sagen: Er war nie da.
Das ist möglich - für den Glauben aber vollkommen unerheblich. Beim modernen Glauben kann es heute nicht mehr darum gehen, den Kosmos zu erklären und wie er entstanden ist. Aufgeklärter Glauben ist heute nicht mehr - aber auch nicht weniger - als Sicherheitsgurt und Trostpflaster in einer rasend schnellen Welt. Kein vernünftiger Mensch kann die Evolutionstheorie bestreiten. Allerdings sollte sich die biologische Wissenschaftszunft ebenso davor hüten, Religion und Gottvertrauen einfach als unwissenschaftlichen Schwachsinn abzutun. Und nicht jeder gläubige Mensch, der sich den Anfang der Welt nur mit göttlichem Impuls vorstellen kann, ist ein Feind der Aufklärung.
Glauben ist per Definition unwissenschaftlich. Gott sei Dank. Das haben übrigens die Vorkämpfer des Intelligent Design vollkommen vergessen, und deshalb werden sie diese Auseinandersetzung auch verlieren. Sie handeln übrigens gegen das erste christliche Gebot: "Ich bin der Herr, Dein Gott. Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist." Mit anderen Worten: Gott lässt sich nicht nur nicht beweisen, er will sich auch gar nicht beweisen lassen - Punkt. Das ist kein Manko. Im Gegenteil, es macht den Glauben leichter.
Doch der christliche Glauben muss heute nicht nur die Wahrheiten der Genomforschung aushalten, sondern auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse der modernen Theologie, die er selbst erschaffen hat. Zur Selbstvergewisserung des Christentums liegen hier die eigentlichen Herausforderungen moderner Religion. Neutestamentsforscher wie der Amerikaner Burton Mack deklinieren Jesus inzwischen zu einem Weisheitslehrer mit gefälligem Sprüchekatalog herunter, der mit dem späteren Christentum so viel zu tun hat wie Leonardo da Vinci mit dem ersten bemannten Mondflug.
Um solche Thesen kann man sich natürlich lange mit viel Weihrauchnebel herumdrücken, aber die Frage nach dem historischen Jesus wird die Kirche seit dem Beginn der Aufklärung nicht mehr los. Im Gegenteil, sie wird drängender werden, denn die Schere zwischen wissenschaftlicher Theologie und religiöser christlicher Verkündung ist schon heute nicht mehr zu schließen. Mit diesem Dilemma wird die Kirche leben müssen. Verstecken muss sie sich deswegen nicht.
Die neodarwinistische Biologie wird uns helfen, uns über den Menschen klarer zu werden. Aber das, was uns Menschen eben so rätselhaft erscheint, wird sie nicht erklären können. Von Gut und Böse müssen Biologen nichts verstehen, und genau dieses ethische Vakuum hat dazu geführt, dass der Darwinismus im 20. Jahrhundert eine ideologische Vorlage für den Rassenwahn der Nazis abgeben konnte. Doch die Kirchen sollten sich hüten, dieses Argument gegen die moderne Wissenschaft zu verwenden, denn die theologische Behauptung, im Besitz des Wissens über Gut und Böse zu sein, hat das Christentum keineswegs vor eigenen Verbrechen bewahrt.
Der aktuelle Konflikt in den USA wird zu nichts führen, weil kein Erkenntnisinteresse in ihm steckt. Die Auseinandersetzung ist kein gutes Vorbild für den notwendigen Streit zwischen Religion und Wissenschaft. Denn was immer die Forscher herausfinden werden, steht einem aufgeklärten Glauben überhaupt nicht im Wege. Umgekehrt sollten die Genomjunkies, Stammzellenbastler und Embryonentüftler nicht annehmen, dass sie die Ergebnisse ihrer steten Arbeit im humanen Grenzbereich künftig auch noch alleine interpretieren dürfen.
Da ist, immer noch, der liebe Gott vor - selbst wenn er inzwischen nur noch eine steile These der Religionsphilosophie sein sollte. (Aber wer glaubt schon sowas.) |