Alstom-Konzernchef Patrick Kron zum Stand des Sanierungsprogramms, über die Auseinandersetzung mit der EU-Kommission und das Verhältnis zu Siemens
Handelsblatt: Im Zuge des Rettungsplans ist der französische Staat zum größten Einzelaktionär von Alstom aufgestiegen. Fühlen Sie sich als normaler Vorstandschef oder als Erfüllungsgehilfe des Staates?
Kron: Als CEO ist man nie ein freier Mann, sondern muss das Interesse seiner Aktionäre wahren. Die Vertreter unserer Aktionäre sind im Board vertreten, an das ich regelmäßig berichte. Das Board von Alstom hat zehn Mitglieder, nur eines davon ist ein Vertreter des Staates.
In Deutschland wurde die Beteiligung des französischen Staates am Rettungspaket für Alstom als ein Wiederaufleben der totgesagten Industriepolitik kritisiert. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Ich sehe die Rolle des Staates als die eines Katalysators, der bestehende Entwicklungen beschleunigt. Der Großteil der Rekapitalisierung stammte bereits vorab von unseren Aktionären. Der Staat hat gesehen, dass Alstom eine Art „Betriebsunfall“ nach dem Zukauf der ABB-Turbinen erlitten hatte. Sein Eintritt in unser Kapital hat für Stabilität gesorgt. Ohne den französischen Staat wäre eine Rettung schwierig verlaufen. Grundsätzlich ist das Unternehmen aber lebensfähig. Ich habe mir fest zum Ziel gesetzt, dass der Staat innerhalb von vier Jahren seine Alstom-Aktien mit Gewinn verkaufen kann.
Aber ohne Hilfe des Staates wäre Alstom in Konkurs gegangen?
Ohne Hilfe des Staates hätte ich es nicht geschafft, alle Banken an einen Tisch zu bekommen, um eine neue Finanzstruktur zu schmieden. Ich betone aber, dass der Staat uns zu den üblichen Marktkonditionen neue Kredite gewährt und seine alten Kredite in Aktien umgewandelt hat. Für Alstom gab es kein „free lunch“. Wenn Sie aber die reine Tatsache, dass Alstom überlebt hat, schon als eine Bevorzugung ansehen, so hatten wir gewiss einen Vorteil.
Ihr deutscher Konkurrent Siemens hat jüngst angekündigt, den Rettungsplan nicht gerichtlich anzufechten, und sendet damit ein freundliches Signal aus. Wie würden Sie heute Ihr Verhältnis zu Siemens beschreiben?
Wie der frühere Siemens-Chef Heinrich von Pierer es schon vor geraumer Zeit sagte: „Das Kapitel ist abgeschlossen.“ Auch ich möchte nach vorn blicken. Es gibt für mich keinen Grund, eine Zusammenarbeit mit Siemens auszuschließen, wenn dies für beide Unternehmen und den Kunden sinnvoll ist – wie im Fall der Lokomotiven für die französische Bahn, SNCF. Weitere Felder für Kooperationen zwischen beiden Unternehmen sind gewiss vorstellbar.
Siemens will derzeit in Österreich den Konzern VA Tech übernehmen. Auch hier erklärte Siemens – nachdem eine erste Offerte von den Anteilseignern abgelehnt worden war – „das Kapitel ist vorbei“. Fürchten Sie nicht ein ähnliches Vorgehen bei Alstom?
Fragen Sie das Siemens.
Siemens hat mit Klaus Kleinfeld einen neuen Vorstandschef bekommen. Erleichtert das eine zukünftige Zusammenarbeit?
Ich kenne Herrn Kleinfeld noch nicht, habe ihm aber einen Glückwunsch zu seiner Berufung geschickt. Ich freue mich darauf, ihn bald einmal treffen zu können.
Gefährdet der in der vergangenen Woche neu aufgeflammte Streit zwischen EU-Kommission und französischer Regierung das Alstom-Rettungspaket?
