Börsen haben die Tendenz, Sachverhalte, die bullisch oder bärisch interpretiert werden könnten, als bullisch zu werten.
- Bärisch ist die Notlage, die dazu führt, dass die Zinsen gesenkt werden müssen (wobei eine solche "Notlage" auch als Vorwand für die Zinssenkung konstruiert werden kann; in dieser Ecke laboriert Trump, der mit seinen Strafsteuern unnötigen Stress verbreitet).
- Bullisch ist die Zinssenkung an sich, weil sie die Wirtschaft fördert. Hinzu kommt, dass die Börsen angesichts der sich zusammenbrauenden Probleme ja schon im Vorfeld teils deutlich korrigiert haben. So haben sich z. B. viele DAX-Aktien, vor allem im Autosektor, ab Top in etwa halbiert. D. h. die Probleme sind bereits vorwegnehmend eingepreist.
Die Zinssenkung stellt dann eine Problemlösung dar, mit der die eingepreisten Probleme wieder teilweise ausgepreist werden können.
-------------------------------------------
Man muss freilich unterscheiden zwischen USA, wo die Leitzinsen bei 3 % liegen, und Europa, wo die Leitzinsen wegen der Euro-Dauerkrise bei 0 % verharren.
Die EZB kann daher gar keine Zinssenkungen mehr vornehmen, es sei denn, sie will Negativzinsen auf Girokonten einführen. Dazu müsste aber vorher das Bargeld abgeschafft sein. Soweit sind "wir" zum Glück noch nicht.
Deshalb bleibt der EZB als "Ersatzhandlung" für Zinssenkungen nur weiteres QE. Dabei würden wieder massenhaft europäische Staatsanleihen mir frisch kreiertem Luftgeld aufgekauft. Es sieht mMn so aus, als hätte der Bundfuture mit seinem starken Anstieg diese Entwicklung bereits vorweggenommen (# 328). Beim Stand von 168,50 sind die Bundrenditen (= Renditen 10-jähriger deutscher Staatsanleihen) eindeutig negativ. Sie könnten bei neuem EZB-QE sogar "noch negativer" werden. Weil die EZB halt kauft, ohne auf den Kurs zu achten (ist ja "other people's money").
Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass bei akuten Problemen (Solvenzprobleme Italiens mit Gefahr eines Zerbrechens der Eurozone) auch die US-Notenbank als Krisenhelfer einspringt. D. h. die Fed dürfte in USA begleitend ("in Sorge um die Weltkonjunktur") die Leitzinsen senken, und dort gibt es nach den vielen Zinserhöhungen ja auch Spielraum dafür.
In der Folge würden US-Aktien höchstwahrscheinlich wieder deutlich anziehen, denn der Krisenherd ist aktuell eher in Europa und China zu verorten. Da aber US-Börsen die Leitbörsen sind, werden DAX und Co. ihnen nach oben folgen, ob das nun Sinn macht oder nicht.
-------------------------------------------
Überlagert wird das Ganze durch die langjährigen Konjunkturzyklen. Dass alle paar Jahre eine Rezession kommt, ist im zyklischen Wirtschaftsgeschehen normal. Nach 10 Jahren Gelddruck-Hausse ist eine Baisse bereits überfällig.
Die Zentralbanken reagieren dann mit kompensierenden Zinssenkungen, doch mit Geldpolitik allein lässt sich eine Rezession nicht bewältigen. Meist nutzen die Firmen die Krise auch für Entlassungen, um ihre Margen zu verbessern. So entsteht an den Börsen ein Krisentief, gefolgt von späteren Erholungen, weil die "Maßnahmen" ja für die Firmen positive Effekte haben. Wie es Joe Sixpack geht, der arbeitslos wird, interessiert die Börsen nicht. |