Iran bittet zum Tanz
Von Henryk M. Broder
Iran spielt mit EU und Uno. Die Mullahs können es sich leisten, sie sitzen am längeren Hebel. Und alle spielen mit. Auch nach dem Ablauf des Uno-Ultimatums am 31. August wird der Westen wieder nur mit Papiertigern drohen.
Kennen Sie den? Ein armer Bauer, dessen Pacht abläuft, wird zum Gutsbesitzer gerufen. "Du bist ein kluger Mann", sagt der Gutsherr, "du kannst lesen und schreiben, wenn du es schaffst, meinem Hund das Sprechen beizubringen, verlängere ich deine Pacht, wenn nicht, schmeiß ich dich raus. Du hast drei Monate Zeit." Der Bauer geht nach Hause und erzählt alles seiner Frau. Die rauft sich die Haare und schreit: "Bist du wahnsinnig geworden? Einem Hund das Sprechen beibringen! So was hat es noch nie gegeben! Wir sind verloren!" - "Beruhige dich", sagt der Bauer zu seiner Frau, "drei Monate sind eine lange Zeit. Da kann viel passieren. Der Gutsherr kann sterben, der Hund kann sterben - oder ich bringe ihm wirklich das Sprechen bei, ich fange schon heute damit an". | AFPIranische Uranium-Experten in der Anlage Isfahan: "Unbestreitbares Recht" | Ein alter Witz wird Wirklichkeit. Unklar ist nur, wer der Pächter und wer der Bauer ist. Wer verlangt von wem das Unmögliche? Und wer glaubt, er werde das Unmögliche vollbringen? Mitte Januar titelte die "Welt" auf Seite 1: "Der Westen verliert die Geduld mit Iran." Das muss in Teheran einen gewaltigen Eindruck gemacht haben, denn schon vier Tage später gab die "Welt" bekannt: "Ahmadineschad droht mit dem Ende des 'Weltfriedens'". Kurz vorher hatten iranische Fachleute Atom-Anlagen entsiegelt, die zur Urananreicherung dienen. Alle Proteste der Europäer, der Amerikaner, der Atomenergiebehörde, sogar der Russen und der Chinesen blieben erfolglos. Heute, über ein halbes Jahr später, treibt der Konflikt einem neuen Höhepunkt zu. Am 31. August läuft ein Ultimatum ab, das die Uno Iran gestellt hat. Bis dahin müsse Teheran die Anreicherung von Uran aussetzen. Andernfalls drohten wirtschaftliche und diplomatische Sanktionen. Es wird nicht das letzte Ultimatum bleiben. Ein kurzer Blick zurück reicht, um zu erkennen, dass es Iran ist, der die Europäer und den Rest der Welt vor sich hertreibt - und nicht umgekehrt.
Ein Drama in - bisher - 14 Akten: - Anfang Juni einigten sich die fünf Vetomächte im Sicherheitsrat und Deutschland bei einer Konferenz in Wien auf ein"Angebotspaket" an Iran, das der EU-Außenbeauftragte Javier Solana bald darauf in Teheran überreichte. Als Gegenleistung für einen Verzicht auf eine eigene Urananreicherung wurde Iran eine weit gehende Zusammenarbeit in der Atomtechnologie, Wirtschaft, Wissenschaft und Energiebeschaffung angeboten. Zugleich hatte Solana mit "erheblichem Druck" gedroht, falls die Iraner das Angebot ablehnen sollten. Dies wäre "ein klarer Beweis, dass sie nicht Energie wollen, sondern Atomwaffen".
- Der iranische Präsident Ahmadineschad sagte "eine genaue Prüfung" der Vorschläge zu. Allerdings bekräftigte er auch erneut das "unbestreitbare Recht" seines Landes auf Urananreicherung.
- "Das (vorerst) letzte Angebot", so die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) am 6. Juni, enthalte auch "eine Liste von Maßnahmen, die in Kraft gesetzt werden, wenn Iran sich Verhandlungen weiterhin entzieht", darunter Einreisebeschränkungen für iranische Politiker, Einfrieren von Konten und Lieferbeschränkungen für Industrieprodukte.
