Eskaliert der Konflikt mit dem Iran, droht eine Energiekrise wie in den 70ern, warnt Energie-Expertin Kemfert in der Netzeitung. Die Produktionsausfälle könnten dann nicht mehr kompensiert werden.
Eine Eskalation im Nahen Osten wird die Energiepreise auf noch nie gesehene Höhen treiben: «Dann wird man nicht nur 80 Dollar sehen, sondern Preise, die weit darüber hinaus gehen», sagt die Energieexperten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert, im Interview mit der Netzeitung.
Im schlimmsten Fall könnte es nach Ansicht von Kemfert zu einer neuen Energiekrise ähnlich der in den 70er Jahren kommen. «Wenn der Iran-Konflikt eskaliert, droht eine neue Ölkrise», warnt die DIW-Expertin. Die Netzeitung sprach mit Kemfert über Spekulanten, den G8-Gipfel und die Situation an den Märkten.
Netzeitung: Frau Kemfert, der Ölpreis hat am Freitag mit 78 Dollar ein neues Rekordniveau erreicht. Wie viel Angst muss man vor weiter steigenden Preisen haben?
Claudia Kemfert: Man muss Angst haben, aber keine Panik. Der Konflikt mit dem Iran ist weit davon entfernt, gelöst zu sein. Hinzu kommt die jüngste Eskalation zwischen Israel und dem Libanon. Die Kernfrage ist: Werden diese Konflikte auf andere Regionen im Nahen Osten übergreifen? Aber insgesamt gesehen ist der Iran momentan der Dreh- und Angelpunkt für die Entwicklung an den Ölmärkten.
Netzeitung: Wie viel von den 78 Dollar lässt sich mit der fundamentalen Entwicklung erklären und wie viel ist pure Spekulation?
Kemfert: Es gibt einen hohem Anteil Spekulation - die Märkte sind insgesamt sehr angespannt. Wir könnten durchaus einen Preis von 60 Dollar haben. Alles was darüber hinaus geht, ist auf Spekulationen an den Märkten zurückzuführen.
Netzeitung: Wie schnell könnte es mit dem Preis weiter nach oben gehen?
Kempfert: Das kann sehr schnell auch deutlich über 80 Dollar gehen. Wenn sich die Situation im Iran noch weiter verschärft, und wenn es zu Sanktionen gegen den wichtigen Ölproduzenten kommt, dann wird man nicht nur 80 Dollar sehen, sondern Preise, die weit darüber hinaus gehen.
Die Nachfrage nach Öl ist extrem hoch. Hinzu kommen Produktionsausfälle in wichtigen Ölförderländern wie Nigeria. Öl ist aber derzeit nicht knapp, sondern der Preis wird von Gerüchten und Spekulationen getrieben.
Netzeitung: Wie stark ist der Einfluss der israelischen Militäraktionen im Libanon auf den Ölpreis?
Kemfert: An den Märkten wird befürchtet, dass sich der Konflikt ausweitet und zu einem Flächenbrand wird – zum Beispiel durch einen Einmarsch in den Iran. Die geopolitische Lage ist extrem instabil.
Netzeitung: Die geopolitische Unsicherheit treibt den Ölpreis in regelmäßigen Abständen weiter nach oben. Wie groß ist die Gefahr für die Weltwirtschaft und die Konjunktur in Deutschland?
Kemfert: Sollte der Preis auf dem aktuellen Niveau bleiben, muss man nicht allzu viel Angst haben. Die Konjunktur ist recht robust, und durch eine wachsende Energieeffizienz sowie eine zunehmende Abkoppelung der Wirtschaft von den Energiepreisen sind die Auswirkungen nicht so stark. Bei Preisen von 85 Dollar und mehr über einem längeren Zeitraum können konjunkturelle Einbußen von bis zu 0,2 Prozentpunkten des Bruttosozialprodukts auftreten.
Netzeitung: Könnte es zu einer Ölkrise ähnlich wie in den 70er Jahren kommen?
Kemfert: Wenn der Iran-Konflikt eskaliert, droht eine neue Ölkrise. Dann kann es ähnlich schwierig werden, wie in den 70er Jahren. Die Produktionsausfälle, die in einem solchen Fall eintreten würden, können nicht mehr kompensiert werden. Immerhin ist der Iran ein sehr wichtiges Ölförderland.
Netzeitung: Welches Signal kann vom G8-Gipfel ausgehen?
Kemfert: Ein positives Signal in Richtung Iran. Die Staaten müssen deutlich machen, dass man hier zu weiteren Schritte bereit ist. Dem Iran muss deutlich gemacht werden, dass seine Atompolitik nicht akzeptiert wird. Es muss zugleich aber klar werden, dass eine Lösung auf dem Verhandlungswege gesucht wird.
Netzeitung: Kann Russland zu einer Beruhigung an den Energiemärkten beitragen? Stichwort: Europäische Energiecharta.
Kemfert: Russland ist ein sehr wichtiger Energielieferant für die Welt, und die Energiecharta ist ein wichtiger Punkt. Russland muss sie ratifizieren und zeigen, dass Moskau die Märkte öffnet und für mehr Transparenz sorgt. Ein solcher Schritt kann zu einer Stabilisierung an den Märkten beitragen. ____ Claudia Kemfert leitet die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und hat den Lehrstuhl für Umweltökonomie an der Humboldt-Universität Berlin inne. Mit ihr sprach Marcus Gatzke. |