Klares Nein. Wir sind auf Kurs mit der Umsetzung unseres Sanierungsprogramms. Es ist mein Verständnis, dass es gegenwärtig Diskussionen zwischen dem Finanzministerium und der EU-Kommission gibt. Dabei geht es um eine Klarstellung und um Korrekturen einzelner Verzögerungen bei der Umsetzung von Verpflichtungen seitens des französischen Staates. Das ist aber alles nur verwaltungstechnischer Natur. Dies hat keinen direkten Bezug zu unseren Aktivitäten. Die Verpflichtungen, die wir eingegangen sind, werden derzeit umgesetzt, und wir berichten regelmäßig darüber an die Kommission.
Die EU-Kommission schreibt Ihnen weiterhin vor, dass Alstom binnen vier Jahren industrielle Partnerschaften eingehen muss. Was genau ist eigentlich unter einer „industriellen Partnerschaft“ zu verstehen, und wie wollen Sie diese Partner finden?
Es stimmt, der Begriff „industrielle Partnerschaft“ ist nicht besonders präzise. Das Konzept hat zum Ziel, dass Alstom am Wachstum bestimmter Märkte teilhaben kann, um somit langfristig lebensfähig zu bleiben. Diese Partnerschaften sind also kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Ein Beispiel: In China haben wir bereits ein Joint Venture mit einem lokalen Unternehmen abgeschlossen, um den Markt für 600-Mega-Watt-Dampfturbinen für uns zu erschließen.
Was bringt Alstom in diese Partnerschaften ein, was ist die Rolle Ihrer Partner?
Alstom bringt seine Technologien und den weltweiten Marktzugang mit. Die Rolle des Partners kann darin bestehen, uns Zugang zu einem lokalen Markt zu verschaffen, in dem wir allein nicht stark genug vertreten sind. Der Partner kann auch seine Technologien mit einbringen oder Produkte, die unser Angebot ergänzen. Das Partnerschaftskonzept ist sehr flexibel. Eine Kapitalverflechtung ist dabei nicht zwingend. Nur im Bereich Turbinen für die Energiegewinnung aus Wasser sind wir von der EU-Kommission verpflichtet worden, ein 50:50-Joint-Venture einzugehen. Wir wissen aber noch nicht, mit wem wir das machen werden. Zuerst müssen wir noch „Muskeln aufbauen“ mit Blick auf unsere finanzielle Lage, um unsere Verhandlungsposition zu stärken.
Strebt Alstom in diesen Partnerschaften stets die Führung an?
Grundsätzlich ja, aber nicht unbedingt immer. In einzelnen Fällen werden wir sicherlich die Führung übernehmen, wie bei dem genannten Joint Venture in China. Bei anderen Kooperationen werden wir dies von Fall zu Fall überprüfen. Das Eingehen von Partnerschaften darf jedenfalls nicht zu einer Demontage des Konzerns führen. Wir werden keine Kooperationen eingehen, die uns schwächen.
Regelmäßig tauchen Spekulationen über ein mögliches Zusammengehen von Alstom und Areva auf, dem staatlichen französischen Nukleartechnik-Konzern. Ist das realistisch?
Wir haben gemeinsame Interessen im Nuklearbereich, denn Alstom hat einen Marktanteil von 40 Prozent für den konventionellen Teil bei Kernkraftwerken weltweit. Es gibt aber keine strategischen Diskussionen mit Areva.
Wie soll es mit dem Bereich Zivilschiffbau von Alstom weitergehen?
Die Marine-Aktivitäten machen fünf Prozent unseres Umsatzes aus. Ich sage schon seit langem, dass dies nicht zu unserem Kerngeschäft zählt. Wir wollen zunächst weiter die Produktivität erhöhen. Unser Plan „Marine 2010“ sieht vor, die Produktionskosten um mindestens 15 Prozent zu senken. Früher mussten wir vier bis fünf Kreuzfahrtschiffe pro Jahr bauen, um profitabel zu sein. Diese Grenze wollen wir auf 2,5 Schiffe absenken. Wir bauen in diesem Rahmen den Personalstamm von mehr als 5 000 auf weniger als 3 000 Mitarbeiter bis zum Sommer ab.
