Bremsen, Anhalten, Ausweichen: Neue Sicherheitssysteme Stuttgart/Ingolstadt (dpa/tmn) - Im Hinblick auf die Sicherheit von Automobilen hat sich viel getan. Nach Ansicht der Entwickler wird sich aber in Zukunft noch wesentlich mehr tun.
Dabei geht es vor allem auch darum, alltägliche Notsituationen zu entschärfen. So sollen Assistenzsysteme Fußgänger erkennen können und den Wagen automatisch abbremsen oder ihn ausweichen lassen. Ebenfalls geplant sind Weiterentwicklungen der Airbagsysteme - oder auch Techniken, die einen Bremsweg weiter verkürzen helfen.
Mercedes in Stuttgart entwickelt ein Assistenzsystem, das Fußgänger erkennt und bis Tempo 70 je nach Verkehrssituation automatisch abbremst oder sogar ausweicht: «Dabei setzen wir auf eine Stereokamera mit aufwendiger Bilderkennung, eine Freiraum- und eine Situationsanalyse», erläutert Walter Ziegler, der bei Mercedes die Entwicklung aktiver Assistenzsysteme leitet.
Bis ein Auto tatsächlich einem Fußgänger ausweichen kann, wird es zwar nach Einschätzung des Entwicklers noch «mindestens eine Fahrzeuggeneration» dauern. Doch das Risiko von Fußgängerunfällen wird wohl schon früher zurückgehen. Denn deutlich früher will Audi in Ingolstadt ein System in Serie bringen, das querende Fußgänger erkennen und auch eine Vollbremsung einleiten kann. «Dadurch lässt sich die Aufprallgeschwindigkeit und damit die Verletzungsschwere deutlich verringern», stellt Entwickler Johann Stoll in Aussicht.
Während auch Audi für dieses System noch keinen Serientermin nennen kann, wird Volvo konkreter: «Die nächste Generation des S60 wird eine Fußgängererkennung mit Notbremsfunktion haben», verspricht Vorausentwicklerin Eeva-Lisa Book in Göteborg. Das neue Modell kommt bereits 2010.
Fußgängerunfälle sind aber nur eines der Themen: So sollen die Autos künftig auch am Stauende oder bei anderen Gefahren automatisch abbremsen und anhalten. Dabei setzt die Industrie nicht allein auf Radaraugen und Stereokameras, sondern auch den direkten Draht zum möglichen Unfallgegner. «Car-to-Car-Kommunikation» heißt die Technologie, mit der einzelne Fahrzeuge Daten austauschen und sich gegenseitig vor Gefahren warnen können, erläutert Opel-Entwickler Hans-Georg Frischkorn in Rüsselsheim.
Damit werden auch Assistenzsysteme für den Kreuzungsverkehr möglich, wie sie BMW in München entwickelt: Droht die Kollision zwischen einem Auto und einem Motorrad, wird der PKW-Fahrer mit Bild und Ton gewarnt und mit einem Brems-Ruck wachgerüttelt, berichtet das Unternehmen zum aktuellen Entwicklungsstand.
Zwar liegt das Augenmerk der Entwickler vor allem auf der Vermeidung von Unfällen. Doch auch für die Situation nach dem Crash wird Neues entwickelt. «Wir haben noch eine große Fülle von Ideen», sagt Mercedes-Experte Rudolfo Schöneburg. Ein Beispiel dafür ist das Experimental Sicherheitsfahrzeug «ESF 2009» von Mercedes, das auf Basis einer S-Klasse rund ein Dutzend neuer Schutzsysteme bekommt.
Zu den ungewöhnlichsten Lösungen zählt dabei ein Bremskissen, das im Ernstfall unter dem Wagen herausschnellt: Durch sein spezielles Reibprofil und den Druck der Karosserie von oben, leistet es nach Angaben der Forscher einen großen Beitrag zum Geschwindigkeits-Abbau: Bei Tempo 50 sei die Schutzwirkung so groß wie die von 18 Zentimetern mehr Karosserie-Vorbau. Näher an der Realität sind jedoch neue Airbag-Ideen. Spezielle Luftkissen in den Sitzlehnen könnten die Passagiere bei einem Seitencrash zur Fahrzeugmitte schieben und so weiter aus der Gefahrenzone bringen. Außerdem wird an Airbags in den Sitzgurten sowie Luftkissen zwischen den Fahrgästen gearbeitet, die Verletzungen durch den Zusammenprall von Köpfen und Körpern verhindern sollen.
Zukunftsmusik sind wiederum besonders leichte und platzsparende Crashstrukturen, deren Bleche unmittelbar vor dem Unfall wie ein Airbag zu stabilen Profilen entfaltet werden. Diese Überlegung hat auch etwas mit einem aktuellen Problem der Autowelt zu tun: «Je sicherer die Autos werden, desto schwerer werden sie auch», erklärt Audi-Entwickler Johann Stoll. Eine Spirale, die in höherem Verbrauch mündet: «Wenn wir aufs Gewicht schauen wollen, dann können wir das Auto nicht immer weiter aufrüsten, sondern müssen uns etwas Besseres einfallen lassen.»
Auch wenn für die Zukunft noch viel zu erwarten ist, zeigen sich die Resultate der bisherigen Arbeit an Sicherheits-Systemen bereits deutlich im Alltag: Noch nie seit 1950 waren die Unfallzahlen so niedrig wie heute, meldet das Statistische Bundesamt in Wiesbaden. Volvo-Expertin Book reicht das jedoch nicht: «Unser Ziel ist es, dass es irgendwann gar keine Unfälle mehr gibt.»
© sueddeutsche.de - erschienen am 25.08.2009 um 09:11 Uhr |