Buchhaltung in Portugal Outsourcing oder Offshoring: Auslagerung von Jobs erreicht auch hochmoderne IT-Branche
Von Martin Brust
Die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Niedriglohnländer ist zurzeit verstärkt in der Debatte. Studien zeigen, dass ein weiterer Abbau von Arbeitsplätzen zu erwarten ist. Produktionsstandorte in Deutschland schließen, stattdessen in Niedriglohnländern produzieren und die Waren dann hierher transportieren lassen – was derzeit als Outsourcing oder Offshoring in den Schlagzeilen steht und in der Politik debattiert wird, das ist kein wirklich neuer Trend. Die Rechnung aber scheint einfach: Wenn ein Arbeiter in Portugal, Marokko, Mexiko, Indien oder China nur die Hälfte, ein Drittel oder gar weniger als ein tarifrechtlich und sozial abgesicherter deutscher Werktätiger kostet, kann es sich das Unternehmen leisten, zusätzliche Transportkosten zu zahlen und trotzdem ein besseres Angebot als die Konkurrenz machen. Die Textilindustrie hat es vorgemacht, Automobilzulieferer, Spielzeughersteller und weitere Industriebereiche sind gefolgt. Ob sich das nun Outsourcing oder Offshoring nennt, dürfte den Betroffenen egal sein. Denn wenn eine Produktionsstätte in Sachsen oder dem Ruhrgebiet schließt und deren bisheriger Ausstoß in Taiwan hergestellt wird, verlieren Arbeiter in Deutschland ihren Job. Und dürften kaum damit zu trösten sein, dass andere anderswo einen bekommen. Outsourcing bedeutet Arbeitsplatzabbau und wird kaum hinterfragt. Auch von Arbeitgeberseite nicht, denn deren Verbände verweisen gerne darauf, dass niedrigqualifizierte Jobs ruhig abwandern können, weil sie in Deutschland und Europa zunehmend durch solche mit höheren Anforderungen an die berufliche Qualifikation ersetzt würden. Zwar wird aus einem Schweißer oder Bauarbeiter meist kein Programmierer mehr, aber vielleicht aus dessen Sohn oder Tochter. Also alles in Butter? Nein, denn Outsourcing weitet sich mittlerweile auf Bereiche aus, die zuvor eben wegen der hohen Qualifikation als auslagerungsresistent angesehen wurden – etwa auf den Telekommunikations- und IT-Sektor. Beispiel Siemens: Der Technologiekonzern kündigte im Dezember die Verlagerung von bis zu 10000 Stellen nach China, Indien oder Russland an. Das entspricht rund einem Drittel der Arbeitsplätze aus den Bereichen Forschung und Entwicklung. Außerdem denkt der Konzern über die Verlagerung von zentralen Funktionen wie Rechnungs- oder Personalwesen nach Osteuropa nach. Kein Wunder, denn dort oder im Trikont existieren mittlerweile sehr gut ausgebildete, Englisch sprechende Ingenieure, die sich keineswegs hinter einem deutschen Fachhochschulabsolventen verstecken müssen. Durch sinkende Transportkosten – für Menschen und Daten – schrumpfen Entfernungen auf ein betriebswirtschaftlich nicht oder kaum mehr relevantes Niveau zusammen. Vom Chiphersteller Infineon wurden Mitte Februar Pläne kolportiert, die gesamte IT-Abteilung an einen externen Anbieter zu vergeben. Das betrifft zwar in diesem Fall »nur« rund 250 Mitarbeiter, allerdings ist der Konzern insgesamt ein Vorreiter bei der Auslagerung: Die Buchhaltung wird zwar selbst erledigt, allerdings in Portugal. In der Produktion greift das Unternehmen – wie viele andere Chiphersteller – schon seit Mitte der 90er Jahre verstärkt auf Zulieferer zurück und konzentriert sich stattdessen auf Entwicklung, Design und Vertrieb der Chips. Der Konzern hält langfristig eine Auslagerungsquote von bis zu 50 Prozent in der Produktion für