Die Hisbollah sucht nach Möglichkeiten der Eskalation Dennoch ist Syrien an keinem Konflikt interessiert
von Jacques Schuster
Berlin - Wer in den Norden Israels fährt, wird sich wundern. Im Auf und Ab der Berg-und-Tal-Fahrt im oberen Galiläa, dicht am Zaun entlang, der Israel von seinem Nachbarn trennt, entdeckt man nichts, was den Libanon verrät. Kein einziges Zeichen libanesischer Souveränität lässt sich im Grenzgebiet finden, dafür aber die gelben Fahnen der Hisbollah. Überall entlang der rund 80 Kilometer langen Grenze wehen sie im Wind. In den Bunkern daneben lauern Hisbollah-Kämpfer, Guerilleros gleich, in abgetragenen Parkas, oftmals nur in Sandalen, dafür aber gut bewaffnet. Keine Spur dagegen von regulären libanesischen Soldaten.
Als sich Israel vor drei Jahren aus dem Libanon zurückzog, hat die libanesische Armee das Grenzgebiet zu Israel der Hisbollah überlassen, die dort nun alles kontrolliert. Unter den müden Blicken der Unifil, der UN-Truppe, die Israelis wie Libanesen im Grenzgebiet beobachten soll, verfolgt die Hisbollah seither eine Strategie der begrenzten Konfrontation. Mehrmals in der Woche provoziert sie Grenzzwischenfälle und beschießt Israels Norden mit Raketen. Darüber hinaus fiel die Hisbollah den israelischen Sicherheitskräften durch eine rege Schmugglertätigkeit auf. Bis heute versucht sie, Waffen in die palästinensischen Gebiete zu liefern. Glaubt man israelischen Geheimdienstexperten, soll die Hisbollah außerdem Terroranschläge in Israel mit Hilfe von Mittelsmännern befehligt haben.
Bisher freilich hielten sich die Aktionen der Hisbollah im Rahmen, auch wenn zahlreiche Militärexperten seit Monaten vor neuen Waffensystemen warnen. "Syrer und Iraner haben der Hisbollah ein hoch entwickeltes Raketensystem verschafft, das im Libanon stationiert ist und die Hisbollah zu einer strategischen Bedrohung Israels werden ließ", warnt der israelische Militärexperte Ze'ev Schiff. Waren es in der Vergangenheit vor allem Katschuja-Raketen, welche die Hisbollah erhielt, verfügen ihre Kämpfer heute dank syrisch-iranischer Unterstützung über präzise Kurzstreckenraketen, die ein Drittel des israelischen Staatsgebietes treffen können.
Bis heute freilich kamen sie nicht zum Einsatz. Offenbar sind Syrer und Iraner - die eigentlichen Herren der Hisbollah - an einer Eskalation nicht interessiert. So belies es Scheich Nasrallah, der Führer der Hisbollah, bisher bei einer Eskalation auf mehreren Ebenen: rhetorische Attacken gegen Israel in nahezu jeder Rede wie fast tägliche Raketenangriffe auf Kiriat Schmonah, Schlomi und andere nordisraelische Städte.
Israel beantwortete diese Provokationen bisher politisch. Immer wieder sprachen israelische Diplomaten in Washington und bei der UNO in New York vor, um Syrer, Libanesen und Iraner vor einer weiteren Eskalation zu warnen. Mit dem Tod eines 16-jährigen Israelis beim jüngsten Raketenangriff der Hisbollah greift Israel erstmals seit langem wieder zu einer militärischen Demonstration seiner Fähigkeiten. Gleichzeitig droht es Syrien mit Luftschlägen, falls es die Hisbollah weiter zu Attacken animiert oder deren Eigenmächtigkeiten duldet.
Schon seit längerem versucht Scheich Nasrallah seine Position im Kampf gegen Israel, Amerika und den gesamten Westen zu festigen. Westliche Geheimdienste berichten von Bemühungen der Hisbollah, eine regionale Achse des Terrors zu bilden. Zusammen mit der palästinensischen Hamas, dem Islamischen Dschihad, einigen Kräften der Fatah wie den Iranischen Revolutionsgarden sollen Angriffsziele und Strategien im Kampf gegen Israel und den Westen beraten werden. Folgt man iranischen Oppositionsquellen, haben auch libysche Abgesandte an geheimen Zusammenkünften im Libanon teilgenommen. Mittlerweile treffen sich die Vertreter der Gruppen fast wöchentlich, schwer abgesichert von Sicherheitskräften der Hisbollah.
Nach Unterlagen, die der WELT zugespielt wurden, geht es bei diesen Gesprächen um drei Kampfplätze: den Irak, Israel und die westliche Welt. Im Irak soll der Widerstand gegen die US-Truppen in geordnete Bahnen gelenkt und verstärkt werden. Ziel ist, die Amerikaner durch Sabotage, Bombenanschläge auf Soldaten und die irakische Übergangsregierung zum Abzug zu bewegen. Bereits jetzt seien Hisbollah, Islamischer Dschihad und Agenten des iranischen Geheimdienstes in den schiitischen Gebieten des Irak tätig, so Geheimdienstexperten. Zwischen Israelis und Palästinensern hingegen soll Gewalt geschürt und die "Road-Map" zunichte gemacht werden. Der Westen schließlich soll durch Anschläge mit Hilfe lokaler Terrornetzwerke verunsichert werden, ein Plan, den vor allem Imad Mughniyah, der militärische Führer der Hisbollah, unterstützt.
Artikel erschienen am 12. Aug 2003 www.welt.de
Die ganze Zeit über hat man die Proteste der friedliebenden Menschen - auch von unserem heutigen Außenminister - gegen die Raketenangriffe vermisst. Jetzt, wo die koordinierten Aktionen der Hamas und der Hisbollah ein Großfeuer angezündet haben, um von der Nichtreaktion des Irans auf das Angebot der Weltgemeinschaft abzulenken, wird zum Frieden aufgerufen und vor unverhältnismäßigen Aktionen gewarnt.
MfG 54reab |