F.A.Z., 21.01.2006
Wettlauf um neue Kraftwerke in Deutschland 20. Januar 2006 Fast Woche für Woche werden in jüngerer Zeit Pläne zum Neubau von Kraftwerke veröffentlicht. Wegen der Befürchtung veränderter Rahmenbedingungen ist ein Wettlauf zwischen den etablierten großen Stromproduzenten, den Stadtwerken und neuen Investoren entbrannt.
Geplant sind fast 24.000 Megawatt elektrische Leistung, ergibt eine Zusammenstellung dieser Zeitung. Das ist deutlich mehr als die Hälfte des in der Elektrizitätsbranche bis zum Jahr 2020 auf 40.000 Megawatt bezifferten Bedarfs zur Erneuerung des in die Jahre gekommenen Kraftwerkparks. Das sind gute Signale für den Verbraucher. Eigentlich spricht einiges für weiterhin steigende Strompreise. Zwar besteht durch die Vorstöße der neuen Bundesnetzagentur und des Bundeskartellamt in Sachen Durchleitungsentgelte und Einpreisung kostenloser Emissionszertifikate die Aussicht auf gewisse Preiskorrekturen. Aber das von globaler Nachfrage beeinflußte Energiepreisniveau dürfte Importkohle und Erdgas tendenziell weiter verteuern. Solange das Stromangebot in Deutschland knapp bleibt, müssen vor allem die Stromproduzenten keinen besonderen Margendruck fürchten. Älter werdende Kraftwerke Aber genau diese Sorge ist neuerdings unter den großen Stromproduzenten zu fühlen. So bezeichnet Jan Zilius, der bei RWE für die Stromerzeugung zuständige Vorstand, das Interesse neuer Marktteilnehmer am Kraftwerksbau vor allem als Beleg für den funktionierenden Wettbewerb. „Allerdings ist es unwahrscheinlich, daß alle angekündigten Projekte auch realisiert werden”, wiegelt der für das aufwendigste Neubauprogramm in Deutschland zuständige RWE Power-Chef ab. Richtig ist, daß die deutsche Landkarte von Neubauprojekten noch eine Reihe vager Vorhaben enthält. So sind die Kölner Rheinenergie und Stadtwerke noch in der Phase der Bedarfsanalyse und in der Standortfrage unentschieden. Das gilt auch für das im Herbst von den Stadtwerken Bochum angekündigte Trianel-Steinkohlekraftwerk. Aber nach Angaben von Trianel-Vorstand Sven Becker, ist die wichtigste offene Frage eigentlich der beste Standort. Jahrelang ist in Deutschland angesichts der immer älter werdenden Kraftwerke nur über den immer dringender werdenden Neubaubedarf gesprochen worden. Aber bisher hieß es immer, die energiepolitischen Rahmenbedingungen seien für solch langfristige Investitionen noch zu unsicher. Die Abwahl der rot-grünen Bundesregierung im Herbst hat daran wenig geändert. Denn die große Koalition muß sich zu einer gemeinsamen Energiepolitik erst zusammenraufen. „Anlage bis 2012 ans Netz bringen” Aber mehrere betriebswirtschaftliche Faktoren setzen die Stromproduzenten unter Handlungsdruck. Dabei spielt die Zeit die größte Rolle. Angesichts der Erdgas-Verteuerung freuen sich Kraftwerksbetreiber, daß sie ihre Anlagen gerade in Betrieb genommen oder zu bauen begonnen haben. Auch droht denen, die zögern nach Lage der Dinge eine Verteuerung der Investition durch mittelfristig wahrscheinlich steigende Zinsen oder durch wachsende Anlagenkosten, wenn sich bei den nur noch wenigen Kraftwerksanlagenbauern wie Siemens, General Electric, Mitsubishi oder Alsthom die Aufträge häufen. „Wer sich ernsthaft mit neuer Kraftwerkskapazität befaßt, der sollte seine Anlage tunlichst bis 2012 ans Netz bringen”, unterstreicht auch Rheinenergie-Vorstand Bernhard Witschen. Denn 2012 läuft die zweite Stufe des Nationalen Allokationsplans (NAP) ab. Während nach Ansicht von Steag-Chef Alfrad Tacke für die Betreiber neuer Kraftwerk gute Aussichten bestehen, daß die Bundesregierung im Sommer die Spielregel für