Es gibt wohl kein Wertpapier in der deutschen Börsenlandschaft, das Anleger so polarisiert wie die Aktie von Wirecard (WKN: 747206). Die kritische Berichterstattung der Financial Times sowie unzählige Short-Attacken sind den meisten Investoren hinlänglich bekannt und bieten wohl genügend Stoff für eine eigene Netflix-Serie.
Vorwürfe der Generierung von Scheinumsätzen Unter anderem wird dem deutschen Zahlungsdienstleister vorgeworfen, Scheinumsätze durch die Unternehmenstochter Al Alam Solutions generiert zu haben. Dies wird damit begründet, dass der Financial Times unternehmensinterne Dokumente vorliegen, die belegen sollen, dass Wirecard mit Kooperationspartnern Geld verdient habe, die längst entweder insolvent sind oder ihren Unternehmensgegenstand aufgegeben haben.
Verständlich ist die Reaktion vieler Anleger, die die Aktie nach diesen schweren Vorwürfen zunächst auf Talfahrt schickten. Zumal Wirecard auch vorgeworfen wird, dass ein Großteil des EBITDA im Geschäftsjahr 2016 durch die Al Alam Solutions generiert wurde. Konkret wird der EBITDA-Beitrag dieser Gesellschaft mit 173 Mio. Euro beziffert. Im Jahresfinanzbericht 2016 gibt Wirecard bekannt, dass in diesem Jahr ein EBITDA von 307,4 Mio. Euro erwirtschaftet wurde.
Da Investoren derzeit keine Möglichkeit haben, die Umsätze oder Ergebnisbeiträge von Wirecard zu überprüfen, macht es Sinn, alternative Kennzahlen heranzuziehen, mit denen die Geschäftsentwicklung von Wirecard kritisch hinterfragt werden kann.
Cash is king because you can’t eat profits Diesen Spruch lernen Studierende der Wirtschaftswissenschaften in den ersten Semestern. Ein Spruch, der an der Börse oftmals vergessen wird. Denn der Fokus sollte – zumindest in vielerlei Marktphasen – weg von Kennzahlen wie Ergebnis je Aktie und hin zum operativen Cashflow gehen.
Denn diese Kennzahl lässt sich nicht durch die Generierung von Scheinumsätzen manipulieren. Vereinfacht gesagt zeigt der operative Cashflow, wie viel mehr oder weniger ein Unternehmen durch das operative Geschäft in der Kasse hat. Werden beispielsweise Umsätze durch Scheinrechnungen geschönt, erhöhen sich dementsprechend die Forderungen erfolgswirksam auf der Aktivseite der Bilanz.
Den operativen Cashflow lässt jedoch so ein Vorgang völlig kalt, denn er erhöht sich nur, wenn eine solche Rechnung auch tatsächlich beglichen wurde. Da „erfundene“ Rechnungen wohl kaum beglichen werden, sollten Investoren daher einen näheren Blick auf diese Kennzahl werfen.
Entwicklung des operativen Cashflows Der operative Cashflow im Geschäftsjahr 2016 betrug laut dem Jahresfinanzbericht 2016 283 Mio. Euro. Dies kann für Investoren bereits ein erster Indikator sein, in welchem Ausmaß Scheinumsätze vorliegen könnten. Denn es steht außer Frage, dass Wirecard im Geschäftsjahr 2016 durch die Geschäftstätigkeiten 283 Mio. Euro mehr in der Kasse hatten als ein Jahr zuvor.
Doch für unsere Foolishen Anleger gehe ich gern noch weiter und analysiere die operativen Cashflows in den Geschäftsjahren 2017 und 2018. Diese betrugen im Jahr 2017 375,7 Mio. Euro und im Jahr 2018 500,1 Mio. Euro. Weitere Schlüsse über das Geschäftsgebaren von Wirecard können gezogen werden, wenn man versucht, den operativen Cashflow zu plausibilisieren.
Solche Plausibilitätsüberprüfungen werden auch sehr gerne von Wirtschaftsprüfern durchgeführt, um erkennen zu können, ob sich bestimmte Kennzahlen plausibel zueinander entwickeln. Sollte dies nicht der Fall sein, muss auf jeden Fall nach den Gründen hierfür gesucht werden. In diesem Fall setzen wir für jedes Geschäftsjahr den Umsatz in Relation zum operativen Cashflow und analysieren das Ergebnis.
Bei Wirecard gibt es für die Geschäftsjahre 2016–2018 ein sehr interessantes Ergebnis, denn das Ratio bleibt annähernd konstant und ist sogar im Jahr 2016 am höchsten. Sollten in diesen Jahren Umsätze geschönt worden sein, wäre die Erwartung, dass das Ratio hier deutlich niedriger ist.
Meiner Meinung nach sind die Vorwürfe wie schon oftmals zuvor stark aufgebauscht und stellen keine wesentliche Fehldarstellung im Jahresabschluss dar. Jedoch muss meine Analyse auch dahin gehend limitiert werden, dass ich über keinen Zugang zu internen Dokumenten seitens Wirecard verfüge, sondern Wirecards Geschäftsentwicklung auf Basis des Cashflows aus den betrieblichen Tätigkeiten analysiere. Im Ergebnis finde ich keine Anzeichen für Scheinumsätze. |