Polens Traumfabrik
von Andrzej Rybak, Zarow
Nach dem Aus für das AEG-Werk Nürnberg blickt Electrolux auf Osteuropa. Niedrige Löhne, motivierte Arbeiter und ein riesiger Markt locken die Schweden.
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AEG-Zentrale in Nürnberg mit Electrolux-Fahne
Das Modell "Zanussi Diva", das im polnischen Electrolux-Werk in Zarow gerade vom Band läuft, wurde eigens für den osteuropäischen Markt entwickelt: ohne Leuchtdioden, mit nur einem Drehschalter, einfach in der Bedienung und vor allem preisgünstig.
Noch füllen Fließbänder, Roboter und Pressen gerade mal die Hälfte der Electrolux-Halle in Zarow. In der Mitte wurde Platz gelassen für eine weitere Produktionsstraße. Heute werden hier nur 120 Menschen beschäftigt, später soll die Belegschaft auf 350 Mitarbeiter wachsen und 75 Geschirrspüler pro Stunde zusammenschrauben. Hier werden vor allem Geräte für den polnischen und osteuropäischen Markt produziert, wo erst fünf Prozent der Haushalte einen Geschirrspüler besitzen - im Westen sind es 42 Prozent. Die hochwertigeren Geräte mit dem deutschen Markennamen AEG werden künftig verstärkt im italienische Electrolux-Werk in Solaro gefertigt.
Nach einem wochenlangen Arbeitskampf ist der Streit um die Zukunft des AEG-Haushaltsgerätewerks in Nürnberg endgültig beigelegt. Geschlossen wird die Produktionsstätte trotzdem. Ab 2007 dürften damit 1750 Arbeiter ihren Job verlieren. Der Streik bei AEG wurde zum Symbol des Kampfes gegen die Arbeitsplatzverlagerung aus Deutschland ins billigere Ausland.
Hallenbau in sechs Monaten
Die Konzernführung um Hans Straberg will Electrolux international neu aufstellen, um der billigen Konkurrenz aus China und der Türkei auf Dauer die Stirn bieten zu können. Dafür werden in Polen noch 2006 zwei neue Werke für Waschmaschinen und Küchenherde gebaut. Im Dezember 2005 hatte bereits die Geschirrspüler-Fabrik in Zarow die Produktion aufgenommen.
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Die verschlafene niederschlesische Kleinstadt kann sich seit drei Jahren kaum vor ausländischen Investoren retten. Mehrere internationale Konzerne haben am Rande von Zarow ein Dutzend Montagehallen hochgezogen. Electrolux hat eine riesiges Areal neben dem japanischen Reifengiganten Brigestone und dem Chemiekonzern Daicel bezogen. Innerhalb von nur sechs Monaten wurde die Produktionshalle errichtet, Mitte Dezember liefen bereits erste Geschirrspüler vom Band.
"Unser größter Standortvorteil sind die Löhne", sagt Krzysztof Spiehs, der Werksdirektor. Ein Industriearbeiter in Zarow verdient umgerechnet etwa 250 bis 350 Euro im Monat, etwa 10 bis 15 Prozent des deutschen Lohns. Die Personalkosten machen in der Branche etwa ein Fünftel der Gesamtkosten aus. Noch mehr Ersparnis könnte in der Zukunft die Verlagerung der Komponentenproduktion nach Polen bringen: "In drei Jahren wollen wir 40 Prozent der Komponenten lokal bei polnischen Zulieferern beziehen", sagt Spiehs. "Damit könnten wir weitere fünf bis sechs Prozent einsparen."
Die Produktionskosten sind aber nur ein Grund, warum Investoren nach Zarow strömen. Sie werden auch von Steuererleichterungen und Subventionen angezogen, denn das Gewerbegebiet gehört zur Sonderwirtschaftszone Walbrzych (Waldenburg), die 15 verschiedene Standorte in Niederschlesien zusammenfasst. Wer hier investiert, wird in der Regel von Unternehmensteuern befreit oder bekommt andere Investitionszuschüsse. Seit ihrer Gründung 1997 konnte die Waldenburger Zone rund 1,2 Mrd. Euro an Investitionen anziehen und über 14.000 neue Arbeitsplätze schaffen.