die nach 2008 entstehenden Anlagen nicht wesentlich verändern wird, ist unklar, wie Emissionsrechte nach 2012 zugeteilt werden. Seit der Strommarktliberalisierung hat sich die Wertschöpfung auf den Stufen Produktion, Großhandel, Netze, Einzelhandel, stark in Richtung Erzeugung verschoben. Anfangs waren die Stadtwerke die Gewinner der Marktöffnung. Sie konnten den Produzenten um etwa ein Drittel niedrigere Lieferpreise abringen. Aber bald haben größten Stromproduzenten durch Kapazitätsabbau den Markt erheblich verengt. Allein die beiden Marktführer RWE und Eon haben zusammen annähernd 10.000 Megawatt aus dem Markt genommen. „Bei den stark anziehenden Preisen an der Strombörse denken immer mehr Stadtwerke über eine stärker vertikale Aufstellung mit eigener Produktion nach”, erklärt Trianel-Vorstand Becker das neu erwachte Interesse an Kraftwerksinvestitionen. Weltmeister beim Betrieb von Windrädern Zusätzlich drängen weitere andere Investoren in die Stromproduktion. Die RAG-Tochtergesellschaft Steag, die bislang mit ihren Kraftwerken an Ruhr und Saar für eine Handvoll Kunden auf Zuruf produziert, ist angetreten, will künftig stärker als unabhängiger Kraftwerksbetreiber auftreten. Nachdem lange Verhandlungen über eine Strompartnerschaft mit dem Hauptkunden RWE, der bislang 80 Prozent des Steag-Stromes erhält, gescheitert sind, hat Steag in der EnBW in Karlsruhe den ersten Partner für Neubauten gefunden. Aber auch Ausländer wie die skandinavischen Energieunternehmen Statkraft und Fortum wollen als Produzenten und Händler die Gunst der hohen Strompreise nutzen. Schließlich darf auch der Einfluß der Windkraft nicht unterschätzt werden. Bereits jetzt ist Deutschland mit etwa 17.000 Megawatt Weltmeister beim Betrieb von Windrädern. Zwar ist die vom Wind abhängige Effizienz dieser Anlagen recht gering. Aber die Windbranche bereitet mit politischer Unterstützung in der Nord- und Ostsee große Projekte mit jeweils einigen hundert Megawatt Leistung vor. Die dabei auftretenden technischen Schwierigkeiten sind gewiß zu beheben. Unklar ist jedoch noch, ob solche aufwendigen Offshore-Großprojekte dann mit den gewährten Einspeisungsvergütungen auch rentabel sein werden. Dämpfender Einfluß auf die Strompreise „Im Augenblick herrscht bei den Investoren Goldgräberstimmung, und in den nächsten beiden Jahren wird viel passieren”, gab sich der Vorstand eines Versorgungsunternehmens gewiß. Diese Aufbruchstimmung setzt die vier großen Produzenten - neben RWE und Eon auch Vattenfall und EnBW - unter Druck. So räumt Zilius ein: „Klar ist, daß jede zusätzliche Kapazität tendenziell dämpfenden Einfluß auf die Strompreise hat.” Da das Quartett mit derzeit 80 Prozent Kapazitätsanteil bei einem Druck auf die Erzeugerpreise am meisten zu verlieren hätten, müßte es auch am stärksten an Mengendisziplin interessiert sein. Aber noch stärker ist offensichtlich das Interesse, nicht zu viele Marktanteile zu verlieren. Sie planen alle recht konkret selbst eigene Neubauten. RWE bekräftigt, daß es bei den für die kommenden 15 Jahre vorgesehenen 12 Milliarden Euro Investitionen in den Erzeugungsbereich keine Abstriche geben werde. Offensichtlich setzen die Marktführer darauf, daß sie mit ihren Strukturen und Möglichkeiten bei der Brennstoffbeschaffung gegenüber neuen Kraftwerksbetreibern noch Vorteile haben werden. Dennoch reagiert RWE bereits auf die drohende Konkurrenz. In den kommenden Tagen wird der Konzern Kraftwerkskapazität versteigern. Bei dieser Aktion können sich zum Beispiel Stadtwerke an einem virtuellen Kraftwerk einkaufen.
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