Artikel aus dem Handelsblatt vom 8.1.
Risiken bei Erdgas wachsen Preismacht der staatlichen Produzenten nimmt zu – Abnehmer geraten ins Hintertreffen
HEINZ-J. SCHÜRMANN | DÜSSELDORF Nachfrage und Bedarf an Erdgas boomen ungebrochen. Der CO2- arme Brennstoff profitiert nicht zuletzt von dem Trend zur Klimaschutzvorsorge und – damit verbunden – von der Begrenzung der Kohlendioxid-Emissionen. Insbesondere die Akzeptanzprobleme für Kohlekraftwerke und Kernkraftanlagen machen Erdgasanlagen für die Stromerzeuger attraktiver. Gleichzeitig wächst aber die Marktmacht staatlich kontrollierter Gasproduzenten, die im internationalen Geschäft dominieren.
„Die Preisrisiken nehmen in der Gasversorgung zu; die Verkäufer sitzen am längeren Hebel; Kartellierungstendenzen wie schon im Ölgeschäft mit der Opec sind nicht auszuschließen.“ So fasste der Kölner Energieprofessor Dieter Schmitt die absehbaren Entwicklungstrends gegenüber dem Handelsblatt zusammen. Durch die von der EU-Kommission gewünschte Entflechtung vertikal integrierter Gasversorger werde die Verhandlungsmacht europäischer Abnehmer gegenüber staatlich kontrollierten Erdgasproduzenten aus Russland, Norwegen, Algerien oder Libyen geschwächt. Auch die mit beträchtlichen Vorlaufinvestitionen verbundenen Projekte mit Anbietern aus dem Kaukasus und Iran könnten nur gestemmt werden, wenn die westeuropäischen Abnehmer über einigermaßen kalkulierbare Absatzkanäle verfügten.
Schmitt fürchtet im internationalen Gashandel eine Verschiebung der Machtverhältnisse zu Lasten der Abnehmer. Grund dafür sei die Abgabe von Transportnetzen im Zuge der Brüsseler Entflechtungsstrategien. Auch eine teilweise Aufgabe der Beteiligungen an Stadtwerken durch die führenden deutschen Energiekonzerne, so die Forderungen des Bundeskartellamtes, würde die Marktmacht der Konzerne schwächen und damit die Produzentenseite stärken.
Das weltweite Gasgeschäft ist mit vielen Unvollkommenheiten behaftet und durch oligopolistische Strukturen gekennzeichnet. Die Versorgungsinfrastruktur erfordert milliardenhohe Vorlaufinvestitionen und Vertragsabschlüsse für viele Jahrzehnte. Die Bindungen zwischen Produzenten und Abnehmern sind langfristiger Natur. Der Aufschluss neuer Gasförderkapazitäten und der Ausbau einer immer transportintensiveren Infrastruktur setzen voraus, dass stabile Beziehungen mit für alle Seiten fairen Preisen entwickelt werden können.
„Noch existiert kein robuster Spotmarkt mit international ausreichendem Gashandel“, sagte der Herausgeber des Hamburger Fachblatts Energie Informationsdienst (EID), Heino Elfert, dem Handelsblatt. „Wir brauchen daher langfristige Kontrakte mit flexiblen Preiselementen, die Erdgas gegenüber den Konkurrenzenergien wettbewerbsfähig halten“. Ohne die großen Player mit vertikal integrierten Einheiten von der Produktion über den Transport bis zu einer kalkulierbaren Endverteilung gehe es nicht. Diese Unternehmen müssten gleichzeitig in ihrer Preis- und Vertragspolitik frei agieren dürfen, und zwar ohne Restriktionen sowie Auflagen durch die Kartellbehörden. Gerade vor dem Hintergrund staatlicher Giganten wie der russischen Gazprom ist Vorsicht beim Eingriff der Wettbewerbsbehörden in die westeuropäischen Marktstrukturen angebracht. Denn konkurrenzorientierte Einflussnahmen in den Gasproduzentenstaaten sind im Gegenzug nicht möglich. Auch wenn keine einseitigen Abhängigkeiten zwischen den europäischen Abnehmern und den Anbietern aus Russland, Norwegen oder Nordafrika und künftig dem Kaukasus bestehen, entwickelt sich die Machtbalance zugunsten der Produzenten. „Wenn wir in Deutschland aus der Kernenergie und aus Kohlegroßkraftwerken aussteigen, wachsen unsere Erdgasimporte schon dramatisch“, schätzt Hans W. Schiffer, Energieanalyst bei RWE Power in Essen. „Die bislang erreichte Diversifikationsstärke zu behaupten, fällt immer schwieriger aus, je mehr wir das Erdgas in die Grundlast unserer Kraftwerke lenken“, resümiert er. „Dann droht am Ende eine Gas-Opec-Falle.“
Dabei stünden die Chancen für eine ausbalancierte Gasversorgung für Deutschland und Europa außerordentlich günstig, wenn in der Verstromung ein vernünftiges Energieportfolio, Erdgas als eine Brücke neben Kohle, Kernenergie und Erneuerbaren, politisch toleriert würde, meint Schiffer. Sowohl die Internationale Energieagentur in Paris mit ihrem „World Energy Outlook 2007“ als auch die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover beurteilen die Gasversorgungsperspektiven in ihrem Bericht optimistisch.
Die Aussagen der Experten aus Hannover lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Erdgas sei aus geologischer Sicht „in ausreichender Menge vorhanden, um noch über Jahrzehnte die absehbare Versorgung der Verbraucher zu gewährleisten“. Aus heutiger Sicht könne ein moderat steigender Erdgasbedarf für die meisten Erdgasmärkte durch zusätzliche Lieferungen gedeckt werden. Der Erdgaspreis werde „maßgeblich durch die im Vergleich zu Erdöl und Kohle deutlich höheren spezifischen Transportkosten bei zum Teil großen Entfernungen zwischen Produzenten und Verbrauchern“ beeinflusst. Die Schaffung neuer notwendiger Kapazitäten in Produktion und insbesondere Transport erfordere eine langfristige Bindung großer Finanzmittel. Der europäische Markt habe künftig Zugang zu knapp 70 Prozent des Welt-Gesamtpotenzials für konventionelles Erdgas, lautet das Fazit der Bundesanstalt.
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