Dutzende Dörfer im Südlibanon nahe der israelischen Grenze sind dem Erdboden gleichgemacht. Die Menschen wollen trotzdem bleiben. „Von hier kriegen mich keine zehn Pferde mehr weg“, meint Hassan Merchey entschieden. Der runzlige 83-Jährige hockt zusammen mit seinen drei ledigen Töchtern Saideh, Souad und Naimeh auf dem nackten Betonboden vor den Trümmern seines eingestürzten Hauses. Alles haben die Mercheys verloren – die Betten, die Sofas, die Küche, die Fotos von der Mutter, das wenige Bargeld liegen unter den Trümmern begraben. Die Tabakernte, von deren Verkauf auch viele weitere Bauernfamilien leben, ist vernichtet, das Wasser im Brunnen verunreinigt von durch die Luft gewirbelten Tabakblättern. Ein Leben hier und im Rest von Aita El Chaab scheint unmöglich.
Nur noch Trümmerwüste
Einst standen in der Hisbollah-Hochburg 1000 Häuser, in jedem lebten mehrere Generationen unter einem Dach vereint – die Großeltern, die Eltern, die Enkelkinder, zusammen vielleicht 11 000 Menschen, die meisten Kleinbauern, einfache Menschen und streng gläubige Schiiten. Doch die Kämpfe machten aus dem Ort an der Front kaum 1000 Meter von der israelischen Grenze entfernt eine Trümmerwüste, in der nur hier und da ein paar herrenlose Esel und Ziegen grasen. Die Dorfschule, die Ambulanz, das Elektrizitätswerk, die paar Familienbetriebe, alles zerstört. Und die Häusergerippe, die dem Dauerbombardement standgehalten haben, wackeln im Fundament.
„Alles muss abgerissen werden“, meint Mohammad Srour, ein drahtiger Mann in schwarzer Hose und schwarzem T-Shirt, der sich als Feuerwehrmann ausgibt. Bis zuletzt will Mohammad bei den Kämpfern der Hisbollah ausgeharrt haben. Vielleicht ist auch er einer von ihnen, wer weiß es? Die Kämpfer dürfen nicht reden, vieles läuft im Geheimen. Längst haben sie ihre Uniform gegen Jeans und Hemd eingetauscht, die Waffen und Katjuscha-Raketen liegen gut versteckt in unterirdischen Tunneln.
Bizarrer Stolz der Hardliner
„Alles ist so plötzlich gekommen“, erinnert sich der 41-Jährige. Nicht mal Lebensmittelvorräte hatten die Kämpfer angelegt. „Wir ernährten uns von den Dosen, die die flüchtenden Zivilisten zurückgelassen haben, und brachen die verschlossenen Supermärkte auf.“ Für deren Besitzer sei das kein Problem, sondern eine Ehre, die Kämpfer zu unterstützen, ist er sich sicher.
„Unsere Leute haben bis aufs Letzte gekämpft und den Ort gehalten“, behauptet Mohammad. „Und sehen Sie, diese Planierraupe, mit denen die Israelis zuletzt noch gut 20 bereits eingestürzte Häuser an vorderster Front plattgewalzt haben, konnten unsere heldenhaften Kämpfer zerstören“, meint er stolz und zeigt auf das schwarzverkohlte Fahrzeuggerippe. Dass eines dieser plattgewalzten Häuser sein eigen war, scheint ihn nicht weiter zu stören. „Wir haben den Krieg gewonnen, die Israelis vertrieben, dafür geben wir gerne unser Blut und unsere Häuser“, meint der Hisbollah-Hardliner mit bizarrem Stolz.
Ausharren in der Geisterstadt
Fast bis zuletzt harrten auch die Mercheys in der Geisterstadt aus, nahmen noch eine alte, allein stehende Nachbarin bei sich auf. Ins Haus des Clan-Oberhauptes Hassan zog noch Sohn Ahmad, dessen Frau Najasaleh und die acht Kinder. Aus dem wenigen Mehl und dem Wasser aus dem Brunnen backten die Frauen Brot, mehr gab es nicht zum Essen. Wenn die Kampfhubschrauber der israelischen Armee über den Ort donnerten, versteckte sich die Großfamilie dicht an dicht gequetscht in der Toilette, dem einzigen noch halbwegs intakten Raum des Hauses. Nur die letzten zehn Kriegstage verbrachten sie in einem Gemeindehaus in einem Dorf ein paar Kilometer weg von der Grenze.
„Der Koran hat mich gerettet“, meint Tochter Saideh. Immer, wenn die Bomben fielen, habe sie zu Allah gebetet, sagt die Bäuerin und hält zum Beweis den Koran in die Höhe. Und schließlich sei die ganze Familie am Leben geblieben, Allah sei Dank.
„Wir stehen hinter der Hisbollah“
Und als ob sie noch nicht genug hätten vom Krieg und Tod und der Zerstörung, wollen die Mercheys von einer Entwaffnung der Hisbollah nichts hören. „Die Hisbollah wird jeden bis aufs Blut bekämpfen, der dies versucht“, ist sich Sohn Achmad sicher. „Wer soll uns denn sonst gegen die Israelis verteidigen?“, erregt sich der Klempner. Die libanesische Armee werde dies niemals schaffen. „Nein, wir alle hier stehen hinter der Hisbollah“, meint Achmad zuversichtlich. Die Miliz werde auch bald die Häuser wiederaufbauen, glaubt er. „Wir werden unser Land niemals verlassen.“
Tochter Saideh hofft auf humanitäre Hilfe. „Wir haben ja schon etwas erhalten, aber nur ein paar Dosen mit Tunfisch und Sardinen, das vertragen wir hier nicht, wir sind nur frisches Obst und Gemüse gewohnt. Dann diktiert die selbstbewusste Bäuerin noch rasch ihre Wünsche: „Schreiben Sie, dass wir dringend Waschpulver, Reinigungs- und Hygieneartikel brauchen, dann Gas für unsere Öfen, Matratzen und Decken.“
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