Wer hat Angst vorm Pinguin? Loslegen mit Linux Linux oder Windows - die Debatte ist Schnee von gestern. Die Realität heißt längst Linux und Windows. Statt mit Vorurteilen und längst ausdiskutierten Argumenten um sich zu werfen, ist der PC-Kenner in beiden Welten zu Hause. In diesem Heft startet eine Artikelserie, die Einsteiger auf dem Weg in die Welt des Pinguins begleitet.
Früher lebten die Pinguine ganz weit weg, auf ihrem eigenen, unwirtlichen Linux-Kontinent, zusammen mit kryptischen Kommandozeilen und undurchsichtigen Konfigurationsdateien. Da machte man sich entweder auf eine lange, beschwerliche Reise, siedelte womöglich ganz über oder blieb fest in der vertrauten Fensterwelt. Heute ist es nicht ganz so einfach:
Die Pinguine sind unter uns. Linux läuft auf dem Fileserver in der Firma, bringt die eigene Homepage ins Netz, durchforstet bei Google das Web und werkelt in Appliances, die als Jukebox oder Harddisk-Recorder selbst PC-Hassern treue Dienste leisten. Unter der Antiviren- und Systemrettungs-CD aus c't 9 steckt Linux, das „Schulen-ans-Netz“-Projekt [1] hätte es ohne den Pinguin nie gegeben, und gerade bietet Vobis seinen jüngsten 399-Euro-PC „powered by Tux“ an - Motto: „Die Zeit ist jetzt einfach reif für Linux“ [2].
Wer immer noch Flamewars um das „bessere Betriebssystem“ führt, ist nicht weit weg von jenen IT-Urgesteinen, die sich seit Jahrzehnten um den besten Editor zanken („Emacs oder vi?“). Die Vor- und Nachteile beider Systeme sind hinlänglich bekannt, die echten ebenso wie die gegenseitig unterstellten. Wer heute als PC-Kenner durchgehen will, sollte Windows und Linux kennen - und sei es nur, um über die Fanatiker auf beiden Seiten lächeln zu können. Der Einäugige ist nur noch unter den Blinden König.
Schließlich hat die Linux-Welt auch dem ausgewiesenen Windows-Fachmann einiges zu bieten: Einen ungeheuren Fundus an freier Software beispielsweise, vom Systemtool bis zur professionellen Datenbank, und das ganz ohne schlechtes Gewissen wegen nicht registrierter Shareware oder „ausgeliehener“ Installations-CDs. Eine Transparenz, wie sie ohne Einblick in die Quelltexte nicht möglich ist. Und nicht zuletzt das Wissen, dass freie Software von Anwendern für Anwender gemacht wird und nicht von einer Firma, die zuerst an den eigenen Geldbeutel denkt. Ganz zu schweigen davon, dass auch Windows-Fans dem Quasi-Monopolisten aus Redmond offenbar jede Schweinerei zutrauen - man denke nur an die unterstellten Spionagefunktionen in Windows XP oder die Befürchtungen rund um die TCPA-Zukunft.
Bei aller Lobhudelei sei allerdings nicht verschwiegen, dass der Weg von den Fenstern zum PC-Unix steinig ist. Das beginnt damit, dass Linux erst einmal installiert werden muss. Dabei muss man sich schon im Vorfeld ein paar Gedanken machen, um die praktische Koexistenz zwischen Linux und Windows auf ein- und demselben PC zu optimieren. Dann ist die richtige Wahl zu treffen aus einer schier unüberschaubaren Zahl von Linux-Distributionen. Schließlich der Erstkontakt mit einem System, in dem doch vieles irgendwie anders ist: Kein „Arbeitsplatz“ und keine „Systemsteuerung“, aber viele unverständliche Meldungen beim Booten und Verzeichnisse mit merkwürdigen Namen wie „bin“ oder „home“. Und natürlich soll das neue System auch drucken und ins Internet kommen. Über all diese ersten Hürden hilft Ihnen der folgende Artikel hinweg.
Aber was fängt man nun an mit dem neuen Linux? Wo ist der Explorer, was nimmt man statt Outlook Express, womit brennt man CDs, welche Programme spielen MP3-Dateien ab, und kann Mozilla nicht auf die IE-Bookmarks zugreifen? Derartige Fragen sind Thema des Artikels ab Seite 126.
Doch nur als besseres (oder schlechteres) Windows verwendet zu werden, dazu ist Linux zu schade. Ab Seite 134 führen wir eine ungemein praktische Linux-Spezialität vor: Die Shell-Skripte, mit denen sich nahezu alle Aufgaben automatisieren lassen und die dem Anwender viel Tipparbeit und viele Mausklicks ersparen.
Die richtigen Schwierigkeiten kommen freilich erst, wenn der frisch gebackene Pinguin-Hirte die ersten Schritte auf dem neuen System hinter sich gelassen hat. Linux kennt keinen Mechanismus, der einen Treiber bei Einlegen der Hersteller-CD automatisch ins System einbindet, und das frisch runtergeladene Programm installiert sich auch nicht auf Mausklick. Stattdessen ist viel Neues zu lernen: Wo findet man Informationen innerhalb und außerhalb des Systems? An welchen Schrauben muss man drehen, um DivX-Filme ruckelfrei abzuspielen? Wo stellt man ein, welche Systemdienste starten sollen? All diesen - und vielen weiteren - Fragen werden wir uns in einer Artikelserie in den folgenden Heften widmen.
Das traditionelle Linux-Hilfeforum ist natürlich das Internet - kein Wunder bei einem Betriebssystem, das als verteiltes Internetprojekt entstanden ist. Zahlreiche Websites und Newsgroups widmen sich dem PC-Unix. Schwierig ist nicht, irgendein Linuxforum zu finden, sondern genau das eine, dessen Teilnehmer willens sind, Antworten auf die richtigen Fragen zu geben - und die nicht darüber diskutieren wollen, ob der Scheduler des 2.5er-Kernel bei hoher Last auf Maschinen mit mehr als acht Prozessoren Perfomanceprobleme hat. Daher haben wir auf Heise Online ein Diskussionsforum eingerichtet, das unsere Linux-Serie begleiten wird. Hier können sich Neu-Linuxer über ihre Probleme austauschen, und die c't-Redaktion wird auch den einen oder anderen Tipp beisteuern. (odi)
http://www.heise.de/ct/03/12/114/ |