Behördenparadies Deutschland

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15.04.05 11:00

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Mit der "Initiative Bürokratieabbau" will Rot-Grün den Staat verschlanken. Innenminister Schily zieht stolz Bilanz. Das Problem: Die Wirtschaft merkt kaum etwas von den angeblichen Erleichterungen

 

Der Bundesinnenminister ist zufrieden. Der Bürokratieabbau, so seine Botschaft, schreitet mit großen Schritten voran. "29 von mittlerweile 75 Projekten sind erfolgreich abgeschlossen", versicherte Otto Schily, nachdem er im Kabinett den zweiten Zwischenbericht der 2003 eingesetzten "Initiative Bürokratieabbau" vorgestellt hatte. Und: Der Bürokratieabbau werde weiter forciert, hieß es am Mittwoch. Als erste Erfolgsmeldung wird in dem 138-seitigen Bericht die "Reduzierung der Statistikpflichten" aufgeführt.

Dieter Junghanns kann die Zufriedenheit des Ministers nicht teilen. Der Unternehmer aus Hof sieht sich im Würgegriff von Bürokraten. "Es wird nicht besser, sondern immer schlimmer", stöhnt der Fahrzeugbauer und Chef von 43 Arbeitnehmern, "wenn ich früher zwei oder drei Statistiken abliefern mußte, sind es heute 16" - einige jährlich, manche monatlich oder Quartalsweise. So fragen die Behörden in "Energiebilanzen" den konkreten Heizöl-, Strom- und Erdgasverbrauch in seinem Betrieb oder den durchschnittlichen Heizwert in Kilojoule pro Liter ab.

Behördenparadies Deutschland: Rund Vier Millionen Menschen sind in Bund, Ländern und Gemeinden im Staatsdienst tätig, Tendenz leicht sinkend. Damit stellte Deutschland in der Europäischen Union vor der Osterweiterung ein stolzes Viertel sämtlicher Staatsdiener: Acht Prozent der deutschen Beschäftigten sitzen ungeachtet gähnend leerer Kassen in der öffentlichen Verwaltung. Nur vier Länder liegen darüber, darunter Luxemburg (10,8 Prozent) und Frankreich (9,1). Hingegen kommen Griechen (7,4 Prozent), Briten (6,7), Dänen (5,5) oder Iren (4,7) mit wesentlich schlankeren Strukturen aus.

Große Apparate wollen beschäftigt sein: Darum müssen deutsche Unternehmen schwindelerregende Papierberge produzieren. Laut dem Bonner Institut für Mittelstandsforschung kostet die Bürokratie deutsche Firmen jährlich 46 Milliarden Euro. Die Bundesregierung hat das Problem erkannt. "Bürokratieabbau ist Kärrnerarbeit", heißt es in dem Schily-Bericht. Darum sollen etwa Verfahren vereinfacht, überflüssige Instanzen beseitigt und veraltete Regelungen abgeschafft werden. Stolz verweist die Regierung etwa auf die Abschaffung des Meisterzwanges, die bereits zum Jahresbeginn zu über 16 000 Betriebsgründungen geführt habe.

Doch allzu vieles scheitert: Der Amtsschimmel wiehert auf europäischer Ebene, im Bund, in den Ländern oder Kommunen. So zwingt die geplante Chemikalienverordnung der EU mittelständische Betriebe, sich mit 1200 Seiten starken Verordnungen zu befassen. Der Ladenschluß in Deutschland sollte vergangenes Jahr in die Verantwortung der Länder gestellt werde, aber mit dem Scheitern der Föderalismuskommission platzte auch dieser Traum. Und als in Leipzig ein italienischer Gastronom seine Gäste von venezianischen Gondolieri auf der Weißen Elster rudern lassen wollte, verlangte das Ordnungsamt von den Minischiffern "Gondelführerscheine".

So verzweifeln viele Unternehmer in dem Land, das immer wieder Innovationsgeist fordert, bereits in der Startphase. Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHK): "Im Durchschnitt muß ein Gründer in Deutschland neun verschiedene Behörden anlaufen, bevor er seine Geschäftstätigkeit aufnehmen kann. Nach einer OECD-Studie dauert es in Deutschland 45 Tage, eine GmbH zu gründen - zehn Mal so lang wie in Dänemark, 21 Mal so lang wie in Australien."

 

Kein Wunder, daß die Opposition auf die Regierungsbank zeigt. "Rot-Grün hat seit der Regierungsübernahme 1998 zwar 700 Gesetze und Rechtsverordnungen abgeschafft, aber im gleichen Zeitraum 1700 neue in Kraft gesetzt", kritisiert der CDU-Abgeordnete Michael Fuchs, Vorsitzender der "Arbeitsgruppe Bürokratieabbau" seiner Fraktion. Seine Forderung: "Wir brauchen weniger Staat und mehr Markt" - aber die Regierung bringe ein Antidiskriminierungsgesetz mit immensem bürokratischen Aufwand auf den Weg."

Der Oberfranke Junghanns macht da nicht mehr mit - weil er zur Bewältigung der von ihm verlangten Zahlenflut mindestens eine Halbtagskraft einstellen müßte, hat er das Ausfüllen der Fragebögen verweigert. Daraufhin verhängte das Amtsgericht Hof eine Geldstrafe von 600 Euro. Junghanns legte Einspruch ein. Sollte das Urteil bestätigt werden, will er den Betrieb in Hof auf 19 Mitarbeiter reduzieren - und die Arbeit an Subunternehmer im angrenzenden Tschechien verlangen. "Denn mit weniger als 20 Arbeitnehmern bin ich von statistischen Auflagen befreit", sagt der entnervte Unternehmer

 

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