Von Prof. Dr. Alfred Stock 1926:
Einen Fall will ich wegen seiner Bedeutung für die Beurteilung der Angelegenheit hier ausführlicher behandeln. Er betrifft den bekannten, heute wieder in voller Frische wirkenden Ordinarius der Psychologie an der Universität Marburg Prof. Dr. E. J a e n s c h. Aus dem Bericht, den mir Prof. Jaensch über seine Erfahrungen mit Amalgamfüllungen machte und dessen Veröffentlichung er mir freundlicherweise gestattete, seien Bruchstücke wörtlich mitgeteilt:
,,Sie erwerben sich ein Verdienst um die Menschheit, wenn Sie die Frage der Amalgamplomben ins Rollen bringen.
Im Alter von etwa 15 Jahren wurden mir, wie man zu sagen pflegte, ,,die Zähne in Ordnung gebracht". . . Plomben in größerer Zahl . . . Allmählich stellten sich Dauerbeschwerden ein, die zunächst auf das Nervensystem beschränkt blieben . . . Da ich - wohl infolge der anfänglichen Lokalisation der Erscheinungen im Nervensystem - zunächst gesund und blühend aussah . . . wurde das Zustandsbild als ,,hypochondrische Neurasthenie" angesehen . . . Gegen Schluß meiner Studienzeit wieder deutliche und jetzt auch körperlich stark ausgeprägte Erscheinungen, die sich von Jahr zu Jahr verschlimmerten. Der Anfang der Verschlimmerung fiel zeitlich zusammen mit einem abermaligen größeren und besonders unzweckmäßigen zahnärztlichen Eingriff. Ich hatte vorwiegend sog. ,,Konturfüllungen", d. h. an den Rand des Zahnes reichende Plomben. Ein angesehener Zahnarzt sagte mir nun, man müsse, ,,damit nichts mehr passieren könne", die benachbarten Konturfüllungen der Backzähne miteinander verbinden, und er stellte mir dementsprechend zwischen letzteren feste Verbindungen her . . . Von 1909 ab verschlimmerte sich mein Zustand fortgesetzt . . . chronische, sich immer steigernde Diarrhöen. Im Zeitraum von 1912 bis 1916 hatte ich meistens 10 und mehr Entleerungen am Tage, und es ist verständlich, daß ich dabei aufs äußerste abmagerte. Dazu . . . heftige Schmerzen an allen Teilen des Körpers . . . Schlaf immer mehr eingeschränkt . . . Mundentzündung mit Speichelfluß . . . verschlimmerte sich der Katarrh der oberen Luftwege, besonders des Rachens . . . quälende asthmatische Zustände . . . starke Beängstigungen, Verfall der körperlichen Kräfte, so daß ich das Bett immer nur für kurze Zeiten verlassen konnte . . . gänzliche Aufhebung der geistigen Leistungsfähigkeit . . .
Ich war schon seit einem Jahre beurlaubt und lebte nach vergeblichem Umherirren bei ärztlichen Autoritäten in hoffnungsloser Resignation in Baden-Baden, als ich dort im Sommer 1916 mit dem mir von früher her bekannten Prof. S o m m e r aus Gießen zusammentraf. Ich erzählte ihm von meinem Zustand und auch von einem Einfall, der mir gerade kurz vorher gekommen war. Ich hatte Zahnschmerzen gehabt und mir mein Gebiß mit seinen 24 zum Teil sehr großen Amalgamfüllungen im Spiegel betrachtet. Dabei war mir eine Bemerkung eingefallen, die ich öfter von meinen Ärzten gehört hatte . . . Ich erwog . . . auch fernliegende Möglichkeiten, u. a. die, daß ich mir durch den Umgang mit Akkumulatoren . . . eine Bleivergiftung zugezogen haben könnte. Darauf war mir von den Ärzten immer etwa folgendes gesagt worden: ,,Eine Bleivergiftung haben Sie sicher nicht. Eher sehen die Erscheinungen nach einer Quecksilbervergiftung aus. Aber eine solche ist unmöglich; wie sollen Sie denn dazu kommen!" Als ich nun die großen Mengen von Amalgam in meinem Mund betrachtete, kam mir der Gedanke, sollte es vielleicht doch eine Quecksilbervergiftung sein? Sommer sagte mir daraufhin, daß er über ein nicht unerhebliches Material ähnlicher Fälle verfüge, in denen sich das rätselhafte Krankheitsbild bei genauerer Untersuchung als eine toxische Polyneuritis . . . herausstellte . . . Untersuchung des Urins und Speichels auf Quecksilber . . . Die chemische und klinische Untersuchung ergab einen Befund, der in dem beiliegenden Gutachten S o m m e r s geschildert ist 19). Nun aber standen wir vor der fast unmöglichen Aufgabe, einen Zahnarzt zur Herausnahme und Ersetzung der Plomben zu bestimmen. Immer wieder wurde ich abgewiesen, überall wurde mir entgegengehalten, daß die Unschädlichkeit der Amalgamplomben erwiesen sei, daß man darum dem Sommerschen Gutachten keinen Glauben schenken und die Durchführung einer so großen ,,unnötigen" Operation vom zahnärztlichen Standpunkt nicht verantworten könne . . . Hofzahnarzt X. z. B. sagte mir: ,,Sie können mir alle ärztlichen Autoritäten der Welt schicken, ich glaube das nicht". Und das alles, weil W i t z e l, der hauptsächlich für die Amalgamplomben, z. T. gegen den heftigen Widerstand der älteren Zahnärzte, eingetreten war, angeblich die ,,Unschädlichkeit" dieser Maßnahme bewiesen hatte. Als ich mir die Schriften W i t z e l s kommen ließ, erschrak ich über die Leichtfertigkeit dieser Beweisführung . Es hätte sich wohl kaum ein Zahnarzt zur Durchführung des Plombenersatzes herbeigelassen, wenn nicht Prof. B i n s w a n g e r einen ihm nahestehenden Professor der Zahnheilkunde hierum ausdrücklich gebeten hätte. Während des Herausbohrens der umfangreichen Plomben . . . zunächst verstärkte Erscheinungen . . . Als wir dann im weiteren Verlauf . . . den Amalgamstaub absaugten, blieben die Erscheinungen aus. Unmittelbar nach Herausnahme der Amalgamfüllungen setzte, namentlich im Hinblick auf die Durchfälle, eine ganz erhebliche Besserung ein, wenn dann auch der weitere Fortschritt der Genesung . . . nur ein langsamer war . . . so bildete doch der Zeitpunkt der Plombenherausnahme den Wendepunkt, von dem an alle Erscheinungen, im Bereich der Verdauungs- und Atmungsorgane wie des Nervensystems, sich stetig zurückbildeten, so daß ich eigentlich überhaupt erst seit dieser Zeit weiß, was Leben heißt . . .
Geholfen hat mir, nach der Ersetzung der Amalgam- durch Goldplomben, im wesentlichen die Zeit, alles andere nur in geringem Maße . . .
Wie viele mögen in ähnlicher Weise, wenn auch in geringerem Maße leiden, und wie viele derartige Zustände mögen dauernd unerkannt bleiben!"
Prof. J a e n s c h s ergreifender Schilderung braucht nichts hinzugefügt zu werden. Sie deckt sich großenteils mit den Erfahrungen, die wir selbst leider machen mußten.
mehr gibt`s hier: http://people.blinx.de/sems/deutsch/stock3.htm
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