Kommentar Alle Klarheiten sind beseitigtVon Ingolf Karnahl, RBB, ARD-Hauptstadtstudio Grafik: Ingolf Karnahl, RBB] Nun wollen wir mal sehen, wer Deutschland wirklich dienen will. Der muss nämlich ernst nehmen, was dem Land in dieser Situation ohne klares Ergebnis nutzt. Wenn Gerhard Schröder ausgeschlafen hat, kann er noch einmal überdenken, was er sich gestern Abend an Selbstentlarvung geleistet hat. Und dann sollte er den Weg frei machen. Ein bravouröser "Mit-dem-Rücken-zur-Wand-Wahlkampf" reicht nicht; ebenso wenig der Sympathiebonus gegenüber Angela Merkel. Der Kanzler hat mit Vertrauensfrage und Neuwahl seine Karten ausgereizt und verloren. Jetzt erweckt er den fatalen Eindruck, es ginge ihm nur noch um persönlichen Machtanspruch, nicht um das, was er ständig gepredigt hat: die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Merkel hat wie Schröder ihre Ziele verfehlt Aber auch die Kandidatin der Union muss sich die Frage stellen, ob sie nicht einer konstruktiven Lösung im Wege steht - in voller Demut gegenüber dem Wähler, wie sie es selbst versprochen hat. Merkel hat ebenso wie Schröder ihre wesentlichen Ziele verfehlt. Aus dem hauchdünnen Vorsprung der Union einen Regierungsauftrag für sich als Person abzuleiten, ist mehr als gewagt. Denn der Absturz von den Umfrage-Höhen einer möglichen absoluten Mehrheit noch vor wenigen Monaten ist verheerend, die einstige Wechselstimmung im Laufe des Wahlkampfes verflogen. Das geht klar auf Merkels Konto, an deren Führungsqualitäten und Programm die Bürger doch zunehmend Zweifel bekamen. Als Kanzlerin wäre sie deshalb von Anfang an entscheidend geschwächt. Der dritte nachdenkliche Politiker sollte heute Guido Westerwelle sein. Er und seine Liberalen sind mit Leihstimmen gefüttert worden. Das gibt nur vorübergehend Kraft, die der leicht prahlerisch veranlagte FDP-Chef für Koalitionsgespräche nutzen sollte. Er hat gestern praktisch alle Ampeln ausgeschlossen und sich damit freiwillig in die Opposition katapultiert. Da die beiden großen Volksparteien aber deutlich geschwächt sind, wächst die Verantwortung der Kleinen. Wenigstens Joschka Fischer hat das erkannt und klugerweise keine Tür zugeschlagen. Bitte kein endloses GewurstelAlso - eine große Koalition mit neuen Gesichtern an der Spitze oder eine Ampel sollte ernsthaft ausgelotet werden - jenseits persönlicher Eitelkeiten und Antipathien. Soviel Staatsräson sollte noch möglich sein - die Glaubwürdigkeit der Politiker hat genug gelitten. Auch der Bundespräsident kann ja bei solchen Versuchen eine aktive und lenkende Rolle spielen. Und wenn letztlich wegen zu großer sachlicher Differenzen doch nichts zusammenpassen sollte, dann bitte kein endloses Gewurstel mit Anläufen zu einer Kanzlerwahl im Bundestag ohne Aussicht auf stabile Regierungsmehrheit. Seit gestern ist die Politik laut Wahlergebnis im Patt, auch das Land praktisch in der Mitte gespalten. Das darf nicht zu einer längeren Lähmung mit noch schlimmeren wirtschaftlichen wie sozialen Folgen führen. Dann lieber in wenigen Monaten noch einmal an die Wahlurne. Wenn die Politiker nicht zur Vernunft kommen, müssen eben die Bürger die Chance haben, noch mal nachzudenken, was dem Lande dient. |