FLÜCHTLINGSSTROM
Zypern schlägt Alarm
Aus Larnaka berichtet Moritz Küpper
Tausende Flüchtlinge sind inzwischen auf Zypern eingetroffen. Die Mittelmeerinsel stößt durch die gewaltige Evakuierungsaktion an die Grenzen des Machbaren. Die EU müsse eingreifen, fordert der Außenminister.
Larnaka - An alles ist gedacht: Selbst Windeln und Spielzeug haben die Mitarbeiter der deutschen Botschaft dabei, als sie am Abend im Hafengebäude von Larnaka Stellung beziehen, um die bislang größte Flüchtlingswelle aus Beirut zu bewältigen. Von 23 Uhr bis zum nächsten Morgen kommen insgesamt drei Schiffe mit rund 3500 Menschen an Board in Larnaka an, darunter auch 73 Deutsche. Zwei Fähren werden noch im Laufe des Vormittags erwartet. Insgesamt sollen binnen zwölf Stunden 6000 Menschen ankommen.
Die erneute Flüchtlingswelle bringt somit noch einmal ein Zehntel der Bevölkerungszahl in die 60.000-Einwohner-Stadt Larnaka. Schon bis gestern waren rund 3000 Menschen mit fünf Schiffen angekommen. Auch im anderen Hafen Limassol trafen gestern einige tausend Menschen, unter ihnen auch sieben Deutsche, an. Der zweite Hafen der Insel wird vor allem von Briten genutzt, die ihre Mitbürger jedoch von einer Militärbasis aus direkt ausfliegen. Trotz der raschen Ausreise vieler Flüchtlinge stößt die Insel an die Grenzen ihrer Kapazität: Wegen der Sommersaison sind die Hotels an der Küste mit Touristen belegt, die Zyprioten selbst urlauben größtenteils in den Bergen, auch dort ist dadurch kein Platz mehr.
"Wir helfen gerne", sagt der zypriotische Außenminister George Lilikus bei seinem Besuch am Hafen. "Aber unser Land ist klein. Wir stoßen an unsere Grenzen." Man brauche Hilfe von der EU. "Wir stellen alles zur Verfügung was wir haben: Messehallen, Schulen, Apartments", sagt er und versucht Zuversicht auszustrahlen. "Aber wir brauchen mehr Flugzeuge, um die Menschen so schnell wie möglich ausfliegen zu können."
Das Land tue sein Bestes, doch "jede Botschaft ist für seine Landsleute verantwortlich", beschreibt ein Sprecher des zypriotischen Außenministeriums die Situation. Die deutsche Vertretung ist mit insgesamt rund 120 Flüchtlingen seit Wochenbeginn in einer vergleichsweise komfortablen Situation. Für die Bundesrepublik ist der Landweg nach Syrien weiterhin die bevorzugte Ausreisevariante. Größere Probleme haben dagegen die Botschaften der Amerikaner, Franzosen und auch Kanadier. In großen Hallen und Schulen sollen ihre Mitbürger auf die Ausreise warten.
Gegen 23 Uhr beginnt der Ansturm der Flüchtlinge, als die französische Fregatte "Jean de Vienna" mit rund 320 Menschen ankommt. Die Straßenlaternen im Hafen werfen ein gespenstisches Licht auf das imposante Kriegsschiff. Als erstes kommt die deutsche Familie Bakar aus Jülich an die Reling. Sie winken, klatschen. Doch plötzlich wird es hektisch: "Ich brauche eine Trage", ruft der deutsche Botschaftsarzt. An Bord hat ein älterer Mann Herzprobleme. Mit Blaulicht wird er zum Hafengebäude gefahren. Wenige Stunden später ist sein Zustand aber wieder stabil.
Mit einer Deutschlandfahne kommt kurze Zeit später auch die fünfköpfige Familie Bakar am Gate an. Zusammen mit ihren Töchtern Yasmin, Naual und Hanna-Laila waren Bilal und Miriam Bakar im Urlaub bei ihren Schwiegereltern in der libanesischen Stadt Tripoli, als der Krieg ausbrach. "Wir mussten nach Beirut fahren, um uns zu registrieren", berichtet Miriam Bakar. "Dort sagt man uns, wir sollten zurück nach Tripoli fahren, weil es dort sicherer ist." Die Stimme stockt, Tränen schießen in ihre Augen: "Doch dann haben sie die ganze Nacht Bomben auf Tripoli geworfen." Am nächsten Morgen fuhren sie zurück nach Beirut, kamen aber nicht mehr auf ein rettendes Schiff. "Wir haben dann drei Nächte in einer Schule geschlafen", sagt Bakar. "Jetzt sind wir einfach nur froh hier zu sein."
"Vom Krieg nichts mitbekommen"
Natalie Weis, ein anderer deutscher Flüchtling, berichtet dagegen, dass "man von dem Krieg überhaupt nichts mitbekommt". Zusammen mit ihrem zweijährigen Sohn Romeo kommt sie am Hafengebäude an: "Ich war am Mittwochabend mit einer guten Freundin bis vier Uhr morgens tanzen, während sie nebenan den Flughafen zerbombt haben." Durch die laute Musik habe sie gar nichts mitbekommen. "Die Libanesen wissen eben, wie man feiert." Eigentlich wollte sie im Land bleiben, doch wegen ihres Kindes kam sie zurück. "Dass wirklich Krieg ist, habe ich erst mitbekommen, als ich im französischen Kriegsschiff saß."
Wenige Stunden später sitzen die Bakars und Natalie Weis bereits in einem Bus zum Flughafen. Insgesamt 51 Deutsche haben noch einen Platz in einem Flieger nach Berlin oder Leipzig bekommen. Die 22 verbliebenen Deutschen werden in Hotels in der Hauptstadt Nikosia gebracht.
Um kurz nach neun Uhr wird die deutsche Fahne eingerollt. Rolf Kaiser, der deutsche Botschafter in Zypern, ist zufrieden: "Die Arbeit mit unserem Team klappt hervorragend", sagt er. 22 Mitarbeiter sind rund um die Uhr im Einsatz. Vor allem angetan hat es Kaiser aber die Zusammenarbeit der Europäer: "Das läuft absolut vorbildlich. Diese Hilfsbereitschaft untereinander ist eine tolle, große Erfahrung", sagt Kaiser und blickt in den Hafen.
Wenige Stunden nach ihrer Ankunft drehen die Fähren wieder und fahren zurück nach Beirut. An Bord ist auch ein medizinisches Team der deutschen Botschaft. Bis zum Wochenende, so hofft der Botschaftsarzt vor seiner Abfahrt, soll der Großteil der Aktion abgeschlossen sein.
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