Was die Polen als geschickte Ansiedlungspolitik betrachten, wird von IG-Metallern in Deutschland gelegentlich als unlauterer Wettbewerb bezeichnet. So stellte IG-Metall-Chef Jürgen Peters auf dem Höhepunkt der AEG-Auseinandersetzung die Legalität der polnischen Sonderwirtschaftszonen in Frage. Von der EU-Kommission verlangte er Klärung, ob Electrolux EU-Subventionen für die Verlagerung der Produktion nach Polen erhält.
Auch die Europaabgeordnete Lissy Gröner brachte ihre Empörung zum Ausdruck. Es gehe nicht, dass die Deutschen den höchsten Beitrag in die EU-Kasse einzahlen, damit mit diesem Geld ihre Arbeitsplätze vernichtet werden. Der Chef der Sonderwirtschaftszone Walbrzych, Miroslaw Greber, bewahrt Haltung. "Alles was hier in der Zone passiert, unterliegt EU-Recht", insistiert er. Das sei auch deutschen Politikern bekannt. "Auch in Sachsen gibt es legale Sonderförderung, die kaum niedriger ist als bei uns."
Hoch motivierte Mitarbeiter
In strukturschwachen Gebieten wie Walbrzych werden offiziell Zuschüsse bis zu 50 Prozent der Investitionskosten gewährt, im reicheren Sachsen liegt die maximale Förderungshöhe bei 40 Prozent. Greber warnt von billiger Stimmungsmache: "Alles wird von der EU überprüft."
Die polnischen Electrolux-Arbeiter reagieren gereizt, wenn man die Investitionsentscheidung des Konzerns zu Gunsten von Zarow allein mit niedrigen Löhnen der Belegschaft oder Investitionsanreizen des Staates zu erklären versucht. "Ich glaube, wir können hier bessere Qualität liefern als unsere deutsche Kollegen", befindet Vorarbeiter Kazimierz Slota.
"Die Leute sind tatsächlich hoch motiviert", sagt Direktor Spiehs. "Sie wissen ganz genau, was ihnen der Job wert ist." Er hat mit seinen Leuten viel vor. "Wir wollen die Fehlerquote auf unter ein Prozent drücken. Was in der Auto- oder Fernseherproduktion geht, das können wir doch auch erreichen." Stolz zeigt der Direktor auf eine große Tafel, auf der die Qualitätskontrollen ausgewertet sind. Am Anfang lag die Fehlerquote bei 25 Prozent, nach sechs Wochen sank sie auf sechs Prozent. Das sei schon besser als der Schnitt in westlichen Werken, sagt Spiehs. Der pendle nämlich so bei etwa zehn Prozent.
Gemeinde kurz vor der Insolvenz
"Wir wissen, was es heißt, keine Arbeit zu haben", sagt Monika Bryl, die am Band montiert. "Ich fühle mit denen in Deutschland, die ihre Arbeit verlieren werden." Die junge Polin, ausgebildete Näherin, war neun Jahre arbeitslos. "Ich habe mich auf jede freie Stelle beworben." Nach dem Zerfall des Kommunismus machten etliche Betriebe der Region dicht. Die Arbeitslosenquote in Zarow stieg auf 30 Prozent. Die Gemeinde hatte kaum Einnahmen, 2002 stand sie vor der Insolvenz.
Dank Investoren wie Electrolux hat sich die Lage entspannt. "Man kann gar nicht überschätzen, was diese Investitionen für unsere Gegend bedeuten", sagt Lilla Gruntkowska, die Bürgermeisterin von Zarow. Die Konzerne sind zwar von Grundsteuer befreit, doch "die Leute, die eine Beschäftigung gefunden haben, zahlen Steuern und geben Geld aus."
In den neuen Werken kriegen Gewerkschafter bislang kein Bein auf den Boden, klagen schon die Funktionäre. Daran scheint in der Belegschaft niemand interessiert. "Die Arbeitsbedingungen sind prima, das Betriebsklima großartig", tönt Anna Mrozek, die nach drei Jahren Schufterei in Spanien nach Polen zurückkehrte.
"Die nächsten 10 bis 15 Jahre", schätzt Direktor Spiehs, "sind unsere Jobs sicher. Dann werden sie aber möglicherweise in die billigere Ukraine verlagert." Vor der Globalisierung, davon ist der Pole überzeugt, gibt es aber keinen Halt.
Aus der FTD vom 08.03.2006
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