ZEIT online 18.7.2006 - 17:11 Uhr
Arabische Nöte Die sunnitischen Herrscher in der arabischen Welt fürchten die Konsequenzen der von der schiitischen Hisbollah ausgelösten Krise. Von Alain-Xavier Wurst
Die Hisbollah hat mit der Entführung von zwei israelischen Soldaten nicht nur ein klares Zeichen der Solidarität für die palästinensische Hamas gesetzt. Sie hat auch die Büchse der Pandora geöffnet, und kein Akteur der Krise will und kann sie wieder schließen. Weder die Hisbollah, die Israel bewusst provoziert hat, noch Israel, das den Anlass nimmt, um die Stellungen der Hisbollah im Süd-Libanon anzugreifen und dessen Ziel es ist, die stets latente Bedrohung durch die schiitische libanesische Miliz nun endgültig zu beseitigen. Die USA könnten als einzige Macht Israel zu Mäßigung drängen. Die EU wird wenig wahrgenommen und die UN kann nur langsam reagieren. Doch Amerika stuft – anders als die Europäer – die Hisbollah als terroristische Organisation ein und sieht sie als bewaffneten Arm des Iran in der Region: zwei gute Gründe, sich Israel nicht in den Weg zu stellen.
Am Samstag trafen sich arabische Außenminister in Kairo, um über die eskalierende Situation im Libanon und in Israel zu beraten. Die Lage stellt die sunnitischen Kräfte vor ein großes Problem © Mike Nelson/EPA/dpa
Nun hat die Hisbollah in diesem Krieg eine weitere Front eröffnet – in den arabischen Ländern selbst. Das Sondertreffen der arabischen Liga am Samstag ist ein guter Beleg dafür: Uneins trennten sich die Minister über der Frage, ob der libanesischen Hisbollah-Miliz eine Verantwortung für die Eskalation des Konflikts beizumessen sei. Am Freitag haben die drei bedeutendsten arabischen Mittler – Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien – die Initiative der Hisbollah, ohne die Miliz beim Namen zu nennen, als "abenteuerlich" verurteilt.
Eine Stellungnahme aus Riad am selben Tag war noch deutlicher: "Man muss unterscheiden zwischen legitimen [palästinensischen] Widerstandskräften und unüberlegten Abenteuern von Einheiten aus dem Libanon selbst und deren Unterstützern [Iran], die nicht auf die Hilfe legaler Kräfte zurückgreifen und sich nicht mit den arabischen Staaten abstimmen oder beraten", hieß es seitens der offiziellen saudischen Nachrichtenagentur SPA. "Diese Einheiten müssen die Verantwortung für ihre unverantwortlichen Taten übernehmen, und sie allein müssten die Krise beenden, die sie ausgelöst haben. Sie setzen die arabischen Länder und deren Interessen erheblichen Risiken aus, ohne dass diese Länder ein Wort mitreden könnten."
Es kommt nicht von ungefähr, dass die härteste Aussage aus Riad stammt. Selbst wenn die schiitische Partei des Libanons Teheran nicht mehr in dem Maße wie in den 80er Jahren dient, als die Hisbollah versuchte, eine "islamische Republik" im Süd-Libanon zu gründen, hat doch immer noch Hisbollah engste Beziehungen zu Syrien und Iran, ihren Hauptfinanciers. Saudi Arabien fürchtet den schiitischen Großfeind Iran und dessen Einfluss in der Region wie nie zuvor, seitdem der ultra-radikale Ahmadineschad zum Präsidenten Irans gewählt worden ist.
Eine revisionistische Ideologie, nämlich die Leugnung der Existenzberechtigung Israels, und eine Außenpolitik mit dem Ziel, den Status einer Atommacht zu erreichen - das ist die neue iranische Revolution, die heute in die Straßen der ganzen muslimischen Welt exportiert wird. Die sunnitischen Herrscher Saudi-Arabiens erleben eine Wiederholung dessen, was in den 1980er Jahren geschah, als die iranische islamische Revolution von Ajatollah Chomeini nach der Vorherrschaft in der muslimischen Welt strebte. Dieses Déjà-vu wird umso mehr zum Alptraum, je mehr es Ahmadineschad gelingt, die arabische Öffentlichkeit für sich zu gewinnen.
Ahmadineschad hatte seine Vision für den Nahen Osten während seines Besuch in Syrien im Januar erklärt: "Die arabische Republik Syrien, die an vorderster Frontlinie der israelischen Aggression widersteht, und die islamische Republik Iran, die die Fackel der islamischen Erweckung in die muslimischen Welt trägt, werden eine lebenswichtige Rolle in der Region spielen." Während des Besuchs hatte Ahmadineschad auch die Hamas-Führer und Chefs anderer palästinensischer Strömungen getroffen. Wie kann man die Taten der Hisbollah anders interpretieren, als eine direkte Folge der Radikalisierung des iranischen Diskurses?
Seit der islamischen Revolution von Chomeini suchen die Hardliner in Teheran unablässig nach arabisch-sunnitischen Vermittlern. Teheran hat nie vergessen, wie alle bedeutenden arabisch-sunnitischen Bewegungen sich hinter dem Irak sammelten, als Saddam Hussein im September 1980 den Iran attackierte. Unter den zahlreichen sunnitischen Fundamentalisten wären die palästinensischen Radikalislamisten der Hamas der bevorzugte taktische Bündnispartner. Die Politik Ahmadineschads und seiner radikalen Verbündeten, ob sie sich in Syrien, Pakistan oder in Palästina befinden, hat nur ein Ziel: die ganze Energie des islamistischen Integrismus auf den palästinensisch-israelischen Konflikt zu lenken. So würde Iran zum Bindeglied zwischen Hamas und Hisbollah in ihrem gemeinsamen Kampf gegen Israel. Genau davor dürften sich die sunnitischen Herrscher fürchten. Überspitzt könnte man sagen, dass einige arabische Regierungen eine Niederlage der Hisbollah gegen Israel nicht bedauern würden.
Und Leidtragender ist der Libanon, ein Land, das regelmäßig alle Widersprüche und Krisen des Nahen Ostens auf seinem Boden austragen muss.
Quelle: http://www.zeit.de/online/2006/29/hisbollah-iran-libanon?page=all
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