Ex-Chefvolkswirt der EZB Issing: Bankenkrise ist noch nicht vorbei Moderation: Marie Sagenschneider
Die aktuelle Bankenkrise ist nach Einschätzung des ehemaligen Chefvolkswirts der Europäischen Zentralbank, Ottmar Issing, noch lange nicht ausgestanden. Es sei eine neue Situation, dass mit der amerikanischen Bank Bear Stearns erstmals eine Investmentbank an den Rand des Ruins geraten ist, erklärte Issing.
Marie Sagenschneider: An der Wallstreet ist die Lage ziemlich dramatisch und schuld ist die Finanzmarkt- und Immobilienkrise. Am Freitag hat die immerhin fünftgrößte Investmentbank der Wallstreet (die Bear Stearns Bank) annonciert, dass sie kurz vor dem Kollaps steht, der nur dadurch abgewendet werden konnte, indem andere Banken - darunter die US-Notenbank - mit einer ordentlichen Finanzspritze aushalfen. So etwas hatte es zuletzt vor Jahrzehnten gegeben. Mittlerweile wurde bekannt, dass die JP Morgan Chase Bank Bear Stearns übernommen hat, um Schlimmeres zu verhüten. Aber wird das ausreichen und was, wenn nicht? Werden wir dann einen Domino-Effekt erleben? Werden dann auch andere Banken mit in den Untergang gerissen? Darüber haben wir gestern hier im Deutschlandradio Kultur mit Otmar Issing gesprochen. Er war bis vor knapp zwei Jahren Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank. Heute ist er Präsident des Center for Financial Studies an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Und ich habe ihn gefragt, wie er die Situation an der Wallstreet einschätzt, denn von der Notenbank war ja zu hören, hier geht es jetzt um die Funktionsfähigkeit des gesamten Finanzsystems.
Otmar Issing: Ja. Das denke ich, kann man nur so bestätigen, denn nur in einer solchen Situation kommt eine Notenbank auf die Idee, ein einzelnes Institut zu stützen (Bear Stearns). Ich darf vielleicht noch hinzufügen: Der vorausgegangene Fall in England Northern Rock war ja von vergleichbarer Art. Das liegt schon eine Weile zurück. Das heißt also, es ist nicht der erste Fall, um den es sich hier handelt.
Sagenschneider: Welche Bedeutung hat es, dass mit Bear Stearns zum ersten Mal einer Investmentbank das Wasser bis zum Halse steht?
Issing: Das ist richtig: Das ist der Unterschied. Insofern ist der Fall doch neu. Das ist alles andere als beruhigend. Die Maßnahme der Fed verfolgt die Absicht, dass nicht andere Banken sozusagen in den Strudel nach unten gerissen werden.
Sagenschneider: Bear Stearns war ja besonders aktiv im Geschäft mit hypothekenbesicherten Papieren, hat auch eng zusammengearbeitet mit anderen Banken und mit Hedgefonds. Jetzt fallen die Kurse. Die Kredite müssen dennoch bedient werden. Für wie sicher halten Sie es denn, dass die Insolvenz dort tatsächlich abgewendet worden ist?
Issing: Das kann ich nicht beurteilen. Dafür müsste man genau die Bücher kennen. Wir erleben ja nicht nur in den USA, sondern auch in Europa, dass die "Wahrheit" immer nur stückweise an den Tag kommt. Das hängt damit zusammen, dass manche Institute mit den Zahlen hinter dem Berg halten, ist aber auch nicht selten darauf zurückzuführen, dass schwer auszumachen ist, was bestimmte Finanzprodukte, die man in der Vergangenheit gekauft hat, heute denn wirklich wert sind, denn der Markt ist an vielen Stellen zusammengebrochen, sodass eine vernünftige Bewertung dessen, was man da in seinen Büchern hält, teilweise fast unmöglich ist.
Sagenschneider: So gesehen haben wir es dann auch mit einer Vertrauenskrise innerhalb beziehungsweise zwischen den Banken zu tun, die sich ja derzeit dann auch gegenseitig stützen?
Issing: Das ist wohl wahr. Man kann das ganz deutlich am Geldmarkt beobachten, an dem die Banken, die über Liquidität verfügen, sich teilweise sehr zurückhalten, Geld jedenfalls unbesichert an Partner auszuleihen, weil man eben einander nicht traut. Das hat wiederum mit dem zu tun, dass die Problematik der einzelnen Institute erst allmählich voll transparent wird.