"Iran sieht Vorschläge positiv" meldete die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) am 7. Juni, der iranische Chefunterhändler Ali Laridschani sprach von "positiven Schritten", allerdings müssten noch "Zweideutigkeiten" geklärt werden. Die "Frankfurter Rundschau" (FR) fasste den Teheran-Besuch von Solana in dem Satz zusammen: "Es gibt wieder Hoffnung". Die Unnachgiebigkeit und die Provokationen der Iraner, stellte die "Süddeutsche Zeitung" fest, "haben sich gelohnt", sogar die Amerikaner seien nun bereit, mit Teheran zu reden. Der deutsche Außenminister Steinmeier zeigte sich froh, "dass wir im Augenblick über ein Angebot reden können, und wir sind ebenso froh, dass die iranische Regierung entgegen dem Verhalten der letzten Wochen keine brüske Ablehnung signalisiert hat, sondern zum ersten Mal Bereitschaft bekundet hat, dieses Angebot zu prüfen".
- Der iranische Präsident Ahmadinedschad bewertete den Vorgang etwas anders. Auf einer Kundgebung bei Teheran sagte er, Iran werde "niemals Verhandlungen über seine eindeutigen Rechte" führen, etwa über das Recht, atomaren Brennstoff zu produzieren. "Die internationalen Monopolisten sind angesichts eures Widerstandes und eurer Solidarität bezwungen und dazu gebracht worden, eure Würde und Größe anzuerkennen", rief er den Massen zu.
- Am 12. Juni setzten die fünf Vetomächte und Deutschland der Regierung in Teheran eine Frist bis zum 29. Juni. Bis dahin sollte Teheran eine Antwort auf das "Angebotspaket" geben. Der iranische Präsident erklärte, er habe die Anweisung gegeben, das Angebot "genau zu prüfen", eine Antwort sei "zu gegebener Zeit" zu erwarten.
"Das allein", schrieb daraufhin die SZ, "weckt im Westen bereits vorsichtigen Optimismus, denn noch vor einem Jahr hatte Teheran ein Angebot der Europäer als Beleidigung geschmäht, noch bevor es die Details überhaupt näher geprüft hatte".
- Bei einem Treffen mit dem deutschen Außenminister Steinmeier am 25. Juni in Berlin "betonte der iranische Außenminister Mottaki den Willen seiner Regierung zu einer Verständigung", berichtete die FR, "die Forderung nach einer sofortigen Beendigung des iranischen Programms zur Anreicherung von Uran lehnte er jedoch ab"
- Nachdem die Frist vom 29. Juni verstrichen war, kündigt Teheran, eine Antwort bis 22. August an. Die SZ kommentierte am 5. Juli: "Iran betreibt sein Atomprogramm seit Jahrzehnten, seit Monaten wird über das Angebot verhandelt, da wird es jetzt auf ein paar Wochen mehr oder weniger nicht ankommen."
- Am 12. Juli schrieb die "Neue Zürcher Zeitung": "Iran gibt sich im Atomstreit unnachgiebig", während die FAZ einen dünnen Silbersreifen am Horizont ausmachte: "EU und Iran wollen Kontakt halten". Zwei Tage später, am 14. Juli, konnte man in der FAZ lesen, der iranische Präsident habe der EU "mit einem Ende der Zusammenarbeit gedroht", Iran werde seine Politik überdenken, sollte sich herausstellen, dass die europäischen Länder nicht "guten Willens" seien.
- Eine Woche später bat Iran die Schweiz, eine Vermittlerrolle zu übernehmen.
- Am 28. Juli verständigten sich die Vetomächte im Sicherheitsrat der Uno auf den Entwurf einer Resolution, die Iran eine Frist bis zum 31. August einräumte, um die Urananreicherung auszusetzen. Worauf Iran die Vereinten Nationen vor der Verabschiedung warnte. Ein solcher Schritt würde die "Krise in der Region verschlimmern", erklärte der Sprecher des Außenministeriums. Iran würde in einem solchen Falle das Verhandlungsangebot nicht weiter in Betracht ziehen", so die FAZ am 31.7. Am selben Tag verabschiedete der Sicherheitsrat die Resolution, die Iran unter Androhung von Sanktionen auflegte, die Urananreicherung bis zum 31. August auszusetzen. Der iranische Uno-Botschafter reagierte, indem er der Uno empfahl, sich doch lieber mit dem "Staatsterrorismus" der Atommacht Israel zu beschäftigen.
