20. November 2006 FAZ.NET-Spezial: Zehn Jahre T-Aktie Kummer in Magenta Von Stefan Ruhkamp
18. November 2006 Die Deutsche Telekom hat knapp drei Millionen Aktionäre, meist Kleinanleger. Was bringt so viele erwachsene Menschen dazu, einem Unternehmen treu zu bleiben, das sie fortwährend enttäuscht? Es muß ein Gefühl sein, wie es Fußballfans für ihren Traditionsverein empfinden. In den neunziger Jahren gab es mal einen Meistertitel, danach lange nichts, und jetzt geht es Woche für Woche gegen den Abstieg. Das Stadion ist dennoch gut gefüllt. Schließlich muß es ja eines Tages wieder aufwärtsgehen.
Muß es das? Der Telekom laufen in der Festnetzsparte die Kunden davon, und mobil telefonieren sie weniger als erhofft. Und so zählt die Aktie zum zweiten Mal in Folge zu den schwächsten Dax-Titeln des Jahres. Was bleibt, ist eine hohe Dividendenrendite und Nostalgie. Erweckungserlebnis des deutschen Kapitalmarkts Wehmütig blicken die Anleger der ersten Stunde auf den Börsengang vor zehn Jahren zurück. Was waren das für Zeiten, als die Deutsche Telekom als neuer Stern am Börsenhimmel schien? Rund 80 Banken balgten sich darum, die Telekom-Aktien unters Anlegervolk zu bringen. Der Schauspieler Manfred Krug brummte auf allen Kanälen: „Die Telekom geht an die Börse. Und ich geh' mit.”
Trotz mancher Vorbehalte - wie würde sich wohl der Staatskonzern im Wettbewerb schlagen? - ließen sich die Anleger begeistern. So wurden selbst Details der Aktienzuteilung zum Politikum: Wer kriegt wieviel, und was bleibt für den benachteiligten Privatanleger? Die Telekom inszenierte den bis dahin größten Börsengang Europas nahezu perfekt und spielte gut zehn Milliarden Euro ein; die Nachfrage hätte für ein Vielfaches gereicht. Selbst in Japan und Amerika griffen die Investoren zu. Wer wollte, konnte die Aktie in Frankfurt, New York und Tokio rund um die Uhr handeln.
So wurde die Aktie zum Erweckungserlebnis des deutschen Kapitalmarkts. Bis dahin hatten Bankberater ihre Kunden vor Aktien gewarnt wie Mütter ihre Töchter vor einem leichtsinnigen Lebenswandel. Mit einem Mal aber interessierten sich selbst Bausparer für Zeichnungsspanne, Mehrzuteilungsoption und Bonusaktien.
Forsche Töne und Katzenjammer
Es folgten die goldenen Jahre. Der Vorstand versprach horrende Wachstumsraten und erweckte den Eindruck, über Wasser gehen zu können. Ein Höhepunkt war der Versuch im Jahr 1999, den Konkurrenten Telecom Italia zu übernehmen. Die Eigentümer der Italiener lehnten schließlich doch noch ab. Aber egal, es fanden sich andere Übernahmekandidaten. Man könne jede Telekomgesellschaft in Amerika haben, tönte der Vorstandsvorsitzende Ron Sommer schneidig auf dem Höhepunkt der Börseneuphorie. Das Selbstbewußtsein ist menschlich verständlich, denn inzwischen hatte sich der Kurs der Telekom-Aktie versiebenfacht. Mit 104,90 Euro erreichte er Anfang 2000 das Rekordhoch.
Für Privatanleger war die Telekom eine Einstiegsdroge. Ohne den Börsengang der Telekom wären auch Aufstieg und Fall des Neuen Markts kaum möglich gewesen. Doch wie das mit Drogen so ist: Auf den Rausch folgt der Kater. Die Spekulationsblase, die Internet-, Telekom- und Technologiewerte in die Höhe getrieben hatte, platzte im Jahr 2000 und stürzte den Aktienmarkt in eine Depression. Der Aktienkurs der meisten Unternehmen fiel, aber der Kurs der Telekom-Aktien noch schneller als der Rest. Erst bei acht Euro wurde im Jahr 2002 der Tiefpunkt erreicht.
Nur die erste Tranche liegt im Plus
Heute kostet eine Aktie der Telekom wieder knapp 14 Euro. Wer nur beim Börsengang vor zehn Jahren zugegriffen hat, kann sich noch glücklich schätzen. Denn inklusive Treueaktien und Dividenden haben die Erstzeichner immerhin eine bescheidene Rendite von etwas mehr als drei Prozent pro Jahr erzielt.
Doch diese Rechnung geht nur für einen Teil der Investoren auf. Auf den Börsengang 1996 folgten noch zwei weitere Aktienverkäufe: Einer im Juni 1999 zu knapp 40 Euro, als der Kurs noch stieg. Und einer im Juni 2000 zu gut 66 Euro, als er schon im freien Fall war. Die Renditeberechnung wird auch dadurch nicht erfreulicher, daß Privatanleger die Aktien zum Vorzugspreis von 37,50 beziehungsweise 63,50 Euro erhielten. Sie werden voraussichtlich viele Jahre warten müssen, bis der Einstandspreis erreicht wird.
Aber was soll's? So ist das auch mit Traditionsklubs. Schalke wartet seit fünf Jahrzehnten auf die nächste Meisterschaft. Selbst Trainerwechsel haben da nicht weitergeholfen. Wie bei der Telekom: Ron Sommer wurde erst gefeiert, dann verteufelt. Ähnlich erging es Kai-Uwe Ricke. Und auch der gerade berufene René Obermann wird aus der Telekom nicht über Nacht einen Spitzenreiter machen.
Trotz des Führungswechsels Wenig Hoffnung für den Telekom-Kurs
Der Kurs der T-Aktie liegt bei rund 13,90 Euro. Die Hoffnungen der Anleger auf eine Verbesserung durch den Wechsel an der Spitze werden aber wohl nicht erfüllt. Die Analysten sind pessimistisch. Immerhin macht die stabile Dividendenrendite Mut. Wie entwickelt sich die Aktie unter René Obermann? Schadensersatzprozeß Massenkläger müssen noch lange auf ein Urteil warten
Der Frust über die Verluste bei der Privatisierungstranche wiegt schwer. Doch im Musterverfahren Schadensersatz ist kein Ende abzusehen. Nun scheint es das längste Verfahren Deutschlands zu werden. Was bringt die Zukunft? Der Schadensersatzprozeß dauert weiter an Führungswechsel bei Telekom Wunder dauern etwas länger
Von Euphorie kann keine Rede sein: Die Anleger honorieren zwar den Führungswechsel bei der Telekom - der Aktienkurs steigt. Doch die Analysten glauben nicht, daß Obermann den Konzern neu erfinden wird.
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