Sagenschneider: Halten Sie es für möglich, dass tatsächlich das gesamte Finanzsystem kollabieren könnte?
Issing: Das kann man nicht nur nicht wünschen, sondern ich halte es auch für unwahrscheinlich. Für unmöglich sollte man auf dieser Erde fast nichts halten, aber dass die Krise noch längst nicht ausgestanden ist, dass es noch sehr lange dauern kann, bis die letzten Spuren beseitigt sind, davon muss man wohl ausgehen.
Sagenschneider: Aber warum halten Sie es für unwahrscheinlich?
Issing: Weil es doch eine ganze Reihe von wichtigen Instituten gibt, die im Kern solide sind, weil nicht zuletzt auch die Notenbanken aus der Vergangenheit gelernt haben. Die Europäische Zentralbank hat ja bereits im letzten August, als die Krise ausgebrochen ist und als niemand noch absehen konnte, wie lange das dauern würde und wie tief die Krise gehen würde, bereits gehandelt und Liquidität zur Verfügung gestellt. Andere Notenbanken haben sich dem angeschlossen. Die Europäische Zentralbank, die Fed - also die amerikanische Notenbank -, die Bank of England und die Schweizer Nationalbank haben ja bereits angekündigt, dass sie demnächst in einer großen Aktion weitere Liquidität zur Verfügung stellen. Das ist ein wichtiger Beitrag der Notenbanken, aber man darf nicht übersehen: Das ist im Ende nur ein Kurieren an Symptomen.
Sagenschneider: Und welche Folgen könnte das im schlimmsten Fall für Europa haben?
Issing: In der Beurteilung, welche Auswirkungen das auf die europäische Wirtschaft haben wird, muss man, denke ich, unterscheiden zwischen zwei Übertragungswegen: einmal dem der realen Wirtschaft - und hier ist nicht zu übersehen, dass die amerikanische Wirtschaft sich wohl bereits in der Rezession befindet. Die amerikanische Wirtschaft ist nach wie vor die wichtigste in der Welt. Das wird ausstrahlen auf die übrige Welt, auch auf Europa, aber im Moment zeigt sich die europäische Wirtschaft - nicht zuletzt auch die deutsche -, zeigen sich die Wachstumszentren in Asien doch noch relativ robust, sodass man hier zwar von einem Rückgang des Wachstums ausgehen muss, aber nicht mit einer Rezession rechnen muss. Auf der anderen Seite sind die Folgen der Finanzkrise auf die Kreditvergabe ein anderer Weg, auf dem sozusagen die Ansteckung sich vollziehen kann. Wie das sich im Einzelnen auswirkt, das lässt sich im Moment nur bedingt abschätzen.
Sagenschneider: In den USA weiß man ja, dass die Lage dramatisch ist. Es soll auch heute ein Spitzentreffen in Washington geben. Präsident George Bush wird dabei sein, Notenbankchef Ben Bernanke, der Chef der Börsenaufsicht und andere ranghohe Finanzpolitiker. Was kann man von einem solchen Treffen erwarten? Oder anders gefragt: Was kann die Politik da überhaupt tun?
Issing: Ich bin da nun nicht sehr optimistisch, wenn sich die Spitzen in dieser Form treffen. Am Schluss hängt es davon ab, was konkret an Maßnahmen herauskommt. Die amerikanische Regierung hat ja bereits ein Fiskalprogramm beschlossen, um den Haushalten Einkommen zuzuführen. Das wird ein Beitrag sein, der den Abschwung vielleicht etwas dämpft, aber nicht verhindern wird. Worauf es jetzt ankommt: Vertrauen wiederherzustellen, zunächst einmal das ganze Ausmaß der Krise überhaupt quantitativ in den Griff zu bekommen. Das ist wie beim Arzt. Bevor man eine Krankheit heilen kann, bevor man an die Therapie geht, muss zunächst erst mal eine zuverlässige Diagnose erarbeitet werden und daran fehlt es bisher.
Sagenschneider: Herr Issing, ich danke Ihnen. Ottmar Issing war das, der frühere Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank. Heute ist er Präsident des Center for Financial Studies an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
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