Die silberne Kugel sieht aus wie eine Miniversion des Todessterns aus «Star Wars». Genauso verrückt wie die Science-Fiction-Filme wirkt auch die Idee hinter der Kugel. Jeder Mensch soll mit ihrer Hilfe als Identitätsnachweis seine Iris scannen lassen. Acht Milliarden Menschen. Das wiederum soll die Basis für eine weltweite Digitalwährung und ein bedingungsloses Grundeinkommen bilden.
Menschen drängen sich durch ein Café in San Francisco. Während die Kugel das Gesicht des Autors erfasst, bleiben mehrere andere Gäste stehen. «Was ist das denn?», will einer wissen. Selbst im technikgläubigen Silicon Valley ist das Erfassen der Augäpfel eine bizarre Idee. Der ballförmige Scanner heisst «Orb», was auf Deutsch «Kugel» oder «Himmelskörper» bedeutet. Er ist etwa so gross wie eine Bowling-Kugel und wiegt 2,8 Kilogramm. Hochauflösende Kameras und mehrere Sensoren tasten das Gesicht ab und prüfen, ob sich wirklich ein Mensch vor der Linse befindet. Damit soll jede Person unter Milliarden von Menschen wiedererkennbar gemacht werden. Ein Ring leuchtet auf, der sich nach etwa zwanzig Sekunden schliesst. «Es hat geklappt», bestätigt der Worldcoin-Mitarbeiter. Der Journalist ist nun einer von bislang mehr als zwei Millionen Menschen, die sich auf das Projekt einlassen. Für den Iris-Scan gibt es ein Startkapital an WorldcoinHinter dem Worldcoin-Projekt steht Sam Altman. Der Gründer und Chef des Startups Open AI hat mit dem Textroboter Chat-GPT ein globales Wettrennen um künstliche Intelligenz (KI) angestossen. Aber mit 38 Jahren Pate einer weltverändernden Technologie zu sein, reicht ihm offenbar nicht. Mit Worldcoin geht er das nächste Megaprojekt an. Auch sonst ist Altman ein erfolgreicher Investor. Gemeinsam mit dem aus Bayern stammenden Jungunternehmer Alexander Blania treibt Altman eine Kombination aus Iris-Scan, Digitalwährung und Grundeinkommen voran. Die Idee: Wer mit Orb seine Iris scannen lässt, erhält ein Startkapital. Dafür hat die Gruppe Freiwillige angeworben. Viele der ersten Teilnehmenden kommen aus Entwicklungsländern. Worldcoin verifiziert mithilfe von Orb, dass es sich bei jedem von ihnen tatsächlich um einen realen Menschen handelt und dass sich die Person noch nicht zuvor registriert hat. Name, E-Mail-Adresse oder Telefonnummer müssen bei der Anmeldung nicht angegeben werden. Die ersten Nutzer, die in das System aufgenommen wurden, konnten sich pro Woche bereits einen Worldcoin-Token zuweisen lassen. Zum Start der Digitalwährung am Montag gab es einen einmaligen Bonus von 25 Tokens. Seitdem wird Worldcoin als Kryptowährung gehandelt. Ein Token war nach dem Beginn des Handels am Montag rund 3 Dollar 30 wert. Am Donnerstag lag der Kurs bei rund 2 Dollar 20. Das Startpaket hat also einen Wert von rund 55 Dollar, plus 2 Dollar 20 pro Woche. Um auf die Worldcoin-Token zugreifen zu können, braucht man allerdings Zugang zu einem Rechner oder zu einem Mobiltelefon gerade für die Ärmsten der Welt ist das nicht selbstverständlich. Vor allem bei ihnen könnten die Worldcoin-Token ausreichen, um einen Unterschied zu machen. Die Weltbank definiert Menschen als extrem arm, wenn sie weniger als 2 Dollar 15 pro Tag zur Verfügung haben, also 15 Dollar 05 pro Woche. Diese Zahl wird in Kaufkraftparitäten berechnet und kann nach nominalem Wechselkurs noch deutlich unter 2 Dollar 15 pro Tag liegen. «Wir leben in einer Welt, in der künstliche Intelligenz sehr mächtig wird. Der Wohlstand in der Welt wächst rasant», sagt Altman im Interview. Worldcoin solle «allen Menschen unabhängig von ihrem Land oder ihrer Herkunft Zugang zur Weltwirtschaft verschaffen», ergänzt sein Kompagnon Blania. Die Firma hinter dem Projekt nennt sich Tools for Humanity, also «Werkzeuge für die Menschheit». Insgesamt sollen 10 Milliarden Worldcoin-Token namens WLD ausgegeben werden. Die Zahl ist für 15 Jahre festgelegt, danach soll eine Inflation von bis zu 1,5 Prozent jährlich möglich sein. 75 Prozent der Token sollen der Nutzerschaft zur Verfügung gestellt werden, 13,5 Prozent sind für Investoren von Tools for Humanity reserviert, 9,8 Prozent für das ursprüngliche Entwicklerteam, und 1,7 Prozent sind Reserve. Das Projekt verkörpert den Inbegriff der Silicon-Valley-Ideologie. Hinter ihr steht der Glaube, dass Technologie jedes Problem lösen kann sofern man sie nur gross genug denkt. «Moonshot» werden die besonders ambitionierten Projekte genannt. Die meisten scheitern. Ganz wenige sind erfolgreich. Mit Open AI hat es geklappt. «Das war ein Moonshot. Und sie haben den Mond erreicht», sagte der Chef der Forschungsabteilung von Microsoft, Peter Lee, über Altman und dessen Mitstreiter. Microsoft investierte mehr als 10 Milliarden Dollar in Open AI und setzt heute für seine KI-Strategie ganz auf Altmans Team. Und Worldcoin? Dutzende Firmen haben bereits versucht, eine globale Digitalwährung aufzubauen. Bislang sind alle daran gescheitert. Dem als Wunderkind gefeierten Kryptovordenker Sam Bankman-Fried wird der Prozess gemacht. Er soll seine Anleger betrogen haben. Bankman-Fried gehörte auch zu den frühen Worldcoin-Investoren. Das hat dem Projekt aber kaum geschadet. Während andere Krypto-Firmen Insolvenz anmelden mussten, weil Investoren ihnen kein Geld mehr geben wollten, hat Worldcoin eine weitere Finanzierungsrunde abgeschlossen. Im März kamen 115 Millionen Dollar hinzu. Insgesamt hat Tools for Humanity nach eigenen Angaben bislang rund 250 Millionen Dollar eingesammelt. ... https://www.nzz.ch/technologie/worldcoin-sam-altmanns-bizarre-plaene-fuer-eine-krypto-weltwaehrung-ld.1749617
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