Quelle:news@orf.at
In Griechenland und auf den Finanzmärkten war am Dienstag Aufatmen angesagt: Die drohende Zahlungsunfähigkeit - Athen hätte selbst Beamtengehälter und Pensionen nicht mehr auszahlen können - scheint mit der nächtlichen Einigung zumindest für die nächsten Monate abgewendet. Allerdings finden sich in dem 44 Mrd. Euro schweren Paket mehrere Unsicherheitsfaktoren. Bereits jetzt gibt es viele Stimmen, die mit einem weiteren Schuldenschnitt rechnen, der auch die Euro-Staaten treffen würde.
Fekter: Kein weiterer Schuldenschnitt
Die Finanzmärkte haben am Dienstag positiv auf die Einigung der internationalen Geldgeber auf weitere Hilfsgelder für Griechenland reagiert. Sowohl die Aktienmärkte in Asien als auch in Europa verbuchten Gewinne.
Die internationalen Geldgeber in Form von Internationalem Währungsfonds (IWF), Euro-Finanzministern und EZB hatten sich in der Nacht auf einen neuen Hilfsplan geeinigt. Der Beschluss sieht vor, dass Griechenland zwei Jahre Aufschub bis zum Jahr 2016 zur Verringerung seines Defizits bekommt, wodurch das Land rund 32 Milliarden Euro zusätzlich benötigt. Zudem soll der Schuldenberg des Landes bis 2020 drastisch auf 124 Prozent der griechischen Wirtschaftskraft gedrückt werden. Die Beschlüsse müssen noch von den Parlamenten in einigen Euro-Staaten, darunter dem deutschen Bundestag, beschlossen werden.
Doch das Paket hat - darauf wiesen Kenner noch in der Nacht hin - mehrere Unsicherheitsfaktoren eingebaut. Das führt dazu, dass bereits jetzt an den Beteuerungen von Ländern wie Deutschland und Österreich, einen weiteren Schuldenschnitt, der auch Verluste für die Euro-Staaten bedeuten würde, werde es nicht geben, massiv gezweifelt wird.
Ungesichertes Zahlenwerk
Vor allem das geplante Schuldenrückkaufprogramm und die daraus erhofften „Gewinne“ (de facto soll die Schuldenlast, allerdings drastisch, reduziert werden, Anm.) sind offenbar fraglich - und auch unter den Geldgebern umstritten. Für die „Financial Times“ erklärt sich genau daraus die Position des IWF, der ankündigte, erst nach erfolgreichem Abschluss des Rückkaufprogramms seinen Anteil an Griechenland zu überweisen.
Der IWF hatte - anders als die Euro-Länder - eigentlich gefordert, dass Griechenlands Schuldenberg bis 2020 auf 120 Prozent des BIP gesenkt werden müsse - ein Ziel, das nur erreichbar gewesen wäre, wenn die Euro-Länder einen Schuldenschnitt akzeptiert hätten. Doch genau das wollen etwa die Niederlande sowie Deutschland und Österreich, wo im nächsten Jahr Parlamentswahlen anstehen, um jeden Preis verhindern. Im Gegenzug für die Anhebung des Ziels auf 124 Prozent sicherte sich IWF-Chefin Christine Lagarde die Zusage, den Athener Schuldenberg bis 2022 „substanziell unter“ 110 Prozent zu drücken. Das bedeutet möglicherweise: Der Schuldenschnitt wird wohl um zwei Jahre verschoben, wird dann aber umso schärfer ausfallen.
Verlustgeschäft für Spanien
Die deutliche Senkung des Zinssatzes, den Athen derzeit für Kredite an andere Euro-Staaten zahlt, verringert den Schuldenberg um zwei Milliarden - und führt dazu, dass die Geberländer Spanien und Italien, ohnehin selbst in Bedrängnis, mit den Krediten Verluste machen werden. Außerdem überlassen die Euro-Länder Gewinne aus griechischen Staatspapieren dem Land - beides zusammen soll eine Entlastung von 6,6 Prozent des BIP bis 2020 bringen.
Damit, so rechnet die „Financial Times“ vor, bleibt allerdings noch ein Großteil des Hilfspakets übrig - der soll über das Schuldenrückkaufprogramm hereinkommen. Gerüchteweise sollen die Anleihen den Haltern um maximal ein Drittel des Nominalwerts abgekauft werden. Athen muss hoffen, dass die Anleihen in der Euphorie der Einigung nun nicht deutlich anziehen und bisher nervöse Investoren es sich nicht anders überlegen und entweder gar nicht mehr oder zu einem deutlich höheren Preis als im nunmehrigen Paket berechnet verkaufen.
„Das wäre Amtsmissbrauch“
Sowohl der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble als auch Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) beteuerten am Dienstag, dass kein Schuldenschnitt komme. Deutschland und andere Euro-Staaten lehnen einen solchen Schritt kategorisch ab. Laut Fekter hat die nun gefundene Zwischenlösung für Griechenland das Ziel, einen Schuldenschnitt zu vermeiden. Es wäre ja „Amtsmissbrauch“, Geld in das Land zu pumpen, wenn eine solche Maßnahme fix sei, sagte sie am Rande des Ministerrats.
Mehrere deutsche Politiker sprachen aber bereits am Dienstag ganz offen über diese Möglichkeit. Aus Sicht der oppositionellen SPD wurde der Schuldenschnitt lediglich auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier wirft der schwarz-gelben Regierung falsches Spiel vor: „Ich sage Ihnen: Der Schuldenschnitt ist nicht vermieden, er ist verschoben worden auf einen Zeitpunkt nach der Bundestagswahl.“ Alle Beteiligten wüssten, dass es ohne einen solchen Schnitt nicht gehe.
„Irgendwann notwendig“
Selbst FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle wollte einen Schuldenschnitt auf lange Sicht nicht ausschließen. „Ob man zum späteren Zeitpunkt sich arrangiert (...), ist nicht ausgeschlossen, da könnte auch eine Maßnahme dieser Art mit einbezogen sein“, sagte er am Dienstag im Deutschlandfunk.
Der frühere Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann zeigte sich gegenüber dem „Handelsblatt“ sicher: „Irgendwann wird ein weiterer Schnitt notwendig sein.“ Als Präsident des Internationalen Bankenverbandes (IIF) hatte der Schweizer den ersten Schuldenschnitt für Athen mit ausgehandelt. Banken und Versicherer verzichteten im März auf den Löwenanteil ihrer Forderungen.
Bis zu den Wahlen vom Tisch
Zumindest die französische Großbank Societe Generale gibt Steinmeier bei seiner Vermutung recht: Auch die Bank, die in der Finanzkrise durch Milliardenverluste selbst schwer in Bedrängnis geriet, ist überzeugt, dass das 44-Mrd.-Paket nicht ausreichen wird. „Unserer Meinung nach sollte die Vereinbarung ausreichen, das griechische Thema bis zu den deutschen Wahlen im Herbst 2013 vom Tisch zu halten, danach wird wahrscheinlich mehr benötigt, um die griechischen Finanzen nachhaltig zu machen“, schreibt die Analystin der Großbank, Aneta Markowska, am Dienstag. Auch die Nationalratswahl findet turnusmäßig im September nächsten Jahres statt.
Noch früher als die Societe Generale - im Mai oder Juni - rechnet Schweden mit neuen Verhandlungen. Finanzminister Anders Borg - sein Land ist nicht in der Euro-Zone - begrüßte die Einigung, betonte jedoch: „Man darf nicht vergessen, dass das nur eine weitere Vereinbarung ist, um die Dinge für ein paar Monate am Laufen zu halten.“ |