Hier ein sehr interessanter Artikel:
Medikamente aus der Angiogenese-Forschung versprechen Fortschritte in der Behandlung von Darmkrebs
Wirkstoff bremst Tumor-Wachstum
Von Siegfried Hofmann
Kein Tumor kann sich ausbreiten, wenn er nicht über den Blutkreislauf mit Nährstoffen versorgt wird. Diese scheinbar banale Erkenntnis ist der Ausgangspunkt für einen Ansatz in der Krebstherapie, der in den vergangenen beiden Jahrzehnten immer wieder für Euphorie und Enttäuschung sorgte: die Angiogenese-Forschung. Sie zielt darauf, das Wachstum von Blutgefäßen in Tumoren zu bremsen.
§ §Signalwege unterbrochen. Grafik: Handelsblatt
HB FRANKFURT. Derzeit überwiegen bei diesem Therapieansatz wieder eher die Hoffnungen: Der erste konkrete Wirkstoff – das von Roche und Genentech entwickelte Krebsmittel Avastin – hat vor wenigen Tagen in Europa die Zulassung erhalten und dürfte künftig bei der Darmkrebs-Behandlung eine zentrale Rolle übernehmen. Avastin blockiert das wichtige Wachstums-Protein „VEGF-A“.
Bereits Ende der 60er Jahre beobachtete der amerikanischen Chirurg Judah Folkman, dass Tumore eigentlich kaum größer als fünf Millimeter werden können, wenn es ihnen nicht gelingt, eine Art private Blutversorgung aufzubauen. Tumorzellen schütten dazu spezielle Moleküle aus, die das umliegende Gewebe dazu anregen, Blutadern auszubilden. Etwa 30 solcher Wachstumsfaktoren sind inzwischen bekannt und damit potenzielle molekulare Angriffspunkte für eine Arzneimitteltherapie.
Einen der wichtigsten davon, das Protein „VEGF-A“, blockiert das Mittel Avastin. Zusätzlich befinden sich eine ganze Reihe ähnlicher Medikamente aus der Angiogenese-Forschung auf dem Weg zur Marktreife. Nach Schätzung von Fachleuten werden inzwischen mehr als 200 solcher Angiogenese-Blocker entwickelt. Davon haben etwa sechs Dutzend die klinische Erprobungsphase erreicht. Am weitesten vorangeschritten ist ein Molekül mit der Bezeichnung „PTK 787“, das gemeinsam von den Pharmaunternehmen Schering und Novartis erforscht wird. Erste Zwischenresultate aus zwei großen Studien mit „PTK“ werden mit Spannung erwartet und voraussichtlich im Mai vorgestellt. Fallen sie positiv aus, wollen die beiden Unternehmen noch in diesem Jahr die Zulassung beantragen, wie Novartis-Entwicklungschef Jörg Reinhardt jüngst ankündigte. Weitere Produkte in fortgeschrittener Entwicklung werden von Pfizer, Bayer und der kanadischen Aeterna-Zentaris bearbeitet. Der Wirkstoff „PTK“ zeichnet sich dadurch aus, dass er auch auf weitere Varianten des „VEGF“-Proteins sowie andere Wachstumsfaktoren wirkt. „Das Molekül könnte damit eine wertvolle Ergänzung zu den bisherigen Medikamenten sein“, so die Einschätzung des amerikanischen Mediziners und Direktors der Angiogenese-Foundation William Li. Ein Vorteil der Substanz besteht unter anderem darin, dass es sich nicht um ein komplexes Protein handelt, sondern um ein kleines Molekül, das auch als Tablette eingenommen werden kann.
Doch noch ist der Erfolg dieser Neuentwicklung keineswegs garantiert. Zum einen bleibt wie bei allen Wirkstoffen das Risiko von Nebenwirkungen. Zum anderen wachsen die Anforderungen an neue Medikamente. Sie müssen Vorteile in der Kombination mit etablierten Mitteln erzielen, um eine Zulassung zu erhalten. Auch für Avastin kam der Durchbruch erst, nachdem Studien belegten, dass der Wirkstoff in Kombination mit etablierten Therapien der späten 90er Jahre die durchschnittliche Überlebenszeit von Darmkrebspatienten um rund ein Drittel auf etwa 20 Monate verlängert.
Für die nächsten Wirkstoffkandidaten liegt die Messlatte noch höher, weil auch die herkömmliche Chemotherapie verbessert wurde. So muss sich „PTK“ am so genannten „Folfox-Regime“ messen – einer Standardbehandlung, bei der das Krebsmittel Eloxatin mit zwei klassischen Chemotherapeutika kombiniert wird. Für Akzeptanz und wirtschaftlichen Erfolg dürfte zudem die Frage wichtig sein, wie „PTK“ und Folfox in Relation zu der Kombination Avastin/Folfox abschneidet.
HANDELSBLATT, Dienstag, 01. Februar 2005, 15:32 Uhr |