- Am 7. August meldete die SZ, Iran wolle allen Sanktionsdrohungen zum Trotz "seine Arbeiten zur Urananreicherung ausweiten".
- Zwei Wochen später, am 21. August, kündigte der oberste geistliche Führer des Iran, Ayatollah Ali Chamenei, an, Iran werde sein Atomprogramm "mit Macht" vorantreiben. "Iran hat seine Entscheidung getroffen und wird sein Atomprogramm entschieden fortsetzen und am Ende dessen süße Früchte ernten."
- Trotzdem übergab die iranische Führung am 22. August ihre Antwort auf das "Angebot" der fünf Vetomächte und der Bundesrepublik vom Anfang Juni. Einzelheiten wurden nicht bekannt. Iran soll eine "neue Formel" zur Lösung des Konflikts angeboten haben.
- Und nun warten alle, was am 31. August passieren wird, wenn die Frist, die der Sicherheitsrat Iran gegeben hat, ausläuft.
Es wird keine Sanktionen geben, dazu wäre eine neue Resolution des Sicherheitsrats nötig. Und womit soll gedroht werden? Eine militärische Option gibt es nicht, weil keine Macht in der Lage ist, sie in die Tat umzusetzen. Alle Sanktionen und Handelsbeschränkungen, die bis jetzt verhängt wurden, haben sich als wirkungslos erwiesen. Umgekehrt hat Iran ein mächtiges Druckmittel zur Verfügung. Iranische Experten haben bereits ausgerechnet, um wie viele Dollar pro Barrel sich der Ölpreis erhöhen würde, wenn die Iraner ihre Produktion drosseln. Der Iran sitzt also am längeren Hebel. Wenn der Hund das Sprechen lernt Hinzu kommt, dass es weder um die friedliche Nutzung der Atomenergie noch um atomare Bewaffnung geht, sondern um die "Ehre". Und das ist ein Restposten, der nicht verhandelbar ist, was die Europäer kaum nachvollziehen können, obwohl sie sich noch vor 100 Jahren auch gerne duellierten. Einfache Iraner, die sich weder einen Zahnarzt noch Schulbücher für ihre Kinder leisten können, mögen sich ein Leben ohne Atomkraft nicht vorstellen. Wenn das keine Agenten des Propagandaministeriums sind, die fast täglich in den Nachrichtenprogrammen als Vox populi zum Einsatz kommen, dann sind es Märtyrer, die nicht zögern werden, sich der "Ehre" zuliebe zu opfern. Auch im Westen nimmt das Verständnis für den Standpunkt der Iraner zu. Oskar Lafontaine hat nicht nur "Schnittmengen" zwischen dem Islam und linker Politik entdeckt, er sagt auch, wenn Amerika, Russland, China, Indien und vor allem Israel die A-Bombe haben , wäre es unfair, sie Iran zu verweigern. Und wenn Iran sie nicht haben dürfe, müssten auch die anderen atomar abrüsten. Mit der gleichen Logik könnte man auch begründen, warum die Polizei und die Gangs gleichzeitig entwaffnet werden müssen. Iran wird also weiter Katz und Maus mit der EU, mit der Uno und dem Rest der Welt spielen, und die EU, die Uno und der Rest der Welt werden bei diesem Spiel mitmachen. Weil sie keine Wahl haben. Es wird nicht lange dauern, und Iran wird in der Lage sein, Uran anzureichern. Es gibt Leute, die davon überzeugt sind, er werde es nur zu "friedlichen Zwecken" tun. Ganz ausschließen kann man das nicht. Möglich ist auch, dass es irgendwo in der Welt einen Bauern gibt, der einem Hund das Sprechen beigebracht hat. Quelle: Spiegel.de
Euer Einsamer Samariter
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