vorstellbar – allerdings stammt diese Aussage noch aus der Zeit unter dem kürzlich geschassten Vorstandsvorsitzenden Ulrich Schumacher, der sogar mit der Verlagerung des Firmensitzes und der Steuerpflicht in die Schweiz gedroht hatte. Das zumindest scheint mittlerweile vom Tisch. Die Unternehmensberatung AT Kearney rechnet jährlich mit einem Verlust von bis zu 130000 IT-Arbeitsplätzen in Deutschland und einem Einsparpotenzial von rund zwei Milliarden Euro für die Unternehmen pro Jahr. In den USA gingen schon jetzt ungefähr 20 Prozent der IT-Budgets ins Ausland, in Deutschland seien es derzeit rund fünf Prozent, so die Berater. Sie erwarten, dass binnen drei Jahren das US-Niveau erreicht wird. Ähnliche Tendenzen wie in der IT-Branche gibt es in der Telekommunikation, glaubt man einer aktuellen Studie der Unternehmensberater von Deloitte&Touche. Sie haben im Dezember nach eigenen Angaben 42 Telekommunikationsunternehmen aus den Sektoren Festnetz, Mobilfunk und Kabel befragt, darunter die Hälfte der 20 umsatzstärksten. Das Ergebnis: Innerhalb der nächsten vier Jahre sollen weltweit insgesamt 275000 Arbeitsplätze in Niedriglohnländer verlagert werden, das sind fünf Prozent der rund 5,5 Millionen Arbeitsplätze. Die US-amerikanische Investmentbank Brean Murray schätzt die eingesparten Kosten pro Arbeitsplatz auf bis zu 30000 Dollar im Jahr. Vor dem Hintergrund des laufenden Wahlkampfs in den USA und anderer Analysen, die den drohenden Verlust von bis zu 500000 weiteren Arbeitsplätzen erwarten, ist es also kein Wunder, dass jenseits des Atlantiks bereits eine Debatte tobt, in der ein vermeintlicher Arbeitsplatz-Patriotismus mit sozialen Forderungen verknüpft wird. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Dr. Dalia Marin von der Universität München allerdings macht eine andere Rechnung auf: Sie hat rund 2200 Investitionsvorhaben von 660 deutschen und österreichischen Konzernen in Osteuropa in den Jahren 1990 bis 2001 untersucht. Ihren Angaben nach entspricht das 100 Prozent der österreichischen und 80 Prozent der deutschen Direktinvestitionen in diese Länder im fraglichen Zeitraum. Ihre Erkenntnisse zeigen, dass im direkten Ländervergleich nicht nur die Lohnkosten, sondern auch die Produktivität in Osteuropa nur rund 23 Prozent der deutschen Werte erreicht. Das bedeutet, dass die Lohnkostenvorteile durch niedrigere Produktivität wieder aufgesogen werden. Betrachtet man allerdings die Werte nicht auf Länderbasis, sondern auf Firmenebene, so berichten die Konzerne von um bis zu 72 Prozent niedrigeren Lohnstückkosten bei ihren osteuropäischen Töchtern. Weniger als die Hälfte der befragten Unternehmen gab die niedrigeren Lohnkosten als Grund für ihr Auslandsinvestment an, 55 Prozent nannten die Suche nach neuen Absatzmärkten. Unter dem Strich hätten die befragten Unternehmen, die für gut zwölf der insgesamt 34 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland stehen, durch die Verlagerung nach Osteuropa rund 90000 Stellen abgebaut – nicht mal ein Prozent. Ob diese Untersuchungen allerdings auf die Gesamtproblematik des weltweiten Outsourcing übertragbar sind, ist der Studie nicht zu entnehmen. Outsourcing: Vergabe von Leistungen an Externe, also etwa den Betrieb von Rechenzentren einer Bank durch IT-Dienstleister. Offshoring: Abwicklung von Aufgaben innerhalb der eigenen Organisation, aber an Niedriglohnstandorten – also beispielweise die Verlagerung des Rechenzentrums von Frankfurt/Main nach Bangalore in Indien.
(ND 13.04.04) |