Aktienmarkt Experten: Bei Aktien ist noch Luft Die Gewinne der Unternehmen steigen. Doch die Börse honoriert dies nocht nicht gebührend. Deutsche Aktien sind deshalb so günstig wie seit Jahren nicht mehr. Von Daniel Eckert
Berlin - Mit Aktien ist das bekanntlich so eine Sache: Wenn die Indices von Rekord zu Rekord eilen, sind sie meist schon teuer. Und wenn Anteilscheine billig sind, ist die Stimmung auf dem Parkett oft so mies, dass Chancen an der Börse als Unthema gelten. Interessanterweise deutet vieles darauf hin, dass sich der Markt aktuell in einer solchen Phase der Unterbewertung befindet - obwohl der Dax gestern kurz an der Marke von 6000 Punkten kratzte und damit den höchsten Stand seit Mitte Mai markierte. Denn trotz der Kurserholung der letzten Wochen sind deutsche Aktien im Schnitt günstiger als zu Jahresanfang. Auch global haben sich Dividendenpapiere gemessen am KGV verbilligt.
"Bei institutionellen wie privaten Investoren ist die Stimmung nach den Baisse-Jahren und der heftigen Frühjahrskorrektur immer noch sehr gedämpft", hat Gottfried Heller von der Fiduka Depotverwaltung beobachtet, "die steigenden Gewinne der Firmen werden nicht mit entsprechend höheren Kursen quittiert." Auf diese Weise würden die Papiere rechnerisch preiswerter. Diese Situation ist seiner Meinung ein Dorado für antizyklische Investoren, die sich nicht von der Marktpsychologie mitreißen lassen und nur auf die Fundamentaldaten der Unternehmen schauen.
Auch Commerzbank-Stratege Ralf Grönemeyer sieht am deutschen Aktienmarkt aktuell "fast überall günstige Titel". Globale Konjunktursorgen sowie die politische Unsicherheit im Inland würden die grundlegend positiven Meldungen aus den Unternehmen überschatten - noch. "Sicher kann die Mehrwertsteuererhöhung zu einer Einnahmendelle hierzulande führen, aber die gewinntreibenden Effekte der Globalisierung sind stärker." Das werde das Jahr 2007 zeigen. Anleger müssten aber Geduld haben. Denn es könne noch dauern, bis der "gordische Knoten platzt" und der Dax die 6000 Punkte hinter sich lässt.
Für Investoren, die sich von der Aktien-Lethargie nicht anstecken lassen wollen, bieten sich zahlreiche antizyklische Einstiegsgelegenheiten - allen voran bei den Versicherern. "Diese weisen im Vergleich mit anderen Sektoren ein gutes Chancen/Risiko-Profil auf", sagt Rolf Elgeti, Stratege bei ABN Amro. Tatsächlich ist die Assekuranz nach dem Platzen der New-Economy-Bubble an der Börse nie mehr richtig auf die Beine gekommen. Die Bewertungen liegen teilweise ein 50 Prozent unter dem historischen Mittel. Dabei haben sich die Strukturen seit 2000 erheblich verbessert.
So notiert der europäische Branchenführer Allianz immer noch mit einem KGV von unter zehn. "Allein eine voraussichtliche Dividende von drei Euro macht die Aktie interessant", meint Goldman-Sachs-Stratege Richard Burden. Er hat den Assekuranz-Titel jüngst auf seine Pan-Europa-Kaufliste gesetzt und nennt ein Kursziel von 160 Euro. Sein Kollege Nick Holmes von Lehman Brothers sieht sogar 165 Euro.
Auch bei der Aktie von Continental ist nach Einschätzung der Profis noch Musik drin sein. HVB-Analyst Rolf Woller hält bei dem wachstumsstarken Automobilzulieferer mittelfristig einen Kurs von 115 Euro für möglich. Bei Siemens überwiegen die Chancen ebenfalls die Risiken. Zwar erweckt der Konzern den Eindruck einer permanenten Baustelle. "Ist der Umbau jedoch erst einmal abgeschlossen, sind dort erhebliche Werte zu heben", betont Goldman-Experte Charles Burrows. Société-Générale-Analyst Gael de Bray sagt für den Technologieriesen Notierungen von bis zu 90 Euro voraus.
Näher anschauen sollten sich Anleger auch die Aktie der Linde Group. Durch die Übernahme der britischen BOC sind die Wiesbadener zum Weltmarktführer im Bereich der Industriegase aufgestiegen. Damit wächst Linde mit der globalen Wirtschaft und hat beste Aussichten, im zukunftsträchtigen Wasserstoff-Geschäft zu einer festen Größe zu werden. Harald Gruber von der WestLB sieht für das Linde-Papier Spielraum bis 92 Euro.
Nachholpotenzial lässt sich bei der Aktie von BASF ausmachen. Obwohl die Ludwigshafener in Sachen Weltmarktführer sind, wird die Aktie mit einem KGV von acht niedriger als die Papiere der Konkurrenz gehandelt. Sollte dieser Malus abgebaut werden, hätte der Wert Luft bis auf 80 Euro, wie unter anderem Michael Eastwood von Morgan Stanley konstatiert.
Artikel erschienen am 28.09.2006
WELT.de 1995 - 2006 |