Reicht das?
Der zweite Schritt wird sein, für die Marine-Aktivitäten einen Partner zu suchen. Im Englischen sagt man: „You must be two to Tango.“ Im Moment sind wir etwas allein auf der Tanzfläche. Das muss aber nicht so bleiben.
Sinken Ihre Chancen bei der Partnersuche nicht dadurch, dass Deutschland und Frankreich langfristig nur ihre militärischen Marine-Aktivitäten bündeln wollen und damit mögliche Kooperationspartner wegfallen könnten?
Es gibt Gemeinsamkeiten beim militärischen und zivilen Schiffbau, wie bei Schiffsrumpf oder beim Antrieb. Als Partner sind wir bereits bei internationalen Militärprogrammen beteiligt. Es gibt also Synergien. Ob der militärische Bereich die Hauptachse sein wird, einen Partner zu finden, ist ein anderes Thema.
Aber Sie wollen die Partnersuche für die Marine-Aktivitäten bald abschließen?
Es gibt hierzu keinerlei Verpflichtung, etwa durch das Abkommen mit der EU-Kommission. Aber ich bin überzeugt, dass in den kommenden Jahren etwas passieren wird.
In Ihrer Branche ist regelmäßig von dem Gerücht zu hören, Alstom verschaffe sich vor allem auf dem asiatischen Markt mit Hilfe von Dumping-Preisen zusätzliche Aufträge. Stimmt das?
Diese Vorhaltungen sind vollkommen gegenstandslos. Alle unseren neu angenommen Aufträge sind mit einer Marge gepreist, die uns unseren Profitabilitätszielen näher bringen. Wir haben uns klar verpflichtet, im Geschäftsjahr 2005/2006 eine Marge von sechs Prozent zu erreichen. Warum also sollten wir Aufträge annehmen, die dieser Selbstverpflichtung widersprechen? Damit wir unser Ziel erreichen, wird jeder Auftrag oberhalb eines Volumens von 50 Millionen Euro von einem von mir geleiteten Komitee geprüft.
Jüngst tauchten Berichte auf, dass es Alstom in Deutschland gar nicht gut geht?
Es ist kein Geheimnis, dass der Bereich Energieerzeugung im Allgemeinen und hier die Sparte Turbinen im Besonderen derzeit eine schwere Zeit durchmacht. Davon ist auch unser Standort in Mannheim betroffen, auf den Sie offenbar anspielen. Schmerzhafte Einschnitte an unseren Standorten in der Schweiz, Frankreich, Deutschland und Großbritannien waren notwendig, um unsere Kapazitäten anzupassen. Dennoch sind unsere Standorte immer noch nicht ausgelastet. Wir beobachten das, um gegebenenfalls weitere Anpassungen vorzunehmen. Das betrifft aber alle unsere Standorte, nicht nur in Deutschland.
Welche Rolle spielen die deutschen Standorte insgesamt für den Alstom-Konzern?
Alstom beschäftigt in Deutschland 7 000 Mitarbeiter, damit nimmt Deutschland bei den Beschäftigtenzahlen von Alstom weltweit Rang zwei nach Frankreich ein. Darüber hinaus stammen 15 bis 20 Prozent unserer Verkäufe von den deutschen Standorten. Sie dienen uns als Drehscheibe für Exporte und haben daher für Alstom große Bedeutung.
Benutzen Sie vielleicht ein Siemens-Handy? Oder sind Sie schon einmal mit dem deutschen ICE von Siemens gefahren?
Ehrliche Antwort: Da kann ich nicht viel zu sagen. Ich glaube, ich benutze das Handy eines europäischen Herstellers. Und den deutschen ICE habe ich meistens nur von außen gesehen.
Die Fragen stellten Holger Alich und Stefan Menzel |